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Kostenlose Medikamente für alle

Mit der europäischen Krankenversicherungskarte müssen die staatlichen Gesundheitssysteme Urlauber aus der EU behandeln wie Einheimische und die Urlauber müssen sich mit ihren Ansprüchen den örtlichen Voraussetzungen anpassen. In Spanien müssen sie ein staatliches Krankenhaus oder ein staatliches Arztzentrum aufsuchen.

Von Hans-Günter Kellner |
    Carlos García Cortázar hat einen harten Job. In der spanischen Vertretung vor der Europäischen Union in Brüssel, fern ab von seiner spanischen Heimat, soll er dafür sorgen, dass Europas Urlauber das spanische Gesundheitssystem nicht über Gebühr strapazieren. Seine schlimmste Vorstellung derzeit:

    "Stellen Sie sich einmal vor, ein britischer Pensionär klappert während seines Spanien-Urlaubs mal schnell 20 spanische Arztzentren ab und lässt sich überall Rezepte ausstellen. Da fährt er dann mit einem Koffer voller Medikamente für das ganze Jahr nach Hause. Wir bekämen das Geld von den britischen Behörden zwar wieder. Aber wir müssen doch trotzdem dafür sorgen, dass hier nicht betrogen wird."

    Die Befürchtung ist nicht aus der Luft gegriffen. 300.000 Urlauber aus Staaten der Union müssen jedes Jahr während ihres Spanien-Urlaubs zum Arzt. Grundsätzlich garantieren die Abkommen mit der EU Behandlungen in Notfällen. Doch kaum ein Arzt wagt es, Patienten abzuweisen. So werden in Spanien dann doch auch chronische Leiden behandelt, für die manche andere EU-Staaten Zuzahlungen verlangen. Ärzte in den Krankenhäusern der Küstenregionen berichten von organisierten Reisen für britische Patienten, die mit ihrer Gesundheitsfürsorge zu Hause nicht zufrieden sind. Gesundheitsökonom Manuel García Goñi von der Madrider Complutense-Universität meint darum:

    "Wenn jemand seine Steuern in einem anderen Land bezahlt, hier aber Gesundheitsleistungen in Anspruch nimmt, muss die sein Heimatland übernehmen. Wir können aus dieser Kasse ja nicht mehr herausnehmen, als wir einzahlen. Spanien muss unbedingt stärker darauf achten, dass diese internationalen Abkommen zur Kostenerstattung besser eingehalten werden."

    Doch bislang wussten die spanischen Behörden gar nicht, was genau eine konkrete Behandlung kostet. Die staatliche Gesundheitsfürsorge rechnet keine Kosten mit Krankenkassen ab, sondern finanziert sich aus Steuern. Dies erschwert es auch, die Therapiekosten ausländischer Patienten zu ermitteln. Und mit den Medikamenten, die europäische Rentner in Spanien verordnet bekommen, gibt es noch ein viel größeres Problem:

    "Der Arzt muss natürlich wissen, ob jemand Rentner ist oder nicht, um das entsprechende Rezept ausstellen zu können. Davon hängt ab, ob der Patient 40 Prozent zuzahlen muss oder die Medikamente umsonst bekommt. Auf der spanischen Gesundheitskarte ist das vermerkt. Auf der europäischen Karte steht davon aber nichts. Der Arzt müsste einem Patienten dann schlicht glauben, dass er Rentner ist. Oder er behandelt ihn eben wie einen ganz normalen Beschäftigten."

    Allerdings gab schon einmal ein einheitliches EU-Formular, auf dem vermerkt wurde, ob der Patient Rentner oder Beschäftigter ist, den sogenannten Auslandskrankenschein, offiziell "E-111" genannt. Er wurde 2004 durch die europäische Krankenversicherungskarte ersetzt, sagt Carlo García Cortázar, der Vertreter des spanischen Arbeitsministeriums in Brüssel:

    "Wir baten damals darum, dass auch auf der Karte angeben wird, ob jemand Rentner ist. Die Kommission hat nicht auf uns gehört. Wir haben vorgeschlagen, dann solle es ein einheitliches EU-Formular für Rentner geben. Das wollte die Kommission auch nicht. Statt dessen sagt sie, dass wir jede Art von Bescheinigung akzeptieren müssten. Da geht jemand aus Litauen in Cádiz zum Arzt - mit einer in Litauisch ausgestellten Bescheinigung. Was soll der Arzt denn damit machen? Das ist völlig unmöglich."

    Der spanische Verantwortliche gegenüber der EU-Kommission sieht der Klage der Union gelassen entgegen. Es gehe höchstens um das Geld der Heimatstaaten der Urlauber, wenn Spanien künftig ungeprüft Medikamente kostenlos ausgeben müsse, meint er:

    "Wir können ja nicht einfach allen Medikamente verteilen, die behaupten, Rentner zu sein. Die übrigen Mitgliedsstaaten könnten uns dann Leichtfertigkeit vorwerfen. Wenn der Europäische Gerichtshof uns aber auf Klage der Union dazu verurteilt, dann holen wir uns das Geld von den Herkunftsländern auch wieder. Natürlich machen wir das dann so."