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Kosten-Nutzen-Analyse in Ankara

Die Türkei denkt über eine Beteiligung an der UNO-Truppe für den Nahen Osten nach. Ein Engagement könnte ihr Ansehen bei der EU deutlich erhöhen. Prekär wäre jedoch, wenn türkische Soldaten die Hisbollah entwaffnen sollen. Gunnar Köhne berichtet aus Istanbul.

    Cengiz Candar gehört in der Türkei zu den wenigen so genannten Nahost-Experten. Der Journalist hat lange in der Region gelebt und gearbeitet. Aber unter seinen Landsleuten, insbesondere unter der politischen Elite des Landes, ist das Interesse an den östlichen Nachbarn seit jeher gering. Die Türkei blickt nach Westen - und darum waren EU-Experten bislang mehr gefragt als Nahost-Kenner. Doch das hat sich seit der US-Invasion im Irak, vor allem aber seit dem jüngsten Libanon-Krieg geändert. Cengiz Candar ist von den Medien so gefragt wie selten zuvor. Denn in der Türkei tobt eine heftige Debatte um die Frage, ob sich das Land an der Libanon-Friedenstruppe beteiligen soll oder nicht. Candars Position ist eindeutig:

    "Ich war von Anfang an unmissverständlich dafür. Mein Motto ist: die türkische Armee nach Südlibanon, nicht in den Nordirak. Sie sollte auf keinen Fall, wie einige fordern, in den Nordirak einmarschieren, um gegen die PKK zu kämpfen, sondern sich an einer UN-Friedenstruppe im Libanon beteiligen. Damit würden wir zeigen, dass wir eine verantwortliche Rolle in der Region spielen wollen und können, und das wiederum würde unsere Bedeutung nicht zuletzt gegenüber der EU stärken."

    Genau dies scheint auch die Regierung anzunehmen. Außenminister Abdullah Gül bereiste in den vergangenen Tagen rastlos die Region. Die libanesische Regierung bekniete den Besucher geradezu, sich als moslemische Glaubensbrüder an dem UN-Einsatz zu beteiligen, und auch in Damaskus und Tel Aviv hörte der türkische Chefdiplomat nur Wohlwollen. Das hat offenbar bei den Türken den Ehrgeiz zu größeren Vermittlungsaufgaben geweckt: Ankara will helfen, die entführten israelischen Soldaten freizubekommen. Während sich Abdullah Gül in Tel Aviv mit der Familie eines von der Hisbollah entführten israelischen Soldaten traf, redete ein außenpolitischer Berater der Regierung in Damaskus heimlich mit dem Hamas-Führer Chaled Maschaal.

    Jahrzehntelang war die Türkei bei den arabischen Staaten nicht gut gelitten: als Nachfolgestaat des Osmanischen Reiches, das den Nahen und Mittleren Osten jahrhundertlang unterjochte, und als westliche Demokratie und NATO-Mitglied. Doch seit der Regierungsübernahme der religiösen AKP hat sich das Verhältnis entspannt. Die Tatsache etwa, dass vor zwei Wochen der saudische König Abdallah nach Ankara kam - der erste Besuch eines saudischen Herrschers in der Türkei seit 40 Jahren -, wertet Cengiz Candar als Wende in den arabisch-türkischen Beziehungen:

    "Saudi-Arabien ist sehr besorgt über den wachsenden Einfluss des Iran in der Region. Um dem Iran etwas entgegenzusetzen, braucht Riad die Türkei. Also: Die Türkei kann gar nicht anders, als sich in Zukunft stärker im Nahen Osten zu engagieren. Sie wird es tun, und zwar im Rahmen der westlichen Nahost-Politik."

    Zwar bleibt die endgültige Entscheidung dem Parlament in Ankara und nicht zuletzt der Militärführung vorbehalten, doch alles deutet daraufhin, dass sich die Türkei dem heftigen Werben des Westens nicht entziehen kann und Truppen in den Südlibanon entsenden wird - vorausgesetzt, das machte Ministerpräsident Erdogan klar, die Soldaten hätten nicht den Auftrag, die Hisbollah gewaltsam zu entwaffnen. Das würde nicht nur die gemäßigt religiöse Regierungspartei AKP, sondern auch weite Teile der Bevölkerung gegen die Regierung aufbringen. Ein Risiko, dass Erdogan vor den im nächsten Jahr anstehenden Parlamentswahlen nicht einzugehen gedenkt. Auf Istanbuls Straßen findet sich jedenfalls wenig Zustimmung:

    "Wir sollten da nicht hingehen. Das bringt uns nur Scherereien mit der einen oder anderen Seite."

    "Unsere Armee sollte sich da nicht einmischen. Wir sollten uns auf die humanitäre Hilfe konzentrieren, mehr nicht."

    "Wenn die Libanesen das wünschen - warum nicht? aber nur zur Friedenssicherung, nicht zum kämpfen."

    Sollte die nächste UN-Resolution der Friedenstruppe dennoch einen wie auch immer gearteten Kampfauftrag erteilen, will sich die Türkei, so heißt es in Ankara, auf die Ausbildung der libanesischen Armee konzentrieren. So könnte es in Zukunft sein, dass türkische Offiziere libanesische Rekruten trainieren, während nebenan in Israel Piloten aus der Türkei in israelischen F-16-Kampfjets üben. So sehen Vermittler aus - ob sie es sein wollen oder nicht.