Mitten im Züricher Niederdorf wird oben im zweiten Stock Theater gespielt, in einem alten Zunftsaal. Das 1966 von der Stadt gegründete "Theater am Neumarkt" widmet sich laut Statut der Pflege zeitgenössischer Bühnenkunst - sprich: hier werden Gegenwartsdramatiker aufgeführt, die damals, in den sechziger Jahren, am etablierten, großen Züricher Schauspielhaus offenbar noch nicht zum Zuge kamen.
Historisches Gebäude, wilde Dramatik: wie sollte das zusammengehen? Es ging, von gewissen Schwächeperioden abgesehen, sehr gut. Der Züricher Neumarkt avancierte schon bald zum Ort wichtiger Uraufführungen, und spätestens mit der Doppelintendanz von Stefan Müller und Volker Hesse Ende der neunziger Jahre war man auch im bundesrepublikanischen Theaterbetrieb als vollgültiges Mitglied angekommen - Theresia Walser hatte hier ihren Durchbruch mit "King Kongs Töchter".
Crescentia Dünßer und Otto Kukla, die bis 2004 das Theater leiteten, etablierten dann eine strenge, avantgardistische, oft videogestützte Ästhetik, die weniger das Erzählen von Geschichten als das Erkunden gesellschaftlicher Problemfelder zum Ziel hatte.
Seit 2004 residiert nun als Intendant der ehemalige Theaterkritiker Wolfgang Reiter, dessen Ensemble mit jeder neuen Inszenierung auch gleich eine neue Spielform erfinden will - das ist anstrengend, auch für das Publikum. Zum 40-jährigen Jubiläum kam man mit einem Abend heraus, der den Schauspielern alle Freiheiten lässt - das Stück spielt im Hotel, und der Dramaturg Dietmar Seiler beschreibt die Entstehung so:
"Das ist alles aus Material entwickelt worden, das die Schauspieler in Improvisationen erarbeitet haben. Und die Schauspieler entscheiden jeden Abend spontan, welche Szene sie spielen, wo sie ihre Kollegen unterbrechen, wo sie ihm ins Wort fallen, wo sie auch selber was abbrechen, wo sie nix tun und einfach schweigend dasitzen, und damit tragen sie eine andere und eine größere Verantwortung als manchmal sonst in den Inszenierungen."
Das heißt: man müsste das Stück gleich mehrmals sehen, um ermessen zu können, wie vorbereitete Versatzteile von den Schauspielern spontan und immer neu zusammengesetzt werden. Die Autorin Rebekka Kricheldorf, die für Straffung und Montage des improvisierten Materials verantwortlich zeichnet, hat bestimmte "Gelenkstellen" in den Text gebaut, an denen unterschiedliche Wege möglich sind. Aus Schauspielersicht: spreche ich den Kollegen X an, der immer etwas melancholisch in der Hotel-Lounge herumhängt und Zigaretten schnorren will, dann wird der wahrscheinlich einen längeren Monolog halten, eine Karl-May-Geschichte vielleicht, oder er wird einen Witz erzählen. Oder er will nicht und lässt einen abblitzen und spielt den Ball zurück.
So kann man sich durch den Abend hangeln, bei hohem Risiko. Bei der Premiere waren vor allem zu Beginn die Suchbewegungen spürbar, lange Stille, lange Pausen, bevor dann so etwas wie Situationskomik sich einstellte, kleine Pointen, witzige Repliken. Vor allem der von dem spillerigen Christoph Rath gespielte Hotel-Portier glänzt durch feine Ironie gegenüber all den verlorenen Gestalten in seinem Foyer: Er ist der Zeremonienmeister, der Dirigent der Aufführung.
In der Hotelhalle sieht man ein Geschwisterpaar, das einen Selbstmörder betrauert, eine Frau, die von der Insel Gouadeloupe träumt, eine verkorkste Mutter-Tochter-Beziehung, diverse sexuelle Angebote - und ein Mädchen, das ins Kloster will. Die Flüchtigkeit all dieser Kommunikations-Ansätze zeigt natürlich pathogene Grundformen von Gesellschaft auf; was daran spezifisch heutig sein soll, bleibt allerdings unklar. Es werden nur dramaturgische Bröckchen aneinandergereiht.
Erste Jubliäums-Diagnose: das Misstrauen gegen das etablierte Sprechtheater mit seinen kanonisierten Texten ist in der aktuellen Theaterszene mittlerweile zur Mode, zur Pose geworden. Seit freie Gruppen die gutsubventionierten Stadttheater geentert haben, gefällt man sich auch dort in avantgardistischem Getue - der theatrale Dauer-Amokläufer René Pollesch und die dokumentaristischen Verfremder von "Rimini Protokoll" sind nur die Spitze des Eisbergs.
In Zürich geht das Publikum relativ nachsichtig mit der Experimentierwut um: es beklatschte auch die durchwachsene "Hotel Disparu"-Aufführung freundlich. Der Verwaltungsrat des Neumarkt-Theaters ist da etwas strenger: der bis zum Jahr 2008 laufende Vertrag des Intendanten Wolfgang Reiter wurde nicht verlängert. Ein Zuviel an Schauspieler-Selbsterfahrung kann offenbar auch Langeweile auslösen.
Historisches Gebäude, wilde Dramatik: wie sollte das zusammengehen? Es ging, von gewissen Schwächeperioden abgesehen, sehr gut. Der Züricher Neumarkt avancierte schon bald zum Ort wichtiger Uraufführungen, und spätestens mit der Doppelintendanz von Stefan Müller und Volker Hesse Ende der neunziger Jahre war man auch im bundesrepublikanischen Theaterbetrieb als vollgültiges Mitglied angekommen - Theresia Walser hatte hier ihren Durchbruch mit "King Kongs Töchter".
Crescentia Dünßer und Otto Kukla, die bis 2004 das Theater leiteten, etablierten dann eine strenge, avantgardistische, oft videogestützte Ästhetik, die weniger das Erzählen von Geschichten als das Erkunden gesellschaftlicher Problemfelder zum Ziel hatte.
Seit 2004 residiert nun als Intendant der ehemalige Theaterkritiker Wolfgang Reiter, dessen Ensemble mit jeder neuen Inszenierung auch gleich eine neue Spielform erfinden will - das ist anstrengend, auch für das Publikum. Zum 40-jährigen Jubiläum kam man mit einem Abend heraus, der den Schauspielern alle Freiheiten lässt - das Stück spielt im Hotel, und der Dramaturg Dietmar Seiler beschreibt die Entstehung so:
"Das ist alles aus Material entwickelt worden, das die Schauspieler in Improvisationen erarbeitet haben. Und die Schauspieler entscheiden jeden Abend spontan, welche Szene sie spielen, wo sie ihre Kollegen unterbrechen, wo sie ihm ins Wort fallen, wo sie auch selber was abbrechen, wo sie nix tun und einfach schweigend dasitzen, und damit tragen sie eine andere und eine größere Verantwortung als manchmal sonst in den Inszenierungen."
Das heißt: man müsste das Stück gleich mehrmals sehen, um ermessen zu können, wie vorbereitete Versatzteile von den Schauspielern spontan und immer neu zusammengesetzt werden. Die Autorin Rebekka Kricheldorf, die für Straffung und Montage des improvisierten Materials verantwortlich zeichnet, hat bestimmte "Gelenkstellen" in den Text gebaut, an denen unterschiedliche Wege möglich sind. Aus Schauspielersicht: spreche ich den Kollegen X an, der immer etwas melancholisch in der Hotel-Lounge herumhängt und Zigaretten schnorren will, dann wird der wahrscheinlich einen längeren Monolog halten, eine Karl-May-Geschichte vielleicht, oder er wird einen Witz erzählen. Oder er will nicht und lässt einen abblitzen und spielt den Ball zurück.
So kann man sich durch den Abend hangeln, bei hohem Risiko. Bei der Premiere waren vor allem zu Beginn die Suchbewegungen spürbar, lange Stille, lange Pausen, bevor dann so etwas wie Situationskomik sich einstellte, kleine Pointen, witzige Repliken. Vor allem der von dem spillerigen Christoph Rath gespielte Hotel-Portier glänzt durch feine Ironie gegenüber all den verlorenen Gestalten in seinem Foyer: Er ist der Zeremonienmeister, der Dirigent der Aufführung.
In der Hotelhalle sieht man ein Geschwisterpaar, das einen Selbstmörder betrauert, eine Frau, die von der Insel Gouadeloupe träumt, eine verkorkste Mutter-Tochter-Beziehung, diverse sexuelle Angebote - und ein Mädchen, das ins Kloster will. Die Flüchtigkeit all dieser Kommunikations-Ansätze zeigt natürlich pathogene Grundformen von Gesellschaft auf; was daran spezifisch heutig sein soll, bleibt allerdings unklar. Es werden nur dramaturgische Bröckchen aneinandergereiht.
Erste Jubliäums-Diagnose: das Misstrauen gegen das etablierte Sprechtheater mit seinen kanonisierten Texten ist in der aktuellen Theaterszene mittlerweile zur Mode, zur Pose geworden. Seit freie Gruppen die gutsubventionierten Stadttheater geentert haben, gefällt man sich auch dort in avantgardistischem Getue - der theatrale Dauer-Amokläufer René Pollesch und die dokumentaristischen Verfremder von "Rimini Protokoll" sind nur die Spitze des Eisbergs.
In Zürich geht das Publikum relativ nachsichtig mit der Experimentierwut um: es beklatschte auch die durchwachsene "Hotel Disparu"-Aufführung freundlich. Der Verwaltungsrat des Neumarkt-Theaters ist da etwas strenger: der bis zum Jahr 2008 laufende Vertrag des Intendanten Wolfgang Reiter wurde nicht verlängert. Ein Zuviel an Schauspieler-Selbsterfahrung kann offenbar auch Langeweile auslösen.