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Kraftakt für neue Bestrahlungstherapien

Der Sturm wütete noch über dem Südwesten Deutschlands, da genehmigten die zuständigen Behörden einen polizeibegleiteten Schwertransport von Mannheim nach Heidelberg. Auf Sattelschleppern wurde gestern das 35 Tonnen schwere letzte Teil für die neue Gantry-Konstruktion des Heidelberger Schwerionen-Therapie-Zentrums angeliefert. Fertig aufgebaut soll die drei Stockwerke hohe Anlage krebskranke Patienten aus allen Richtungen bestahlen können.

Von Klaus Herbst |
    Der Sattelschlepper mit dem 35 Tonnen schweren sechsten und letzten Bauteil für die Strahlführungsanlage Gantry brauchte über die Autobahn von Mannheim nur eine Stunde bis zur Baustelle. Per Schiff waren alle sechs Bauteile über Antwerpen aus Alexandria nach Mannheim gekommen. In Ägypten sind sie bei der MAN-Tochter Ferrostaal hergestellt worden. Gestern gegen 17:00 Uhr schwenkte im Heidelberger Neuenheimer Feld, auf dem Klinikgelände, ein Bauarbeiter sein Feuerzeug und signalisierte: Der Schwertransport mit dem letzten Gantry-Teil ist im Anrollen. Fast wäre der Transport am Sturm gescheitert. Der technische Leiter Klaus Staab:

    "Wir hätten die Teile nicht durchgebracht, und hier ist es so, dass eine Mannschaft von 20 Leuten hier einen Zusammenbau der Gantry vor Ort ist. Und das Problem ist, dass wir im Zeitplan ganz knapp dran sind, das heißt hier zählt jeder Tag. Wenn die Teile nun nicht rechtzeitig in Mannheim gewesen wären, dann hätte das für uns erhebliche Kosten und auch Verzug für das Projekt bedeutet."

    Die Heidelberger Schwerionen-Gantry ist drei Stockwerke hoch und wiegt 700 Tonnen. Ihre Tragestrukturen sind schon jetzt zu erkennen: Ein kompliziertes Geflecht aus dicken blauen Röhren erinnert an ein Kraftwerk. An beiden Stirnseiten sind massive, stählerne Kreise zu sehen, die so groß sind wie stählerne Eingänge großer Tunnelröhren. In einem dieser Eingänge sollen die ersten Patienten liegen - wie in einem übergroßen Computer-Tomografen. Riesige Magneten werden dann den Schwerionenstrahl in genau dem richtigen Behandlungswinkel auf den Patienten lenken. Die genau einstellbare Ausrichtung des Schwerionen-Strahls auf den Tumor des Patienten ist das Ziel der Gantry. Erzeugt wird der Strahl, der körpereigene Zellen, also auch Tumorzellen, zerstört, direkt neben der Gantry in einem Teilchenbeschleuniger. Doch beim Einbau des vorletzten Bauteiles gestern drohte Gefahr: Die Arbeiter hatten eine riesige Holztür mit einem Stahlrahmen offen gelassen hatten, um bereits eingebauten Strukturen zugänglich zu machen. Das Holztor wurde vom Sturm gewölbt, war wohl kurz vor dem Bersten. Der Rahmen schob sich mit jeder schweren Böe auf seinen Stahlschienen unkontrolliert vor und zurück.

    Schließlich gelang es, das Tor zu schließen. Der Raum für die Gantry war wieder vor Sturm und Wetter geschützt. Die Kuppel am hintersten Ende des Gantry-Raumes ist bereits überbaut und übergrünt. Das letzte, gestern angelieferte Teil liegt zur Stunde noch draußen.

    "Der Raum hier, in dem die Gantry dann untergebracht ist, der hat eine Größe von 15 Metern in der Breite, 15 Metern in der Höhe und 26 Metern in der Tiefe. Sie sehen hier unten die unteren Teile und die Verbindungsteile. Die beiden oberen Teile wiegen etwa 35 Tonnen pro Stück. Die werden dann mit einem großen Hebekran hier rein gehoben. Dazu wird dieses Dach hier oben abgehoben. Das ist eine riesige Konstruktion."

    Heute wird weiter daran gearbeitet, das letzte, angelieferte Bauteil in den Gantry-Raum zu hieven. Ende 2008 soll die komplette Anlage in Betrieb gehen. Klaus Staab nennt ein wichtiges Ziel der neuen Anlage zur Strahlenführung:

    "Zu verhindern, dass Streustrahlung an lebenswichtige Teile drankommt, die nicht bestrahlt werden sollen. Dazu ist es eben notwendig, dass Sie aus verschiedenen Richtungen einstrahlen können. Wenn der Patient jetzt mit seinem Kopf so liegt, dann eben dass es von der Seite, von unten, von links und von rechts von unten, sie haben einfach ganz andere Winkel unter verschiedenen Winkeln den Strahl applizieren können."

    Professor Jürgen Debus von der Klinik für Radioonkologie und Strahlentherapie erklärt, welche Krebstumoren erstmals mit Protonen und schweren Kohlenstoff-Ionen am Heidelberger Universitätsklinikum bestrahlt werden - und was das den Patienten bringen soll. Es sind Tumore der Schädeldecke, der Wirbelsäule, Lunge, Prostata, der Hoden und der Bauchspeicheldrüse.

    "Die Hoffnung ist, dass wir durch diese neue Strahlenart ähnlich wie wir das bei anderen Tumorarten bereits nachweisen konnten, auch für diese sehr schwierigen Tumore eine wesentliche Verbesserung der Prognose erreichen können. Die Verbesserungen, die wir erwarten, gehen in zwei Richtungen. Die eine Richtung ist die, dass wir für die Tumorarten, bei denen wir im Moment Schwierigkeiten haben, das Krankheitsgeschehen zu kontrollieren, dort eine Verbesserung erreichen. Wir haben Tumore, bei denen die Behandlungsergebnisse auch schon exzellent sind, da erwarten wir hauptsächlich Verbesserungen im Bereich des Nebenwirkungsprofils, also gar nicht so sehr in der Verbesserung der weiteren Heilungsrate. Es gibt allerdings nach wie vor Tumoren, bei denen wir bezüglich der Heilungsraten schlechte Ausgangsbedingungen haben."

    Der Nutzen für die Patienten muss noch erforscht werden, doch erwartet sich Debus bei heute noch schwierig zu behandelnden Tumoren messbare Verbesserungen der Heilungsraten. Erst im Betrieb wird sich zeigen, ob diese tatsächlich erreicht werden.