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Kratzen am Image des Helden

Paul von Lettow-Vorbeck wird noch heute als ritterlich kämpfender, im Felde unbesiegter, afrikafreundlicher General gesehen, der in Deutsch-Ostafrika das Kolonialreich gegen eine erdrückende Übermacht verteidigte. Der Historiker Uwe Schulte-Varendorff hat etliche neue Quellen ausgewertet, die am Nimbus vom "Genialen und Militär" erhebliche Kratzer hinterlassen. Reiner Scholz rezensiert die Biografie "Kolonialheld für Kaiser und Führer. General Lettow-Vorbeck".

    "Und dieser soldatische Geist, der ja nichts anderes ist als deutscher Soldatengeist überhaupt, den wollen wir hiermit als eine Quelle soldatischer Kraft übereignen. Seid Hüter von Treue, Bewahrer dieses Besitzes. Der Traditionstruppenteil der Schutztruppe für Deutsch-Ostafrika, das zweite Bataillon Infanterieregiment 69, Hurra, Hurra, Hurra."

    Über die Person Paul von Lettow-Vorbecks, hier 1938 bei der Einweihung einer Kaserne in Hamburg, gehen die Meinungen bis heute auseinander. Seine Anhänger gaben ihm den ehrenden Beinamen "Der Löwe von Afrika". Viele Afrikaner nannten ihn - so wörtlich - "den Herrn, der unser Leichentuch schneidert". Paul von Lettow-Vorbeck war während des Ersten Weltkrieges Kommandant der deutschen Schutztruppe in Ostafrika. 1964 wurde er, im Alter von 94 Jahren, mit allen militärischen Ehren in Schleswig-Holstein zu Grabe getragen. Jetzt hat der Osnabrücker Historiker Uwe Schulte-Varendorff eine historisch-kritische Biografie über Lettow-Vorbeck vorgelegt, die erste überhaupt. Was verwundert, denn Lettow-Vorbeck ist eine wichtige und interessante Figur der neueren Zeitgeschichte, und die Quellenlage ist gut. Es gebe viel Material, Schriften, Reden, Bücher, so sein Biograf. Kaum ausgewertet wurden bisher seine Tagebücher:

    "In den Jahren '14 bis '18 sind die Tagebücher fast durchgehend in seinem Nachlass noch vorhanden. Daraus ergibt sich dann auch ein ganz anderes Bild, als was er in seinen eigenen Schriften veröffentlicht hat. Im Tagebuch schreibt er, wie er auch wirklich gedacht hat und wie die Verluste wirklich waren, wie sich die Kriegsführung dargestellt hat. Das ist dann schon bezeichnender als die glorifizierende Literatur, die dann in den 20er, 30er und bis in die letzten Jahre des 20. Jahrhunderts vorherrscht."

    Lettow-Vorbeck ist bis heute ein Vorbild für Teile der Bundeswehr. Ähnlich wie Rommel im Zweiten gilt Lettow-Vorbeck für den Ersten Weltkrieg als einer, der sich nicht hat besiegen lassen. Ihm gelang es zwischen 1914 und 1918 auf dem Gebiet des heutigen Tansania mit wenigen weißen und vielen farbigen Kämpfern in einer Art Guerilla-Taktik, die zahlenmäßig deutlich überlegenen britischen Einheiten immer wieder in verlustreiche Kämpfe zu verwickeln. Lettow-Vorbecks-Schutztruppe kämpfte noch, als in Europa bereits die Waffen schwiegen. 1919 kehrte er, bejubelt von Abertausenden, als - so die offizielle Lesart - "im Felde unbesiegt" nach Berlin zurück. Lettow-Vorbeck war von nun an ein Held, ein Meister der ritterlichen Kriegsführung zudem, ein Freund der Afrikaner, so hieß es. Diese Zuschreibung verweist Schulte-Varendorff in seinem sorgsam recherchierten Buch ins Reich der Legende.

    ""Bei Kriegsbeginn wurden die kriegs- und völkerrechtlichen Bestimmungen noch weitestgehend eingehalten, im weiteren Verlauf aber fielen alle Hemmungen. Das Vorgehen der Truppen, bei denen Plünderungen, Vergewaltigungen, Brandschatzungen, Morde, Tötungen und Folterungen von Gefangenen und Verwundeten und Zwangsrekrutierungen an der Tagesordnung waren, erinnerte an die Kriegsführung längst vergangene Jahrhunderte.""

    Lettow-Vorbeck hat in seinen späteren Rechtfertigungsschriften immer wieder hervorgehoben, dass die afrikanischen Soldaten, die Askari, von den Deutschen ausgesprochen gut behandelt worden seien und deshalb treu zum Kaiserreich standen. "Falsch", sagt Schulte-Varendorff. Fast jeder Fünfte sei - obwohl er damit den Anspruch auf Sold verlor und auf Fahnenflucht die Todesstrafe stand - desertiert:

    ""Spätestens ab 1916 häuften sich bei den Askari die Desertionen und gefährdeten in zunehmendem Maß die Kampfkraft der Truppe. Besonders eklatant wurden die Desertionen während laufender Gefechte.""

    Seinen Nachruhm bezog Paul von Lettow-Vorbeck aus den Kriegsjahren 1914 bis '18. Doch gab es auch ein Davor und Danach und Ereignisse, die bei offiziellen Ehrungen gern ausgespart werden. Lettow-Vorbeck war, so der Autor, ein Militär der Sorte "Pardon wird nicht gegeben". Er meldet sich freiwillig zur Niederschlagung des Boxeraufstandes in China und dem der Herero 1904/1905 in Deutsch-Südwestafrika, einem überaus blutigen Einsatz mit Tausenden von Toten. Im Kampf um Deutsch-Ostafrika missachtet Lettow-Vorbeck gegen den Befehl von Vorgesetzten Neutralitätspflichten, die das Deutsche Reich eingegangen war, und trägt so Mitverantwortung für den Tod von Tausenden. Zudem ist er verantwortlich für die gewaltsame Niederschlagung einer Hungerrevolte 1919 in Hamburg, beteiligt sich 1920 am Kapp-Lüttwitz-Putsch gegen die junge Weimarer Republik und dient, obwohl selbst nie NSDAP-Mitglied, den Nationalsozialisten. Dafür, dass er, wie später von ihm selbst behauptet, kritisch zum Regime gestanden hätte, konnte Schulte-Varendorff keine substantiellen Beweise finden:

    "Er ist für den nationalsozialistischen Reichskolonialbund, also die Zusammenfassung aller Kolonialverbände unter einen nationalsozialistischen Oberdach, auf Werbetournee gegangen, für die Rückgewinnung der Kolonien, hat massenhafte Auftritte für diesen Verband gemacht, ist von Hitler zum General zur besonderen Verwendung noch befördert worden und hat selbst in seinen Reden den Bezug vom kaiserlichen zum nationalen Deutschland gezogen und keinen Zweifel in seinen Aussagen darüber gelassen, dass er dem Nationalsozialismus gegenüber zumindest positiv eingestellt war."

    Die detailreiche Monografie hat zweifellos auch Schwächen. Wie eigentlich war der Mensch Lettow-Vorbeck? Über sein Zivilleben erfahren wir fast gar nichts. Zur Erinnerung: Klaus Theweleit beispielsweise, den der Autor in seiner umfangreichen Bibliografie immerhin erwähnt, hat sich in seinem Buch "Männerphantasien" ausführlich mit Lettow-Vorbeck beschäftigt. Davon hätte man gern mehr gelesen. Bedauerlich auch, dass sich der Autor offenbar um afrikanische Quellen gar nicht bemüht hat. Das Fazit: Der Name Lettow-Vorbeck steht auch für die Dolchstoßlegende, die angebliche Kolonialschuldlüge, den Traum von einem Großdeutschland. Und er war auch Anti-Demokrat, hat die junge Weimarer Republik bekämpft, wo er nur konnte. Man wünscht dieses Buch vor allem denen zur Lektüre, die immer noch meinen, Lettow-Vorbeck könne ein Vorbild sein.

    Uwe Schulte-Varendorff: Kolonialheld für Kaiser und Führer. General Lettow-Vorbeck - Eine Biographie.
    Ch. Links Verlag, Berlin, 2006
    zirka 240 Seiten
    22,90 Euro