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Krankheiten riechen

Medizin.- In Tunneln und öffentlichen Gebäuden schnuppern sie nach Brandgeruch, sie schlagen Alarm, wenn in Chemieanlagen gefährliche Gase austreten: künstliche Nasen. Nun sollen die sensiblen Sensoren auch Krankheiten erschnuppern.

Von Hartmut Schade | 29.12.2009
    Trotz allen medizinischen Hightechs: Ganz am Anfang einer medizinischen Untersuchung stehen immer noch sehen, klopfen, tasten und riechen.

    "Bestimmte Patienten haben typische Geruchsmuster. So zum Beispiel der Nierenerkrankte und der Diabetiker, der entgleist, hat einen typischen Azetongeruch. Und auch der Lebererkrankte hat einen ganz typischen Geruch",

    weiß der Internist Dr. Mattias Görnig vom Jenaer Uniklinikum. Krankheiten zu riechen, hängt aber von der Nase und der Erfahrung des Arztes ab. Das müsste eine elektronische Nase sicherer und objektiver können, dachte sich der Medizintechniker Andreas Voss von der Fachhochschule Jena. Solche Geruchssensoren basieren auf Halbleitern, deren Widerstand sich ändert, koppeln bestimmte Moleküle an ihrer Oberfläche an. Auf welche sie reagieren, hängt vom Halbleitermaterial, aber auch der Temperatur ab. Dabei genügen schon wenige Moleküle, um den Widerstand zu ändern und so entdeckt zu werden. Die Kunstnase ist damit jeder Hundenase überlegen. Die von Professor Voss geschaffene künstliche Nase übertraf trotzdem seine Erwartungen. Sie erschnüffelt nicht allein Nierenkranke, sondern unterschied sogar zwischen Schweregraden.

    "Die Unterscheidbarkeit zwischen Gesunden und Niereninsuffizienzen war 100 Prozent und die Unterscheidbarkeit zwischen leichter und schwerer Niereninsuffizienz lag bei 95 Prozent."

    Auch eine Leberzirrhose findet der Geruchsensor hundertprozentig, ebenso wie er Cannabisraucher erschnüffelt. Kein Wunder, dass Matthias Görnig begeistert ist von dem kleinen Sensor, der einfach in die Ellenbogenbeuge gedrückt wird und in Minutenschnelle Krankheiten erriecht.

    "Die elektronische Nase hat natürlich den großen Vorteil, dass sie rein passiv ist. Es werden keine Substanzen in den Körper eingebracht, es werden auch keine Strahlungen in den Körper hineingegeben und von daher etwas, was sehr patientenfreundlich ist."

    Jetzt wollen die Jenaer Forscher einen Schritt weiter gehen und auch Herzkranke an ihrem Duft erkennen. Das Problem: für die menschliche Nase riechen Herzkranke gar nicht. Matthias Görnig glaubt trotzdem, dass es einen spezifischen Geruch gibt, weil Herzkranke dazu neigen ...

    "...sehr frühzeitig mit der Leistung gemindert zu sein. Und sobald man in einen anaeroben Stoffwechsel, das ist der Bereich, wo man Muskelkater bekommt, gibt es spezielle Stoffwechselwege, die zum Beispiel Laktat produzieren, die auch wiederum spezifische Moleküle an die Haut transportieren, die man mit so einem Sensor wahrnehmen kann. Derzeit analysieren die Forscher Geruchsproben von gesunden und herzkranken Patienten, korrelieren diese mit Laborwerten und EKG-Messungen und suchen so nach Geruchsmolekülen, die die Herzerkrankung und möglichst noch ihre Schwere verraten. Sind sie gefunden, muss die chemische Nase entsprechend konfiguriert werden. Für Cannabis, Leber- und Nierenkrankheiten reichte dabei bisher ein einziger Chip."

    "Wir hoffen, dass wir das mit der Herzinsuffizienzerkennung ebenfalls mit diesem Sensortyp schon hingekommen. Es ist aber auch kein Problem für uns, diese Sensorschichten nochmals zu verändern. Am Ende soll eine künstliche Nase stehen, die viele Krankheiten wahrnimmt, die dem Patienten noch im Wartezimmer angelegt wird und dem Arzt sofort verrät, nach welchen Krankheiten sein Patient riecht."

    "Die Zukunft kann gigantisch sein",

    meint der Internist Matthias Görnig. Schließlich überwacht der gesundheitsbewusste Mensch von heute schon beim Joggen seinen Puls. Mit einem Riechchip in der Armbeuge könnte er beim Training noch viel mehr über seine Fitness erfahren.

    "Ohne dass man zum Sportmediziner gehen muss und aufwendige Untersuchungen machen kann, eben nur mit einer elektronischen Nase. Eine andere Anwendungsmöglichkeit sehe ich in der häuslichen Umgebung, wo auch ein Gesundheits-Checkup zukünftig erfolgen kann."

    Das ist aber noch Zukunftsmusik. Erst einmal müssen die Jenaer Wissenschaftler herausfinden, wonach Herzkranke überhaupt riechen.