Libellen bringen es auf eine Spannweite von 70 Zentimetern, ein Kakerlaken-Ahne erreicht eine Größe von einem halben Meter, und zahllose Beine trugen den zweieinhalb Meter großen "Tausendfüßer" Arthropleura durch den Wald. Vor rund 300 Millionen Jahren waren Insekten und ihre Verwandten sehr viel größer als heute. Die Ursache für diesen Riesenwuchs liegt in der Atmosphäre: Der Sauerstoffgehalt betrug nicht 21 Prozent, sondern ungewöhnliche 30 bis 35 Prozent, weil im Karbon die Entstehung der mächtigen Kohleflöze der Atmosphäre dauerhaft gewaltige Mengen an Kohlendioxid entzog. Wie aber reagiert die Umwelt auf so hohe Sauerstoffgehalte? David Beerling von der University of Sheffield:
Die Enzyme, die die Pflanze bei der Photosynthese benutzt, arbeiten bei hohen Sauerstoffgehalten schlechter. Also geht die Photosyntheserate zurück. Pflanzen, die in einer sauerstoffreichen Atmosphäre gezogen wurden, haben geringere Wachstumsraten.
Wie stark die Photosynthese – und damit das Wachstum – zurückgeht, hängt davon ab, wie viel Kohlendioxid noch in der Atmosphäre zurückgeblieben ist. Berechnungen zufolge ist die Produktion der Biomasse etwa um 40 Prozent gesunken. Dass der Sauerstoffgehalt wirklich auf mehr als ein Drittel in der Atmosphäre angestiegen war, das belegen Isotopenuntersuchungen:
Wir sehen eine Veränderung in der Zusammensetzung der Kohlenstoff-Isotope C12 und C13. Bei hohem Sauerstoffgehalt wird die leichtere Varianten noch stärker eingebaut als ohnehin schon von den Pflanzen. Das belegen unsere Wachstumsexperimente, und diese Ergebnisse lassen sich auch an sehr gut erhaltenen fossilen Blättern aus der Zeit vor 280 Millionen Jahren nachweisen. Wir sehen eine Isotopenverschiebung, die mit dem höheren Sauerstoffgehalt übereinstimmt.
Das Plus an Sauerstoff wirkt auch auf die Tierwelt. Nur so ist der Riesenwuchs von Insekten möglich. Insekten atmen über Tracheen, aber diese Methode beruht auf der Diffusion von Sauerstoff aus der Luft ins Blut. Das ist nicht sonderlich effizient. Deshalb gibt es bei Insekten einen direkten Zusammenhang zwischen Sauerstoffgehalt der Luft und ihrer Körpergröße. Ist mehr Sauerstoff in der Atmosphäre, werden die Insekten größer – und das belegen nicht nur die Fossilien. Auch im Experiment lässt sich das nachweisen, erklärt Robert Dudley von der University of California in Berkeley:
Wir haben ein sehr einfaches Experiment mit fünf Generationen von Fruchtfliegen durchgeführt, die in einer Atmosphäre mit mehr als 30 Prozent Sauerstoff lebten. Verglichen mit einer Gruppe von Kontrollinsekten hatten wir einen durchschnittlichen Anstieg von rund 15 Prozent Körpermasse.
Mehr Sauerstoff gleich mehr Wachstum, so ist die einfache Gleichung. Am Ende des Erdaltertums vor 280 Millionen Jahren galt das aber nicht nur für die Insekten.
Wir kennen auch Beispiele für sehr große, gigantische Amphibien. Die waren reine Landlebewesen und reine Fleischfresser. Sie hatten große, hässliche Zähne und haben wahrscheinlich viele dieser Rieseninsekten gefressen. Die Amphibien sind deshalb interessant, weil auch ihre Lungen nicht sonderlich effizient funktionieren. Die großen Amphibien dieser Zeit hingen also davon ab, dass sie auch durch ihre Haut zusätzlich Luft in ihren Körper aufnehmen können. Das heißt, wenn der Sauerstoffgehalt in der Luft steigt, können auch diese Amphibien größer werden.
Bei heutigen Sauerstoffgehalten hätten es diese Tiere niemals geschafft, rein auf dem Land zu leben. Diese direkte Abhängigkeit vom Sauerstoffgehalt war dann auch entscheidend für das Schicksal all dieser Großformen – ob Insekt oder Amphibium – sie alle verschwanden, als der Sauerstoffanteil der Luft wieder sank. Das war das Ende einer bizarren Welt.