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Krankenkassen
Umstrittene Datensammelei

Viele Krankenkassen werben mit Apps, die Schritte zählen oder regelmäßig Blutdruck, Gewicht und Schlafdauer dokumentieren. Bewegt euch, dann werdet ihr belohnt, lautet die Botschaft. Datenschutzexperten warnen: Auf Dauer könnten solche Konzepte das Solidaritätsprinzip aufweichen.

Von Jonas Reese | 29.11.2014
    Mit Hilfe einer Handy-App werden alle Bewegungen aufgezeichnet und analysiert.
    Wenn das Handy jeden Schritt und jede Bewegung aufzeichnet und analysiert. (Deutschlandradio Kultur)
    -"Und hier sieht man dann schon: An dem blauen Balken habe ich die Anzahl erreicht. Also in den letzten zweieinhalb Wochen habe ich acht Bewegt-Tage und 566 Minuten."
    Jeden Schritt, den Andreas Schreiber geht, dokumentiert er auf seinem Handy. Graphisch dargestellt in der App seiner Krankenkasse. Mit jeder halben Stunde Bewegung pro Tag nähert er sich über ein Bonusprogramm diversen Prämien: Saunatuch, Haushaltsgeräte oder Reisen.
    Fit2go heißt dieses kleine Programm, das sich der 44-Jährige bei der Barmer Ersatzkasse heruntergeladen hat. Schreiber ist einer von 40.000 Versicherten, die diese App nutzen und sich ihre Bewegung belohnen lassen.
    "Ziel ist das Bewusstsein zu schaffen, Bewegung in den Alltag zu integrieren", sagt Ursula Marschall vom Kompetenzzentrum der Barmer Ersatzkasse. "Wenn ich mich schon bewege, dann kann ich das entsprechend aufzeichnen und dann kann ich anschließend Bonuspunkte einlösen. Der Hintergrund davon: Ein bisschen das Bewusstsein zu schaffen, einen bewegteren Alltag zu schaffen."
    Bewegungsprofil online übermitteln
    Seit April dieses Jahres bietet Barmer dieses Programm an. Auch andere Kassen wie AOK, DAK oder BKK stoßen mit ähnlichen Apps auf große Beliebtheit. Hat ein Nutzer die erforderte Punktzahl erreicht, übermittelt er online sein Bewegungsprofil an seine Krankenkasse. Daten darüber, wie, wann und wie lange er welche Aktivität ausgeübt hat. Noch sind diese Angaben ganz freiwillig. Doch mit der Ankündigung der privaten Generali-Versicherung im kommenden Jahr einen Tarif anzubieten, der Versicherte dafür finanziell belohnt, wenn sie diese Daten preisgeben, könnte sich das bald ändern. Die Versicherungsbranche kämpft nun mit dem Vorwurf: Auf lange Sicht werde sie das Solidaritätsprinzip auflösen. Diese Gefahr sieht auch der Landesdatenschutzbeauftragte von Nordrhein-Westfalen Ulrich Lepper:
    "Die Entwicklung wird dahingehen, dass die Personen faktisch gezwungen werden, ihre Daten preiszugeben. Damit sollte man vorsichtig umgehen. Die Informationen mögen für sich gesehen belanglos erscheinen, zusammengestellt werden können und ein lückenloses Bild über die Persönlichkeit wiedergeben. Das ist der gläserne Mensch, das ist eine Horrorvorstellung. Wenn man das will, kann man das machen. Aber ich habe den Eindruck, dass viele Menschen gar nicht wissen, auf was sie sich einlassen."
    Daten sind der Schatz der Versicherungen. Mit ihnen werden Risiken und Kosten berechnet. Je mehr Daten, desto weniger Risiko. Je weniger Risiko, desto weniger Kosten. Die Kranken-Versicherungen funktionieren nach dem Prinzip: Die Jungen und Gesunden finanzieren die Alten und Kranken. Doch wenn eine Kasse nun genügend Daten besitzt, um jeweils das individuelle Risiko zu berechnen, wird das Grundprinzip aufgelöst. Das fürchtet auch Silvia Thun, Professorin für Informations- und Kommunikationstechnologien im Gesundheitswesen an der Fachhochschule Niederrhein.
    "Daten sind Macht"
    "Also Daten sind Macht, das wissen wir alle, und dadurch, dass sie Daten erheben, auch am Arzt vorbei, am Gesundheits-Fachpersonal vorbei, ohne, dass da irgendjemand da mal drauf guckt. Und sie bekommen eine extreme Macht im Gesundheitswesen. Das Geschäftsmodell heißt: Ich erhebe die Daten, ich analysiere sie - vielleicht anonymisiert, vielleicht auch nicht - und würde die Daten weiterverarbieten, nutzen, nutzen, vielleicht auch an Firmen weitergeben, vielleicht an die Pharmaindustrie. Wie auch immer."
    Krankenkassen erhalten in dieser Entwicklung auch mehr medizinische Macht, befürchtet Thun. Sie können dann genau festlegen was gesund ist und ihren Kunden genaue Vorschriften machen.
    "Es ist nicht gesund 10.000 Schritte zu gehen, für einen, der eine Herzinsuffizienz hat. Die Krankenkasse sieht vielleicht: Der hat eine Herzinsuffizienz. Und der geht seine 10.000 Schritte nicht und die bekommen die Koppelung dieser Informationen nicht hin. Und ermutigen ihn, noch mehr zu gehen. Und würden dementsprechend nicht die richtigen Dinge anpreisen."
    Andreas Schreiber hat als eigenes Tagesziel 10.000 Schritte ausgegeben. Er zählt nicht nur seine Schritte, sondern erfasst über diverse Smartphone-Apps auch seinen Blutdruck, sein Gewicht oder seine Schlafdauer. Er wägt ab zwischen Kosten und Nutzen.
    "Mein erstes Ziel ist es erst mal, dass ich überhaupt diese Daten bekomme. Messwerte über mich selbst. Einige von den Geräten, die es so gibt, sind super bequem, der Preis, den man dafür bezahlt, ist halt, dass man nicht weiß, wo diese Daten landen, und das muss man abwägen, ob man sich das wert ist. Ist dann individuell unterschiedlich."