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Kreative Entwürfe in Zeiten leerer Kassen

Je größer die Theaterkrise, desto familiärer die Theaterbande. So spielte der Frankfurter Theaterkritiker Peter Iden gleich zu Beginn die Rolle des grimmigen Familienvaters, der den frechen Nachkommen die Schuld für die Misere gibt: Die deutsche Theaterlandschaft sei ein Trümmerfeld von Inszenierungen, die durch Anmaßung, Willkür, Torheit und Narzissmus der – zumeist jungen - Regisseure gescheitert seien.

Von Natascha Freundel |
    Die reine Selbstbespiegelung der Künstler, der Schauspieler und vor allem der Regisseure ist nicht ausreichend. Und das sieht man sehr oft. Es kommt ja vor, dass Regisseure, wenn man ein Detail nicht verstanden hat und hat die Gelegenheit, mit ihnen darüber zu reden, sagen, wieso haben Sie nicht erkannt, dass das ein Selbstzitat ist. Das ist eine Praxis, die nicht geht.

    Vom Deutschen Schauspielhaus in Hamburg bis zum Theater in Heilbronn, von Konstanze Lauterbachs Wasserspielen in Bonn bis zu Kresniks Kirchenspielen in Bremen, von Köln bis Kassel sieht Peter Iden bloß eine sinnentleerte Nabelschau nach der anderen: Kein Wunder, dass sich das Publikum dafür nicht mehr interessiert. Peter Iden, ganz der liebende und aus Liebe züchtigende Clanchef provozierte natürlich sofort den Widerspruch jüngerer Kollegen. Allen voran der Berliner Theaterkritiker Robin Detje als besonders böser Bub:

    Das deutsche Stadttheatersystem wird so nicht weiterbestehen, und wenn doch, dann wird die Theaterkunst Schaden nehmen, weil sie von den Selbsterhaltungskräften der Strukturen zerrieben wird.

    Detjes 10 Thesen zur Reformation des deutschen Stadttheaters waren eigentlich Revolutionsthesen, mit den bekannten Schwächen: viel Pose, wenig Inhalt.

    Intendanten werden heute explizit oder implizit eingestellt, damit man ihnen die Strukturen, die man ihrer Fürsorgepflicht unterstellt hat, unter dem Hintern wegschießen kann. Das ist die Hasenjagd, und sie sind die Hasen. Die kreative Energie, die dabei verschlissen wird, wäre besser verwendet, wenn man einfach aussteigt und Strukturen schafft, in denen es sich arbeiten lässt.

    "Einfach aussteigen" ist für einen Theaterkritiker leichter gesagt als für einen Theaterverantwortlichen getan: Nachdem das Frankfurter Kleist-Theater, trotz opulentem Theaterhaus-Neubau, geschlossen werden musste, hat es Michael Reiter von den Kulturbetrieben in Frankfurt/Oder inzwischen mit dem so genannten "Theater- und Konzertverbund des Landes Brandenburg" zu tun. Die kürzungsbedingte Zusammenlegung des Orchesters in Frankfurt, des Schauspiels in Potsdam und des Musiktheaters in Brandenburg ist eine wacklige Konstruktion. Allerdings gibt Reiter dem Experiment noch Chancen:

    Unsere Hauptaufgabe besteht darin, solche Schrumpfungsprozesse zu steuern, und zwar so zu steuern, dass die Strukturen, die wir haben, dass wir die schrumpfungsfähig machen, ohne sie dabei zu zerbrechen und verlieren zu müssen.

    Aus Notwehr pragmatistisch und optimistisch, so könnte man einen gewissen Stimmungsumschwung unter den Theatermachern beschreiben. Auch Elisabeth Schweeger, Intendantin in Frankfurt am Main, Wilfried Schulz vom Schauspielhannover oder Klaus Pierwoß, Generalintendant in Bremen, verstehen die Krise als Herausforderung: Sie verteidigen das Stadttheater als Ort für Kontroversen und als riskantes Unternehmen, das bei aller Verschlankung auf bestimmte Strukturen angewiesen ist, aber auch auf die Unterstützung der Kulturpolitik. Und Theater ist mehr als eine Schule des gesprochenen Worts, betonte Ulrich Khuon vom Hamburger Thalia Theater:
    Theater ist ja schon historisch viel mehr, Ritual, Tanz, ist auch religiöser Akt. Und ich finde, dass man neben dem literarischen Theater und dem Bildertheater diesen dritten Punkt, also das Lebendigsein der Körper nicht unterschätzen darf, vor allem deswegen nicht, weil die Insistenz der Körper auf der Bühne unsere Dringlichkeit untermauert, das Fernsehen und der Film kann diese Heftigkeit und natürlich auch den Schweiß und alles das, was physisch ist, nicht rüberbringen.

    Betrachtet man den Elan der Theatermacher, so muss man sich über die Zukunft des Theaters keine Sorgen machen. Die Zeit der Jammerer, sie scheint vorbei zu sein, glaubt Tobias Wellemeyer, Intendant in Magdeburg. Er beobachtet eine "Explosion von Kreativität und Theaterbegeisterung", ja sogar eine Sehnsucht "nach politischer Unschuld".

    Wir haben ein Generationsproblem denke ich schon, von Theatermachern, die diesem neuen Jahrtausend nicht frustriert gegenüberstehen. Und ich denke, dass sie die barmenden und nörgelnden alten Männer hinwegfegen werden, die in Wahrheit auch keine Idee mehr haben für ihre Besitzstände.

    Aus den deutschen Stadttheatern, glaubt Wellemeyer, werden zunehmend Begegnungshäuser, aus Musentempeln pluralistische Werkstätten hochsubjektiver Standpunkte. In der Theaterfamilie zeichnet sich ein Generationenwechsel ab. Und noch immer ruft sie im Ausland großen Neid hervor, ob in England oder in Rumänien, wie der Theaterkritiker Victor Scoradet betonte:

    Aus meiner Sicht kann ich die deutsche Theaterlandschaft nur bewundern, samt ihren Strukturen, samt ihren Krisen, samt den Gesprächen über diese Krisen.