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Kosovo erhält offizielle Souveränität

Vor viereinhalb Jahren hatte die frühere südserbische Provinz Kosovo ihre Unabhängigkeit erklärt. Die USA und viele EU-Mitgliedsländer hatten ihre Anerkennung damals an Bedingungen geknüpft. Über einen Lenkungsrat wurde der Kosovo überwacht – das soll am 10. September auslaufen.

Von Dirk Auer | 20.08.2012
    Eine Flagge, der Zoll und schließlich ein Willkommensgruß der "Republik Kosovo" - an der mazedonisch-kosovarischen Grenze sind die üblichen Symbole eines unabhängigen Staates zu finden. Vertreter der internationalen Gemeinschaft kontrollieren den Grenzverkehr hier bei Blace längst nicht mehr. Und doch, so Petrit Selimi, stellvertretender Außenminister und Regierungssprecher, habe das offizielle Ende der internationalen Überwachung des Kosovo mehr als bloß symbolische Bedeutung.

    "Das Datum ist ein historisches Ereignis. Denn in weniger als fünf Jahren haben wir die Voraussetzungen für die Integration der serbischen Minderheiten sowie eine solide Basis für ökonomisches Wachstum und demokratische Institutionen geschaffen. Allein die Tatsache, dass Kosovo alle von der internationalen Gemeinschaft geforderten Standards erfüllt hat, ist etwas Historisches."

    Entsprechend groß soll am 10. September gefeiert werden. Doch spätestens am nächsten Tag werden die eingeladenen Diplomaten sicher auch wieder das größte der offenen Probleme ansprechen: dass Kosovo bis heute faktisch ein geteiltes Land ist. Denn ganz im Norden stellen die Serben die Mehrheit im ansonsten weitgehend albanischen Kosovo. Und sie wehren sich mit Demonstrationen, Straßenbarrikaden - und manchmal auch mit Waffengewalt - gegen jeden Versuch der kosovarischen Regierung, auf ihrem Gebiet Fuß zu fassen. Das sei alles eine Frage der Zeit, sagt Selimi. Er gibt sich gelassen:

    "Wir haben dieses Jahr im Norden ein Büro eröffnet, und über 600 Serben haben sich für die ausgeschriebenen Stellen beworben. Das heißt doch: Sie wollen kooperieren, sie wollen mit uns arbeiten für die wirtschaftliche Entwicklung und neue Beschäftigungsmöglichkeiten. Ich denke, dass es unter den dort lebenden Serben noch nie eine größere Bereitschaft gab, mit der kosovarischen Regierung zusammenzuarbeiten."

    Fährt man jedoch in den Norden, fällt es schwer, diesen Optimismus zu teilen. Überall hängen serbische Flaggen, kosovarische Symbole sucht man hier vergeblich. Und dass das so bleiben soll, kann man praktisch an jeder Straßenecke hören.

    "Ich bin kein Kosovare, ich bin Serbe. Wir wollen nicht Teil von dieser Republik Kosovo sein","

    sagt ein Mann. Und ein anderer fügt hinzu:

    ""Kosovo mag vielleicht existieren, aber wir akzeptieren das nicht. Niemals. Und wir werden weiter kämpfen, um ein Teil Serbiens zu bleiben."

    Weil sich an diesem ungelösten Konflikt seit Jahren praktisch nichts geändert hat, gibt es in Pristina nicht wenige, die sagen: Die internationale Gemeinschaft stiehlt sich zu früh aus ihrer Verantwortung. So etwa lautet die Schlussfolgerung eines vor Kurzem veröffentlichten Berichts der renommierten Denkfabrik KIPRED. Direktor Ilir Deda:

    "Der Norden wird von niemandem regiert. Aber wir wissen, dass es dort serbische Geheimdienstleute gibt, die die Entwicklung und Stabilität der Region unterminieren. Und deshalb denken wir, dass der internationale Rückzug die Schwäche des Westens und ein fehlendes Engagement für Kosovo zeigt. Und das vor dem Hintergrund einer Phase wachsender Spannungen, sowohl in Kosovo als auch der Region."

    Mit Sorge verfolgen die KIPRED-Mitarbeiter, was unter internationalen Diplomaten hinter vorgehaltener Hand diskutiert wird: Den Status von Nordkosovo mit Belgrad und Pristina noch einmal gesondert zu verhandeln, mit dem möglichen Ergebnis, den Nordkosovo-Serben eine noch stärkere Autonomie zu gewähren als ursprünglich von der internationalen Gemeinschaft vorgesehen. Ein gefährliches Spiel, findet Ilir Deda. Denn warum sollten sich dann albanischen Minderheiten in den Nachbarländern mit weniger Rechten zufriedengeben? Forderungen nach neuen Grenzen, nach dem Zusammenschluss der albanischen Siedlungsgebiete in Südserbien und Mazedonien mit dem Kosovo, wären die unausweichliche Folge.

    "Die Region ist am Kochen. Nur Bürokraten in Brüssel sehen das nicht. 22 Jahre nach dem Beginn des europäischen Engagements auf dem Balkan, brauchen wir aber jetzt eine entschiedene EU, die sich hier wirklich einsetzt für Stabilität, Frieden und Demokratie - und nicht auf kurzfristige Scheinlösungen setzt, die genau zum Gegenteil führen."