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Krach im virtuellen Pixelreich

Mit dem mehrspurigen Ausbau der Datenautobahn und immer weniger ausgelasteten Hightech-Rechnern auf fast jedem Schreibtisch kommt dreidimensionaler Grafik, räumlichen Animationen und der Virtuellen Realität immer mehr Bedeutung zu. Dabei geht es mitnichten nur um immer detailliertere Computerspiele, vielmehr verlangen auch industrielle Anwendungen nach lebensechten virtuellen Umgebungen. Zentrale Bedeutung kommt dabei der Programmierschnittstelle OpenGL zu, aus der die realistischen Räume von Lara Croft wie von Hochbauarchitekten oder Autobauern gleichermaßen erschaffen werden. Nach langem Ringen setzte vor zwei Jahren ein Gremium die Spezifikationen für OpenGL quasi als Standard durch, der selbst von der Open-Source-Gemeinde akzeptiert und unterstützt wurde. Besonders wichtig war dabei, dass Branchenriesen wie Silicon Graphics und Microsoft dabei mit von der Partie sind. Doch mit der Einigkeit hat es jetzt ein Ende: Microsoft verlässt das OpenGL-Konsortium.

    Bis vergangenen Donnerstag war die Welt der virtuellen Räume noch wohl geordnet und teilte sich in zwei klar voneinander getrennte Reiche: Einerseits beherrschte das allgewaltige Unternehmen Microsoft mit dem hauseigenen Grafikstandard DirectX den riesigen Bereich der bebilderten Unterhaltungssoftware und der rasanten Spiele. Der Sektor der Industrie und der professionellen Anwendung dreidimensionaler virtueller Welten setzte dagegen nahezu einmütig auf die Programmierschnittstelle OpenGL. Beide Felder profitierten dabei von der Vereinheitlichung, die Programmierern das Leben erleichterte, weil ihnen eine gemeinsame Basis für alle grafischen Probleme zur Verfügung stand. Doch damit könnte es bald vorbei sein, denn seit Donnerstag spielt Microsoft nicht mehr mit im Takt des OpenGL-Gremiums. Stattdessen verfolgen die Redmonder jetzt mit Direct3D einen eigenen Ansatz in der grafischen Programmierung. Für die Entwickler dürfte das allerdings vor allem mehr Aufwand und höhere Kosten verursachen, da am Marktführer bislang kein Weg vorbei führte und der neue Standard in Projekten zukünftig berücksichtigt werden muss. Experten sehen bereits noch düstere Wolken am virtuellen Pixelhimmel aufziehen. So drohe gar die bislang über OpenGL bestehende Programmier- und Entwicklungsgrundlage zu zerfallen und stattdessen in immer mehr, untereinander inkompatible Speziallösungen aufzugehen.

    "OpenGL ist eine äußerst umfangreiche Schnittstelle zwischen Grafikanwendungen und beliebigen Hardwareplattformen", erläutert Frieder Naake, Computergrafiker und Bremer Hochschullehrer. Seine Spezialität liegt auf dem Gebiet fotorealistischer Darstellungen, die heute vor allem in Computerspielen sehr gefragt sind. Wenn die Natur so lebenstreu nachgebildet werden soll, sind Höchstleistungen der Rechner gefragt, um in Echtzeit bestmögliche Darstellungen zu liefern. "Wenn ich eine Szene mit Beleuchtung auf ein Bild bringe, dann wird letztlich jedes Objekt in Dreiecke aufgelöst. Mit so genannten Vertex-Shadern kann jetzt eine einzelne solche Ecke als programmierbare Hardware behandelt werden." Der Programmierer schreibt so nur noch seine Dreiecksdaten in die Register des Vertex-Shaders . Die bildhafte Darstellung der Szenen, die einst rechenintensive Aufgabe von Programmen, erledigen heute moderne Grafikchips separat vom Prozessor. Auch im Open-Source-Sektor interessieren sich Entwickler seit langem für die Schnittstelle, doch die patentrechtliche Situation verunsichere die Szene der freien Software, berichtet Daniel Riek vom Linuxverband Deutschland: "Wer solche Open-Source-Software schreibt, gibt jedem das Recht, diese Software zu verändern, weiterzugeben, zu kopieren, zu verkaufen oder zu verschenken. Entsprechend gibt es auch keine Einnahmen aus Lizenzverkäufen und damit auch nicht die Möglichkeit, etwas an den Patentinhaber abzuführen", so Riek.

    Diese Lizenzproblematik wird durch den Abschied von Microsoft aus dem OpenGL-Konsortium jetzt noch weiter verschärft. So machte das Unternehmen bereits vor einem halben Jahr Lizenzansprüche an verschiedenen Ansteuerungsroutinen von Grafikkarten in OpenGL geltend. So befürchteten Experten sogar, dass möglicherweise auch Vertex-Shader damit eigentlich alleiniges Microsofteigentum sein könnten und nicht mehr von der breiten Entwicklergemeinde benutzt werden dürften. Allerdings bewahrheiteten sich diese Ängste nicht. Microsoft erwarb jedoch im Januar vergangenen Jahres vom Konsortiumsmitbegründer Silicon Graphics Lizenzen in Höhe von rund sieben Millionen US-Dollar. Dabei handelt es sich um Rechte vor allem an einer Softwarebibliothek zu 3D-Funktionen, mit denen einzelne Bildpunkte sehr schnell angesteuert werden können. Diese Routinen besitzen sowohl in der Spieleprogrammierung als auch bei professionellen Anwendung virtueller Realitäten besondere Bedeutung, da dort die schnelle Pixelansteuerung sehr oft verwendet wird. Allerdings kann Microsoft die Lizenzen nicht ohne weiteres aus dem Konsortium abziehen. Die Verträgen sehen vor, dass die Partner des Gremiums weiterhin Gelegenheit besitzen müssen, die Lizenzen nutzen zu dürfen. Experten befürchten jedoch, dass Microsoft die Kosten hierfür immer weiter in die Höhe schrauben könnte, ohne dass das Konsortium dem etwas entgegnen könnte. Wird indes die neueste Fassung der Schnittstelle, OpenGL 2.0, rasch fertig gestellt, dann werden einige der an Microsoft gefallenen Lizenzen obsolet. Doch die Chancen hierfür sind eher gering, da die Mitglieder bereits seit über einem dreiviertel Jahr keine greifenden Fortschritte erzielen konnten.

    Die Entwicklergemeinde zeigt sich angesichts der Entwicklungen rund um das OpenGL-Konsortium und die Programmierschnittstelle besorgt und enttäuscht. Dabei steht einmal mehr vor allem Microsoft im Fokus der Kritik. So forderte Dirk Reimers, der hierzulande Open-Graphics-Anwendungen stark vorantrieb, gar eine Abkehr von den Unternehmen des Konsortiums, da sie über die Zukunft der Basis für alle virtuellen 3D-Welten entscheiden könnten. Auch äußersten Stimmen, man solle das Konsortium nach dem Vorbild des "Szenegraph"-Vorhabens radikal zu einer Initiative umstrukturieren. Den darin zusammengeschlossenen Entwicklern von Animationen war es bereits vor längerem gelungen, ihr eigenes Konsortium weitgehend unabhängig von Unternehmen zu machen und nur noch das Open-Source-Modell für ihr Tätigkeitsfeld zu verfolgen.

    [Quelle: Peter Welchering, Holger Bruns]