"OpenGL ist eine äußerst umfangreiche Schnittstelle zwischen Grafikanwendungen und beliebigen Hardwareplattformen", erläutert Frieder Naake, Computergrafiker und Bremer Hochschullehrer. Seine Spezialität liegt auf dem Gebiet fotorealistischer Darstellungen, die heute vor allem in Computerspielen sehr gefragt sind. Wenn die Natur so lebenstreu nachgebildet werden soll, sind Höchstleistungen der Rechner gefragt, um in Echtzeit bestmögliche Darstellungen zu liefern. "Wenn ich eine Szene mit Beleuchtung auf ein Bild bringe, dann wird letztlich jedes Objekt in Dreiecke aufgelöst. Mit so genannten Vertex-Shadern kann jetzt eine einzelne solche Ecke als programmierbare Hardware behandelt werden." Der Programmierer schreibt so nur noch seine Dreiecksdaten in die Register des Vertex-Shaders . Die bildhafte Darstellung der Szenen, die einst rechenintensive Aufgabe von Programmen, erledigen heute moderne Grafikchips separat vom Prozessor. Auch im Open-Source-Sektor interessieren sich Entwickler seit langem für die Schnittstelle, doch die patentrechtliche Situation verunsichere die Szene der freien Software, berichtet Daniel Riek vom Linuxverband Deutschland: "Wer solche Open-Source-Software schreibt, gibt jedem das Recht, diese Software zu verändern, weiterzugeben, zu kopieren, zu verkaufen oder zu verschenken. Entsprechend gibt es auch keine Einnahmen aus Lizenzverkäufen und damit auch nicht die Möglichkeit, etwas an den Patentinhaber abzuführen", so Riek.
Diese Lizenzproblematik wird durch den Abschied von Microsoft aus dem OpenGL-Konsortium jetzt noch weiter verschärft. So machte das Unternehmen bereits vor einem halben Jahr Lizenzansprüche an verschiedenen Ansteuerungsroutinen von Grafikkarten in OpenGL geltend. So befürchteten Experten sogar, dass möglicherweise auch Vertex-Shader damit eigentlich alleiniges Microsofteigentum sein könnten und nicht mehr von der breiten Entwicklergemeinde benutzt werden dürften. Allerdings bewahrheiteten sich diese Ängste nicht. Microsoft erwarb jedoch im Januar vergangenen Jahres vom Konsortiumsmitbegründer Silicon Graphics Lizenzen in Höhe von rund sieben Millionen US-Dollar. Dabei handelt es sich um Rechte vor allem an einer Softwarebibliothek zu 3D-Funktionen, mit denen einzelne Bildpunkte sehr schnell angesteuert werden können. Diese Routinen besitzen sowohl in der Spieleprogrammierung als auch bei professionellen Anwendung virtueller Realitäten besondere Bedeutung, da dort die schnelle Pixelansteuerung sehr oft verwendet wird. Allerdings kann Microsoft die Lizenzen nicht ohne weiteres aus dem Konsortium abziehen. Die Verträgen sehen vor, dass die Partner des Gremiums weiterhin Gelegenheit besitzen müssen, die Lizenzen nutzen zu dürfen. Experten befürchten jedoch, dass Microsoft die Kosten hierfür immer weiter in die Höhe schrauben könnte, ohne dass das Konsortium dem etwas entgegnen könnte. Wird indes die neueste Fassung der Schnittstelle, OpenGL 2.0, rasch fertig gestellt, dann werden einige der an Microsoft gefallenen Lizenzen obsolet. Doch die Chancen hierfür sind eher gering, da die Mitglieder bereits seit über einem dreiviertel Jahr keine greifenden Fortschritte erzielen konnten.
Die Entwicklergemeinde zeigt sich angesichts der Entwicklungen rund um das OpenGL-Konsortium und die Programmierschnittstelle besorgt und enttäuscht. Dabei steht einmal mehr vor allem Microsoft im Fokus der Kritik. So forderte Dirk Reimers, der hierzulande Open-Graphics-Anwendungen stark vorantrieb, gar eine Abkehr von den Unternehmen des Konsortiums, da sie über die Zukunft der Basis für alle virtuellen 3D-Welten entscheiden könnten. Auch äußersten Stimmen, man solle das Konsortium nach dem Vorbild des "Szenegraph"-Vorhabens radikal zu einer Initiative umstrukturieren. Den darin zusammengeschlossenen Entwicklern von Animationen war es bereits vor längerem gelungen, ihr eigenes Konsortium weitgehend unabhängig von Unternehmen zu machen und nur noch das Open-Source-Modell für ihr Tätigkeitsfeld zu verfolgen.
[Quelle: Peter Welchering, Holger Bruns]