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Krach stresst Wale

US-amerikanische Wissenschaftler haben nachweisen können, dass Wale durch den Lärm von Schiffen großem Stress ausgesetzt sind. Schallemissionen im Meer gelten als eine mögliche Ursache dafür, dass Wale orientierungslos an Land stranden und verenden.

Von Christine Westerhaus | 28.03.2012
    Die Terroranschläge vom 11. September 2001 haben Scott Kraus und seinen Kollegen ideale Versuchsbedingungen verschafft. Die Forscher vom New England Aquarium in Boston waren gerade an der kanadischen Ostküste in der Bay of Fundy unterwegs. Sie sammelten dort den Kot von Atlantischen Nordkapern. Die Wissenschaftler wollten herausfinden, ob sie an den Fäkalien dieser Wale genaueres über die Lebensweise der Tiere ablesen können. Erst später wurde den Forschern bewusst, dass die Anschläge das Meer in einen Ort der Stille verwandelt hatten.

    "Nach dem 11. September hat die Regierung die meisten Häfen an der Ostküste der USA für ein paar Tage geschlossen und daher waren kaum Schiffe unterwegs. Es war also sehr ruhig im Ozean. Eine Forscherin aus unserem Team kam dann auf die geniale Idee, dass wir doch nachschauen könnten, ob sich das auch in den Kotproben der Wale bemerkbar macht. Wir haben deshalb die Konzentration der Stresshormone in den Fäkalien in der Zeit vor und nach den Terroranschlägen untersucht."

    Tatsächlich konnten die Forscher nachweisen, dass die Tiere in den Tagen nach den Anschlägen weniger gestresst waren. Als der Schiffsverkehr nach der Zwangspause wieder zunahm, stieg die Konzentration der Stresshormone im Kot der Tiere wieder sprunghaft an. In den vier darauf folgenden Jahren blieb dieser Wert hoch oder stieg sogar noch weiter an. Doch nicht nur in der Bay of Fundy müssen die Meerestiere mit Dauerkrach leben. Auch weiter südlich, in der Cape Cod Bay an der Ostküste der USA, können sich Wale kaum noch verständigen.

    "In der Cape Cod Bay ist der Geräuschpegel in den vergangenen Jahren stark angestiegen. Die Reichweite, in der sich die Tiere dort orientieren und verständigen können, hat sich dadurch um 90 Prozent verringert. Und das nur, weil der Schiffsverkehr so stark zugenommen hat."

    Weil die Sichtweite im Wasser sehr eingeschränkt ist, verlassen sich Wale bei der Orientierung weitgehend auf ihr Gehör. Auch untereinander kommunizieren die Tiere akustisch.

    "Der Schiffsverkehr ist kontinuierlich und erzeugt einen dauerhaften Lärmpegel. Dieser chronische Krach beunruhigt uns am meisten denn er führt dazu, dass die Wale nur noch eingeschränkt kommunizieren können. Sie haben dadurch weniger Gelegenheiten, sich zu paaren, zu jagen, ihre Feinde oder sich nähernde Schiffe rechtzeitig zu erkennen und der Krach kann auch Navigationsfehler verursachen."

    Untersuchungen anderer Forscher haben ebenfalls gezeigt, dass laute Umgebungsgeräusche das Verhalten von Walen stören. Sie rufen lauter, ändern die Frequenz ihrer Töne oder kommunizieren gar nicht mehr. Dass diese Verhaltensänderungen zu Stress führen, ist naheliegend. Doch Scott Kraus und seine Kollegen sind die Ersten, die das auch physiologisch nachweisen konnten:

    "Das wichtigste Ergebnis dieser Studie ist, dass wir einen Zusammenhang zwischen einem hohen Geräuschpegel und chronischem Stress sehen. Bei Menschen führt dieser chronische Stress zu gesundheitlichen Schäden und das kann auch bei Walen der Fall sein. Wir wollen deshalb als nächstes untersuchen, ob die Tiere weniger Nachkommen zur Welt bringen oder früher sterben."

    Scott Kraus und seine Kollegen werden sich also auch in Zukunft auf die Jagd nach Wal-Kot machen. Damit sie nicht lange suchen müssen, helfen ihnen Spürhunde an Bord der Forschungsschiffe. Die Wissenschaftler haben die Tiere darauf trainiert, laut zu bellen, wenn sie die an der Wasseroberfläche schwimmenden Fäkalien riechen.