Ratzmann: Guten Morgen.
Meurer: Die Polizei scheint ja, auch wenn die Bilanz noch nicht ganz so offiziell ist, zu sagen, es war nicht ganz so schlimm wie letztes Jahr zum Beispiel. Wie haben Sie es gestern erlebt?
Ratzmann: Das ist eine richtige Einschätzung. Von den 16 ersten Mais, die wir jetzt in Folge mit Gewaltausschreitungen erlebt haben, ist es sicherlich einer, der ins untere Drittel gehört.
Meurer: Woran lag das?
Ratzmann: Ich glaube schon, dass es an der Deeskalationsstrategie der Polizei lag, die sie versucht haben, ja auch angekündigt haben. Wir konnten beobachten, dass Beamte sehr besonnen, sehr gezielt vorgegangen sind und nicht wie sonst in den letzten Jahren immer einfach nur versucht haben, alles was sich bewegt hat, mit dem Knüppel niederzustrecken, sondern tatsächlich die Straftäter, derer sie ohne Gefahr habhaft werden können, zu kriegen und sehr viel daran gesetzt haben, Mengen in Kreuzberg zu zerstreuen. Ich denke, die Strategie ist aufgegangen.
Meurer: Wir haben eben einige Stimmen von Anwohnern, von beobachtenden Berlinern und Berlinerinnen gehört, die total sauer sind, dass das bei ihnen in Kreuzberg passiert. Kann sich da die Polizei einfach zurückhalten und sagen: Na ja, ein Supermarkt wird geplündert, ein Auto brennt - wir halten uns zurück?
Ratzmann: Sie hat sich ja nicht in der Gestalt zurückgehalten, dass sie gesagt hat: Wir machen gar nichts. Erstens gibt es ein großflächiges Einsatzkonzept, mit dem man die ganze Situation, die sich da abspielt, versucht hat, in den Griff zu kriegen. Zum anderen ist die Polizei natürlich im Ermessen, im Hinblick auf den Einsatz ihrer Mittel verpflichtet, nach dem Legalitätsprinzip einzuschreiten. Sie sind aber in der Wahl ihrer Mittel, wann und wie sie einschreiten natürlich nicht frei, aber sie haben da einen gewissen Ermessensspielraum, den sie auch ausgeübt haben. Ich finde, man muss mit diesem 1. Mai, wie mit jedem anderen gesellschaftlichen großen Ereignis umgehen. Es hat sich nun mal eingespielt, dass es immer wieder zur Ausschreitungen kommt. Es ist mit verschiedenen Konzepten gearbeitet worden, wie das in den Griff zu kriegen ist. Ich finde, dass das ein richtiger Ansatz ist, den es auch in den nächsten Jahren weiterzuverfolgen gilt, um diesem Phänomen Herr zu werden.
Meurer: Der Politikwissenschafter Peter Grottian hatte ja ein Personenbündnis - so hatte man das genannt - initiiert: "Denk Mai neu", nicht "Denk mal neu", und besonders aufgegriffen wurde der Vorschlag, Kreuzberg zur polizeifreien Zone zu machen. Was haben Sie denn von dieser Idee gehalten?
Ratzmann: Ich war als Person selbst an den Diskussionen um dieses Konzept beteiligt und ich habe es erst mal unterstützt, weil ich es für richtig hielt. Der Ansatz war ja, die politischen Probleme, die es hier in der Stadt gibt, auch an diesem Tag zugespitzt in die Diskussion zu werfen, die Leute aufzufordern, sich daran zu beteiligen und einen polizeifreien Raum zu schaffen, in dem das auch stattfinden konnte. Das konnte nicht umgesetzt werden, bzw. konnte dieses Jahr nicht umgesetzt werden. Ich halte diese Idee für gut und finde auch, sie sollte weiter verfolgt werden, und ich glaube, wir müssen da sowohl mit der Innenverwaltung als auch mit den Anwohnern in Kreuzberg weiter im Gespräch bleiben, um diese Idee aufzugreifen und zu sagen: Wenn es gelingt, die Anwohner tatsächlich in diese politischen Auseinandersetzungen auch mit einzubinden, sich an diesem Tag selbst zu artikulieren, dann bietet das die Hoffnung, denjenigen, die - ich sage es mal vorsichtig - sich auf eine andere Art und Weise zum Ausdruck bringen wollen, den Raum zu nehmen und sich selbst dort zu bewegen.
Meurer: Aber die Autonomen scheinen ja bei dieser Idee nicht mitspielen zu wollen. Es hat Diskussionsveranstaltungen gegeben, bei denen Sie vermutlich auch dabei waren, wo die Autonomen einfach solche Ideen wegwischen und sich auf keinen Kompromiss einlassen.
Ratzmann: Ja, aber das hat auch zur Folge gehabt, dass es innerhalb dieser linksradikalen Szene mittlerweile sehr zu Diskussionen gekommen ist, wo sich diejenigen, die sich eher an der inhaltlichen Auseinandersetzung beteiligen wollen, die anderen natürlich auch fragen: Was wollt Ihr eigentlich? Was könnt Ihr vermitteln? Wen wollt Ihr eigentlich noch erreichen mit dem? Habt Ihr überhaupt noch ein Konzept? Und ich finde, dass man denjenigen, die sich tatsächlich an einer politischen Auseinandersetzung beteiligen wollen, nicht den Rücken kehren kann, sondern dass man mit ihnen auch streiten - inhaltlich streiten - muss, um politische Konzepte zu entwerfen, und das war ja der Ansatz, den Peter Grottian gewählt hat. Es gibt in Berlin einfach genug Probleme, die nicht gerade dazu angetan sind, das politische Klima derart zu beruhigen, dass diejenigen, die tatsächlich politisch noch etwas im Kopf haben, nicht doch am ersten Mai auf die Straße gehen und sich artikulieren.
Meurer: Sie haben als Rechtsanwalt schon viele Autonome verteidigt. Geht es denen überhaupt um Politik?
Ratzmann: Vielen nicht, das muss man sagen. Viele lassen sich mitreißen in so einer Situation. Viele begreifen das als Abenteuer. Viele bereuen es irgendwie auch bitterlich, in was sie hineingeschlittert sind in solchen Verfahren. Da gibt es natürlich ein ganz breit gefächertes Spektrum, wer sich daran beteiligt. Fakt ist nur, dass man feststellen muss: Der Anlass an sich ist natürlich ein politischer. Und wir müssen uns genau wie in allen anderen Phänomenen fragen, was sind Ursachen für solche Ausschreitungen, mit denen wir an diesem Punkt umgehen müssen? Wir müssen uns natürlich fragen, wie wir auch mit diesen Ursachen weiter umgehen und wie wir diesen Ursachen entgegen treten können.
Meurer: Volker Ratzmann, rechtspolitischer Sprecher der Bündnis-Grünen im Abgeordnetenhaus bei uns im Deutschlandfunk. Ich danke Ihnen und auf Wiederhören, Herr Ratzmann.
Link: Interview als RealAudio
Meurer: Die Polizei scheint ja, auch wenn die Bilanz noch nicht ganz so offiziell ist, zu sagen, es war nicht ganz so schlimm wie letztes Jahr zum Beispiel. Wie haben Sie es gestern erlebt?
Ratzmann: Das ist eine richtige Einschätzung. Von den 16 ersten Mais, die wir jetzt in Folge mit Gewaltausschreitungen erlebt haben, ist es sicherlich einer, der ins untere Drittel gehört.
Meurer: Woran lag das?
Ratzmann: Ich glaube schon, dass es an der Deeskalationsstrategie der Polizei lag, die sie versucht haben, ja auch angekündigt haben. Wir konnten beobachten, dass Beamte sehr besonnen, sehr gezielt vorgegangen sind und nicht wie sonst in den letzten Jahren immer einfach nur versucht haben, alles was sich bewegt hat, mit dem Knüppel niederzustrecken, sondern tatsächlich die Straftäter, derer sie ohne Gefahr habhaft werden können, zu kriegen und sehr viel daran gesetzt haben, Mengen in Kreuzberg zu zerstreuen. Ich denke, die Strategie ist aufgegangen.
Meurer: Wir haben eben einige Stimmen von Anwohnern, von beobachtenden Berlinern und Berlinerinnen gehört, die total sauer sind, dass das bei ihnen in Kreuzberg passiert. Kann sich da die Polizei einfach zurückhalten und sagen: Na ja, ein Supermarkt wird geplündert, ein Auto brennt - wir halten uns zurück?
Ratzmann: Sie hat sich ja nicht in der Gestalt zurückgehalten, dass sie gesagt hat: Wir machen gar nichts. Erstens gibt es ein großflächiges Einsatzkonzept, mit dem man die ganze Situation, die sich da abspielt, versucht hat, in den Griff zu kriegen. Zum anderen ist die Polizei natürlich im Ermessen, im Hinblick auf den Einsatz ihrer Mittel verpflichtet, nach dem Legalitätsprinzip einzuschreiten. Sie sind aber in der Wahl ihrer Mittel, wann und wie sie einschreiten natürlich nicht frei, aber sie haben da einen gewissen Ermessensspielraum, den sie auch ausgeübt haben. Ich finde, man muss mit diesem 1. Mai, wie mit jedem anderen gesellschaftlichen großen Ereignis umgehen. Es hat sich nun mal eingespielt, dass es immer wieder zur Ausschreitungen kommt. Es ist mit verschiedenen Konzepten gearbeitet worden, wie das in den Griff zu kriegen ist. Ich finde, dass das ein richtiger Ansatz ist, den es auch in den nächsten Jahren weiterzuverfolgen gilt, um diesem Phänomen Herr zu werden.
Meurer: Der Politikwissenschafter Peter Grottian hatte ja ein Personenbündnis - so hatte man das genannt - initiiert: "Denk Mai neu", nicht "Denk mal neu", und besonders aufgegriffen wurde der Vorschlag, Kreuzberg zur polizeifreien Zone zu machen. Was haben Sie denn von dieser Idee gehalten?
Ratzmann: Ich war als Person selbst an den Diskussionen um dieses Konzept beteiligt und ich habe es erst mal unterstützt, weil ich es für richtig hielt. Der Ansatz war ja, die politischen Probleme, die es hier in der Stadt gibt, auch an diesem Tag zugespitzt in die Diskussion zu werfen, die Leute aufzufordern, sich daran zu beteiligen und einen polizeifreien Raum zu schaffen, in dem das auch stattfinden konnte. Das konnte nicht umgesetzt werden, bzw. konnte dieses Jahr nicht umgesetzt werden. Ich halte diese Idee für gut und finde auch, sie sollte weiter verfolgt werden, und ich glaube, wir müssen da sowohl mit der Innenverwaltung als auch mit den Anwohnern in Kreuzberg weiter im Gespräch bleiben, um diese Idee aufzugreifen und zu sagen: Wenn es gelingt, die Anwohner tatsächlich in diese politischen Auseinandersetzungen auch mit einzubinden, sich an diesem Tag selbst zu artikulieren, dann bietet das die Hoffnung, denjenigen, die - ich sage es mal vorsichtig - sich auf eine andere Art und Weise zum Ausdruck bringen wollen, den Raum zu nehmen und sich selbst dort zu bewegen.
Meurer: Aber die Autonomen scheinen ja bei dieser Idee nicht mitspielen zu wollen. Es hat Diskussionsveranstaltungen gegeben, bei denen Sie vermutlich auch dabei waren, wo die Autonomen einfach solche Ideen wegwischen und sich auf keinen Kompromiss einlassen.
Ratzmann: Ja, aber das hat auch zur Folge gehabt, dass es innerhalb dieser linksradikalen Szene mittlerweile sehr zu Diskussionen gekommen ist, wo sich diejenigen, die sich eher an der inhaltlichen Auseinandersetzung beteiligen wollen, die anderen natürlich auch fragen: Was wollt Ihr eigentlich? Was könnt Ihr vermitteln? Wen wollt Ihr eigentlich noch erreichen mit dem? Habt Ihr überhaupt noch ein Konzept? Und ich finde, dass man denjenigen, die sich tatsächlich an einer politischen Auseinandersetzung beteiligen wollen, nicht den Rücken kehren kann, sondern dass man mit ihnen auch streiten - inhaltlich streiten - muss, um politische Konzepte zu entwerfen, und das war ja der Ansatz, den Peter Grottian gewählt hat. Es gibt in Berlin einfach genug Probleme, die nicht gerade dazu angetan sind, das politische Klima derart zu beruhigen, dass diejenigen, die tatsächlich politisch noch etwas im Kopf haben, nicht doch am ersten Mai auf die Straße gehen und sich artikulieren.
Meurer: Sie haben als Rechtsanwalt schon viele Autonome verteidigt. Geht es denen überhaupt um Politik?
Ratzmann: Vielen nicht, das muss man sagen. Viele lassen sich mitreißen in so einer Situation. Viele begreifen das als Abenteuer. Viele bereuen es irgendwie auch bitterlich, in was sie hineingeschlittert sind in solchen Verfahren. Da gibt es natürlich ein ganz breit gefächertes Spektrum, wer sich daran beteiligt. Fakt ist nur, dass man feststellen muss: Der Anlass an sich ist natürlich ein politischer. Und wir müssen uns genau wie in allen anderen Phänomenen fragen, was sind Ursachen für solche Ausschreitungen, mit denen wir an diesem Punkt umgehen müssen? Wir müssen uns natürlich fragen, wie wir auch mit diesen Ursachen weiter umgehen und wie wir diesen Ursachen entgegen treten können.
Meurer: Volker Ratzmann, rechtspolitischer Sprecher der Bündnis-Grünen im Abgeordnetenhaus bei uns im Deutschlandfunk. Ich danke Ihnen und auf Wiederhören, Herr Ratzmann.
Link: Interview als RealAudio
