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Kranker Fluss

Im thüringischen Werratal lagert unter der Erde ein großer Schatz: Kalisalz. Es wird weltweit für die Herstellung von Düngemitteln benötigt. Seit über 100 Jahren wird das Kali abgebaut und seitdem fallen auch salzhaltige Abwässer bei der Produktion an. Die werden unter anderem in die Werra geleitet. Tiere und Pflanzen werden dadurch stark belastet.

Von Vera John | 10.02.2010
    Die nordhessische Werra ist ein kranker Fluss. Das weiß jeder, der an ihrem Ufer zu Hause ist:

    "Wir sind ein Naturpark Werratal und gleichzeitig die Güllegrube für Kali und Salz."

    "Wir sitzen gerade hier am wunderschönen Werraufer, die Brühe ist richtig braun. Es schwimmt ein Teppich von Algen"

    Darmalgen – die sonst nur im Meer vorkommen, sagen Umweltexperten. Zu DDR-Zeiten war das Wasser in der Werra mal so salzig wie in der Nordsee. Denn in den ostdeutschen Kaliwerken scherte sich niemand um den Umweltschutz. Das hat sich nach der Wiedervereinigung zwar geändert. Doch noch immer ist der Fluss in einem ökologisch sehr schlechten Zustand. Forscher wie Gerd Hübner haben die Werra oberhalb der Salzeinleitung und unterhalb untersucht.

    "Das Resultat ist, dass wir oberhalb etwa 75 Arten festgestellt haben, unterhalb oft nur zehn bis 20 Arten unterscheiden konnten."

    Seit einigen Jahren wuchs in den Orten am Fluss deswegen der Protest gegen das Kasseler Unternehmen K+S. Der Dax-Konzern betreibt die Kaliwerke an der Werra und macht mit Düngemitteln aus Kalisalz weltweit gute Geschäfte. Der Protest wuchs so weit an, dass die Länder Hessen und Thüringen reagieren mussten. Sie hatten bislang die Genehmigung für die Salzeinleitung erteilt. Vor knapp zwei Jahren richteten sie zusammen mit K+S einen runden Tisch ein. 25 Vertreter von Umweltverbänden, Bundesländern, Kommunen am Fluss und dem Konzern sollten gemeinsam eine Lösung finden, wie die Kaliproduktion weiterlaufen kann und gleichzeitig die Umwelt besser geschützt wird.

    Nach zwei Jahren Diskussion präsentierten sie nun ihr Ergebnis: Ab 2020 soll K+S keine Abwässer mehr in die Werra einleiten dürfen und auch nicht mehr im Untergrund versenken. Der runde Tisch schlägt stattdessen vor, das Salzwasser durch eine Pipeline zur Nordsee zu transportieren. Doch ausgerechnet K+S stimmte der Empfehlung nicht zu. Unternehmenssprecher Oliver Morgenthal bestätigte nur, dass der Konzern die Abwassermenge in seinen Kaliwerken bis 2015 halbieren will:

    "Was nach dem Jahr 2015 an weiteren Schritten möglich sein wird, dass ist mit vielen offenen Fragen verbunden, die heute noch nicht beantwortet sind. Und die gilt es zunächst zu klären, bevor man sich auf konkrete Ziele festlegen kann."

    Aus Sicht des Unternehmens sei der Stopp der Einleitung ab 2020 und der Bau einer etwa 500 Millionen Euro teuren Pipeline unverhältnismäßig. Arbeitsplätze in den Kaliwerken in Hessen und Thüringen würden dadurch gefährdet. Auch Niedersachsen und die niedersächsischen Fischereiverbände lehnen die Empfehlung ab. Denn die Pipeline würde größtenteils über das Gebiet des Bundeslands verlaufen und das Problem nur verlagern. Lothar Wolters von den Fischereiverbänden:

    "Wir sind der Meinung, dass ein Betrag von 500 Millionen eingesetzt werden kann, um weitere Verbesserungen von Ort zu finden. Und was dann noch an Abfall da ist, das kann man mit Sicherheit nach unten bringen. Ich bin einige Male vor Ort gewesen, ich kenne die Hohlräume, da passt eine ganze Menge hinein."

    Doch gerade mit der Versenkung haben die Bundesländer Hessen und Thüringen und auch viele andere Mitglieder am runden Tisch ein Problem. Denn das Grundwasser im Kalirevier werde dadurch bereits jetzt gefährdet. Und die Vorstellung, dass die Kaliabfälle ganz vermieden werden könnten, sei nicht realistisch, sagt Professor Hans Brinkmann, Leiter des runden Tischs:

    "Weltweit gibt es kein Kaliwerk, dass ohne Abfälle arbeiten kann. Und das gilt eben auch für das Werragebiet."

    Die Pipeline sei deswegen die einzige Alternative, wenn ab 2020 keine Abwässer mehr eingeleitet werden sollen. Brinkmann ist auch zuversichtlich, dass die Empfehlung des runden Tischs umgesetzt wird:

    "Denn zugestimmt haben die relevanten Länder – Hessen und Thüringen und auch Nordrhein-Westfalen. Zugestimmt hat der Bund. Und die setzen schließlich Rahmenbedingungen in der Umsetzung des Wasserrechts für das Handeln des Unternehmens."

    Das heißt, in Hessen und Thüringen sitzen die zuständigen Genehmigungsbehörden, die K+S eine Einleitung ab 2020 verbieten können. Und dann muss es eine alternative Entsorgung geben, sonst könnte der Kalikonzern nicht weiterarbeiten.