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Kräftemessen der Supermächte in Berlin

Angesichts der Massenflucht aus der DDR ließ die Sowjetunion im August 1961 die Grenze zu den Westsektoren Berlins abriegeln. Die Lage in Berlin blieb weiter gespannt und spitzte sich zu, als im Oktober amerikanische Panzer am Grenzübergang Friedrichstraße auffuhren.

Von Winfried Sträter | 25.10.2011
    Berlin stand seit 1945 unter Viermächteverwaltung. Deshalb waren amerikanische, britische, französische und sowjetische Truppen in Berlin stationiert. Waren die Westmächte wirklich entschlossen, ihre Rechte in Berlin zu verteidigen? Am 25. Oktober 1961 begann die Machtprobe, die über das weitere Schicksal West-Berlins entscheiden sollte.

    "Immer wieder wird demonstriert, dass Berlin unter Viermächtestatus steht. Ein amerikanischer Privatwagen ist soeben wieder zurückgeschickt worden von den östlichen Kontrollposten, und jetzt fährt er, begleitet von amerikanischen Jeeps, mit Soldaten besetzt und aufgepflanzten Bajonetten unangefochten in den Sowjetsektor."

    Das Personal der Alliierten hatte das Recht, sich frei innerhalb ganz Berlins zu bewegen. Am 22. Oktober 1961 aber kam es zum Eklat: Der amerikanische Diplomat Edwin A. Lightner und seine Frau wurden am Grenzübergang Friedrichstraße an der Weiterfahrt gehindert, weil sie sich weigerten, DDR-Grenzpolizisten ihre Ausweise zu zeigen. Ein Bruch des Viermächtestatus von Berlin.

    US-Präsident Kennedy hatte kurz zuvor General Lucius D. Clay nach Berlin geschickt - jenen Mann, der 1948 die Luftbrücke durchgesetzt hatte. Clay durchschaut die Taktik Ulbrichts und erkennt, was auf dem Spiel steht: der Viermächtestatus Berlins. Zwei Monate nach dem Bau der Mauer hat der Kampf um die DDR-Hoheit über ganz Berlin begonnen.

    "Ein Kontrollposten, wie ich sehen kann, versucht den in der Mitte fahrenden Privatwagen aufzuhalten, aber er wird nicht aufgehalten."

    Am 23. Oktober befiehlt das DDR-Innenministerium: Zivile Angehörige der US-Militärmission dürfen nicht mehr ohne Ausweiskontrolle nach Ost-Berlin gelassen werden. Am 25. Oktober beginnt die militärische Machtprobe. General Clay lässt Panzer am Grenzübergang auffahren und erzwingt die Durchfahrt von US-Zivilisten durch den Grenzübergang. Reporter Erich Nieswandt berichtet für den West-Berliner Rundfunksender RIAS:

    "Es wird weitergefahren, drüben die Kontrollposten sind jetzt sehr aufgeregt, die Offiziere rennen durcheinander, diese ganze Aktion wird geschützt von dem Schützenpanzer, der jetzt vorgefahren ist direkt an die Zimmerstraße, und sein schweres Maschinengewehr deckt die einfahrende Kolonne, und über uns kreisen unaufhörlich zwei Hubschrauber der amerikanischen Armee, die das Bild von oben beobachten."

    Zwei Tage später, am 27. Oktober, folgt die östliche Reaktion: Sowjetische Panzer rollen zum Grenzübergang. Drohend stehen sich die Streitkräfte der beiden Supermächte gegenüber. Am Brandenburger Tor bringen die britischen Streitkräfte Raketen in Stellung.

    "Und in der Friedrichstraße östlich und westlich ist jetzt das Licht angegangen, und diese Szenerie bekommt dadurch etwas sehr Diffuses, etwas sehr Gefährliches, etwas Makabres."

    Die Angst vor einem Atomkrieg geht um. Den will niemand riskieren: weder US-Präsident Kennedy noch der sowjetische Staats- und Parteichef Chruschtschow. Über Geheimdienstkanäle wird verhandelt.

    "Drüben rennt man ziemlich durcheinander, Offiziere laufen über die Straßen, laufen zu dem kleinen grünen Häuschen ... und telefonieren."

    Kennedy fordert Chruschtschow zur Deeskalation auf und versichert, dass die USA ihre Streitkräfte zurückziehen würden. Chruschtschow antwortet nicht, aber er reagiert: Am
    28. Oktober lässt er die Panzer zurückrollen. Als die USA ebenfalls ihre Panzer zurückziehen, ist die Krise beendet.

    "Weiter hinten am Halleschen Tor sind noch einige amerikanische Einheiten, sie liegen dort in Bereitschaft, sie haben es sich gemütlich gemacht, und für die Berliner ist es beinahe so etwas wie ein Volksfest, sie dürfen auf die Panzer klettern - beinahe so wie am Tag der Streitkräfte, wo jeder Berliner diese Möglichkeit hat."

    Für SED-Chef Walter Ulbricht bedeutet das Ende des Machtkampfs eine bittere Niederlage. Durch einen Friedensvertrag mit der Sowjetunion wollte Ulbricht die Kontrollrechte der DDR über ganz Berlin erhalten. Doch nach der Eskalation am Checkpoint Charlie legte Chruschtschow diesen Plan zu den Akten. Nun war zwar die Grenze abgeriegelt, die Mauer wurde gebaut - aber das freie West-Berlin blieb bestehen.