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Kosmos des Quadratischen

Die Berliner Nationalgalerie ehrt Oswald Mathias Ungers mit einer Ausstellung zum 80. Geburtstag. Der Architekt ist seiner Liebe zur strengen geometrischen Form immer treu geblieben. Zurzeit beschäftigt er sich mit zwei aktuellen Projekten: der Sanierung des Pergamonmuseums in Berlin und der Eingangsgestaltung der Kaiserthermen in Trier.

Von Carsten Probst |
    Rückblickend kann es kaum Zufall sein, dass Oswald Mathias Ungers vor gut vier Jahrzehnten als Lehrer ausgerechnet an der Technischen Universität in Berlin begann. In Berlin hat der heute 80-Jährige im Verlauf seiner Karriere soviel gebaut wie in keiner anderen Stadt, und mit dem geplanten vierten Flügel des Pergamonmuseums hat Ungers Berliner Engagement seinen Höhepunkt sogar noch vor sich. Das allein und Ungers ausgewiesene Verehrung für Mies van der Rohes Neue Nationalgalerie auf dem Kulturforum mag schon Grund genug gewesen sein, Ungers in Berlin als ersten deutschen Architekten mit dieser opulenten Ausstellung in der lichten Oberhalle der Nationalgalerie zu ehren. Aber wer immer an seinen Bauten nicht nur in Berlin vorübergeht oder sie sogar betritt, kommt nicht umhin, sich buchstäblich an seiner Architektur zu stoßen.

    Auch in Zeiten der Dienstleistungsgesellschaft hat Ungers immer die Architektur als Kunst und ihren überzeitlichen Rang geradezu gepredigt. Seine Reduktion auf die drei ewigen Grundformen der Geometrie - Quadrat, Kreis und Triange -, und seine Begeisterung für Vitruvs Lehre von den idealen Raumproportionen, die schon für die Baumeister der italienischen Renaissance verbindlich waren, lassen manche seiner Häuser spartanisch, ja fast abweisend erscheinen. Legion sind die Vorwürfe, Ungers baue mit seinen steilen Treppenhäusern, den niedrigen Fenstern und Decken und den starren Raumformaten an den heutigen Bedürfnissen der Menschen vorbei. Das Geschrei der Gegenwart hat Ungers aber nie angefochten. Welcher Architekt außer ihm würde es wagen, sich heute auf 5000 Jahre Baugeschichte zu beziehen und womöglich für die nächsten 500 zu bauen? Gerade sein Beharren hat ihn wohl auch schließlich von einem Unzeitgemäßen zu einem der einflussreichsten lebenden Architekten werden lassen.

    Seine Ausstellung in der Nationalgalerie demonstriert das in ihrer selbstbewussten Strenge eindrücklich. Wie die anderen großen Schauen der letzten Jahre in Vicenza, Düsseldorf und Köln hat Ungers auch diese Berliner Retrospektive selbst in langwieriger Vorarbeit konzipiert und den wohlgeordneten, reinlichen Kosmos seiner baulichen Inspirationen ausgebreitet. Teile seiner legendären Kunstsammlung gehören ebenso dazu wie seine umfangreiche Bibliothek aus dem Kubus in der Kölner Belvederestraße mit zahlreichen bedeutenden Inkunabeln der Architektur- und Kunstgeschichte, darunter Erstdrucke von Alberti, Palladio und natürlich Vitruv bis hin zu Le Corbusier.

    Im Zentrum aber stehen die meist nachträglich entstandenen Modelle seiner eigenen Bauten sowie von Wettbewerbsentwürfen und utopischen Hochhausvisionen aus den 90er Jahren, daneben die für Ungers zentralen Bauten der Architekturgeschichte. Die bei Ungers oft auftretenden, hoch aufgesockelten Gebäudekuben wie etwa beim neuen Anbau der Hamburger Kunsthalle lassen sich so unschwer als Neuinterpretation des Mausoleums von Halikarnassos verstehen. Ein Entwurf für vier im Quadrat angeordneten Hochhaustürme in Neuss von 1990, der ein wenig an die neue Bibliotheque Nationale in Paris erinnert, bezieht sich auf das mittelalterliche Castel del Monte in Apulien und macht zugleich deutlich, weshalb eigens zur Eröffnung der Ausstellung auch ein Architekt wie Rem Koolhaas erscheint, um sich als Schüler und Verehrer von Ungers Werk zu bekennen. Damit hätte man allerdings so ohne weiteres sicher nicht rechnen können.

    Kuppelbauten fehlen dagegen in Ungers' Werk vollständig, obgleich auch die Riesenkuppeln eines Etienne Boullée oder das Pantheon in Rom zu Ungers' ewigen Vorbildern zählen. Doch sein eigentliches Programm ist die Wiedervereinigung von Kunst und Architektur. Nicht von ungefähr hat Ungers die meisten Museumsbauten aller lebenden deutschen Architekten entworfen. Seine eigenen vier Häuser gleichen im Inneren Kunstsammlungen und treiben im Äußeren die Strenge der Form auf ein radikales Höchstmaß.

    Ein Bodenrelief des Pythagoras-Dreiecks von Carl Andre, ein Quadrat von Bruce Nauman und ein Steinkreis von Richard Long zeigen in dieser Ausstellung, dass Ungers sich eigentlich auch immer als minimalistischer Bildhauer gesehen hat. Mag mancher noch meinen, Ungers Architektur sei pathetisch und voller Selbstbeweihräucherung und zitiere sich immer nur selbst, gleich in welcher Umgebung. Der schöpferische Starrsinn, den sein Werk ausstrahlt, trägt zweifellos grandiose Züge.

    Service:

    Die Ausstellung "O. M. Ungers. Kosmos der Architektur" ist bis zum 7. Januar 2007 in der Neuen Nationalgalerie in Berlin zu sehen. Der Eintritt kostet sechs Euro, ermäßigt drei Euro. Montags ist das Museum geschlossen.