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Kosmischer Konfrontationskurs

Astronomie. - Wenn in den nahezu leeren Weiten des Weltalls zwei Objekte zusammenstoßen, muss es sich schon um einen ziemlich großen Zufall handeln. Legt man jedoch die vermutete Anzahl aller Sterne im Weltall zugrunde, und das sind rund siebzig Trilliarden, erscheint es nicht mehr so unwahrscheinlich, dass es irgendwann einmal zu einem kosmischen Crash kommt. In anderthalb Millionen Jahren wird unser Sonnensystem beteiligt sein.

Von Guido Meyer |
    Eigentlich sind die Fakten nicht neu. Astronomen hatten sie nur bislang übersehen. Schon seit mehr als zehn Jahren vermisst die europäische Weltraumagentur Esa mit ihrem Satelliten Hipparcos die Positionen, die Bewegungen und die Geschwindigkeit von mehr als 100.000 Sternen in unserer Milchstraße. Paul Dobbie vom anglo-australischen Observatorium in Sydney:

    "Die Esa hat die alten Hipparcos-Daten nun erneut veröffentlicht, und die Astronomen haben noch einmal nachgerechnet. Wir verfügen heute über genauere Methoden zur Auswertung und Kalibrierung als vor zehn oder fünfzehn Jahren. Hipparcos hat sich die Sterne in einer Entfernung bis zu 100 Lichtjahren von der Sonne angesehen. Anhand dieser Daten konnten wir deren Bewegungen 200 Millionen Jahre in die Vergangenheit zurück berechnen. So konnten wir feststellen, ob der eine oder andere Stern der Sonne einmal sehr nahe gekommen ist oder dies möglicherweise irgendwann tun wird."

    Zwar sind Fixsterne für uns scheinbar – wie es der Name vermuten lässt – am Himmel fixiert, bewegen sich also nicht. Und im Rahmen unseres Sonnensystems ist die Sonne in der Tat starr, während sich die Planeten um sie herum bewegen. Im galaktischen Maßstab jedoch umkreisen alle Sterne, verteilt auf Spiralarmen, den Mittelpunkt unserer Milchstraße, bewegen sich also durch das Weltall, wie Vadim Bobylev vom Pulkovo Astronomischen Observatorium der russischen Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg erläutert.

    "Theoretisch können sich die Bahnen von Sternen überschneiden. Praktisch ist dies jedoch nahezu unmöglich, weil der Raum in der Nachbarschaft unserer Sonne so gut wie leer ist. Dort draußen beträgt die durchschnittliche Entfernung zwischen zwei Sternen etwa sechs Lichtjahre, also fast sechzig Billionen Kilometer. Dass sich zwei Sterne auf weniger als anderthalb Lichtjahre nähern, ist sehr selten und kommt nur einmal in einer Millionen Jahren vor. Deswegen handelt es sich bei Gliese 710 um ein sehr interessantes Objekt!"

    Dabei ist der Stern eigentlich nichts Besonderes. Gliese 710 ist ein oranger Zwergstern, nur etwa halb so groß wie die Sonne, dabei jedoch etwas heißer als sie, 63 Lichtjahre von der Erde entfernt, der sich mit vierzehn Kilometern pro Sekunde durch die Milchstraße bewegt. Doch genau das ist das Beunruhigende. Bobylev:

    "Gliese ist einer der seltenen Kandidaten, die unserem Sonnensystem ganz nahe kommen werden. Unsere neuerlichen Auswertungen der Messdaten des Hipparcos-Satelliten zeigen, dass sich unsere Sonne und Gliese 710 auf ähnlichen Umlaufbahnen um das Zentrum der Milchstraße bewegen. Nach meinen Berechnungen nähern sie sich alle anderthalb Millionen Jahre bis auf ein Lichtjahr einander an. Mit anderen Worten: Gliese 710 bewegt sich langsam auf die Sonne zu."

    Die gute Nachricht: Es wird in eineinhalb Millionen Jahren zu keiner Kollision zwischen den beiden Sternen kommen, trotz ihrer kosmischen Konfrontationskurse. Ein Lichtjahr Entfernung, das ist jenseits der Planetenbahnen und sogar jenseits des Kuiper-Gürtels, in dem Kleinplaneten wie Pluto ihre Bahnen ziehen. Die schlechte Nachricht: Gliese 710 wird unser Sonnensystem dennoch ganz schön durcheinander wirbeln, so Paul Dobbie.

    "Dieser Stern wird in die Oortsche Wolke eindringen, jener Ansammlung von Eis und Gestein am Rande unseres Sonnensystems. Sie ist die Brutstätte von Kometen, die von dort regelmäßig ins innere Sonnensystem vordringen. Der Schwerkrafteinfluss eines eindringenden Sterns dürfte einige dieser Brocken in Richtung der Planeten schleudern, womöglich auch Richtung Erde."

    Die Wahrscheinlichkeit, dass Gliese 710 noch weiter ins Sonnensystem vordringt und damit die Planetenbahnen durcheinander bringt, liegt bei nur etwa 1:1000. Doch auch in einem Lichtjahr Entfernung, in der Oortschen Wolke, wird Gliese 710 dann von der Erde aus mit bloßem Auge zu erkennen sein und das nach dem Mond hellste Objekt am Nachthimmel, die Venus, an Helligkeit und Sichtbarkeit überstrahlen.