Archiv


Kostenloses Studententaxi

Angefangen hat alles mit einem Foto, im November vor vier Jahren. Jeff Schiefelbein, damals 20 Jahre alt und Student an der A&M-Uni in Texas, war auf dem Weg von einer Party nach Hause betrunken Auto gefahren und von der Polizei erwischt worden. Führerschein weg, ein ganzer Haufen Geld gleich mit - und vor allem verdonnerte ihn der Richter zu einem Treffen mit einer Mutter, die ihre Tochter durch einen betrunkenen Autofahrer verloren hatte. Sie zeigte ihm ein Foto von ihrem Kind, erzählt Jeff:

    Die Tochter sah genauso aus wie eine meiner besten Freundinnen. Da wusste ich, dass ich etwas tun wollte, damit meine Freunde nicht den gleichen idiotischen Fehler machen wie ich.

    Die Lage der Partyhopper in Jeffs Unistadt College Station ist verzwickt: Die Kneipenmeile der Stadt liegt für viele Studenten zu weit weg, um sie ohne Auto zu erreichen. Doch es gibt so gut wie keine öffentlichen Busse, Taxis sind wesentlich teurer als in Deutschland und vom schmalen Studentenbudget kaum zu bezahlen. Jeffs Idee: Ein Taxidienst speziell für Studenten muss her, und zwar am besten kostenlos. Jeden Donnerstag, Freitag und Samstag Abend sollen ein paar Freiwillige bereit stehen, um das angeheiterte Partyvolk sicher nach Hause zu bringen - Anruf genügt. Ein Dreivierteljahr später hatte Jeff das "Projekt Carpool" auf die Beine gestellt.

    Meine Weihnachtsferien, meine Sommerferien und das ganze Frühlingssemester habe ich an dem Programm gearbeitet und quasi alles andere in meinem Leben ausgeblendet, um sicher zu gehen, dass diese Idee auch funktioniert. Ich habe mich so sehr da reingehängt, dass ich vier Tage nach dem Start von "Carpool" für eine Woche ins Krankenhaus musste, weil ich so lange nicht geschlafen hatte und so stark abgenommen.

    In der ersten Nacht hat Carpool 36 Kunden. Kein schlechter Start, finden die freiwilligen Taxifahrer, aber ausbaufähig. Vor allem muss der Service zuerst mit Gerüchten kämpfen, dass minderjährige Alkoholleichen an die Polizei ausgeliefert würden. Denn in den USA dürfen Jugendliche schon mit 16 Auto fahren, aber erst mit 21 Jahren Schnaps und Bier trinken - was dazu führt, dass viele jüngere Studenten illegal zechen.

    Am Anfang hieß es, die Polizei würde hinter uns herfahren und den Leuten einen Strafzettel geben, sobald die aussteigen. Aber tatsächlich sind die Polizisten begeistert von unserem Service. Sie rufen sogar regelmäßig bei uns an und bedanken sich dafür. Denn wenn ein Student mit uns fährt, statt sich selbst hinters Steuer zu setzen, dann gefährdet er sich nicht und niemanden sonst, sondern will einfach nach Hause und ins Bett.

    Inzwischen hat sich Carpool zu einem Großunternehmen gemausert, mit mehr als 25.000 Fahrten in drei Jahren und 240 Mitgliedern. Rund 200.000 Dollar kostet der Service pro Jahr. Davon werden unter anderem die Mietwagen bezahlt, das Apartment-Hauptquartier, die Handys, Benzin, Versicherungen und Druckkosten für Handzettel. Ein Großteil der Kosten kommt durch Sponsorenverträge in die Kasse und durch Spenden, zum Beispiel von der Uni, von Eltern und von einigen Studenten.

    Die Firmen der Stadt versorgen Carpool außerdem kostenlos mit Getränken und Pizza für die Einsatznächte. Um Nachwuchs muss sich Jeff deshalb keine Sorgen machen: Jedes Semester bewerben sich 500 neue Studenten als freiwillige Helfer. Und wer ausgesucht wird, zahlt sogar einen Semesterbeitrag von 20 Dollar, um dazugehören zu dürfen.

    Das ist immer ein Schock für Außenstehende, die können nicht begreifen, dass jemand sich seinen Freitag Abend um die Ohren schlägt, um andere Leute zu kutschieren, und dann auch noch dafür bezahlt. Aber unsere Mitglieder bekommen dafür unsere berühmten neon-grünen T-Shirts, die alle so klasse finden. Und sie können sehr coole Leute kennen lernen, tolle Autos fahren, bekommen Essen umsonst und Rabatte bei einer Reihe von Läden in der Stadt.

    In den vergangenen zwei Jahren hat Carpool eine Reihe von Auszeichnungen nach Hause gefahren, darunter den Preis "Studentische Organisation des Jahres" und den zweiten Platz im Wettbewerb für ehrenamtliche Organisationen in Texas. Drei andere Unis haben mit Jeffs Hilfe nach dem Vorbild von Carpool ähnliche Programme aufgebaut, und fast 50 weitere Hochschulen sind zurzeit in der Planungsphase für ein Studententaxi. Die Mutter, die Jeff ursprünglich zu seiner Idee inspiriert hat, ist sehr froh darüber, sagt er:

    Ich habe noch Kontakt zu ihr, und sie ist extrem stolz auf Carpool. Es hilft ihr ein bisschen über die schwere Zeit hinweg. Denn wer weiß, was ich mit den nächsten fünf Jahren meines Lebens angefangen hätte, wenn ich damals nicht mit ihr gesprochen hätte.

    [Autorin: Anette Kiefer]