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Kreatives musikalisches Chaos

Das Kollektiv Portugal. The Man aus Portland/Oregon gründete sich 2004 und steht inzwischen für anspruchsvollen Indierock. Dabei greifen sie auch immer wieder auf andere Musikstile, wie Synthiepop, Folk, Hip-Hop und Garagenrock, zurück. Nun erscheint ihr achtes Album.

Von Marcel Anders | 01.06.2013
    "Unsere erste Begegnung kam durch unser Label und Management zustande. Jemand hatte einen Kontakt hergestellt und meinte: 'Danger Mouse will sich mit dir treffen.' Also bin ich nach New York geflogen. Und das ziemlich angefressen, weil wir mitten in der Vorproduktion zu diesem Album steckten. Außerdem war es ein Indiz dafür, dass man mir nicht zutraute, dieses Album alleine zu produzieren. Nur: Danger Mouse lehnt man nicht einfach ab. Er hat ein paar umwerfende Songs geschrieben, die extrem erfolgreich waren. Er macht also etwas wirklich Seltenes."

    Genau wie Portugal. The Man. Das Kollektiv aus Portland/Oregon begann mit Slayer-Covern und steht inzwischen für anspruchsvollen Indierock mit permanenten Tempiwechseln sowie einem stilistischen Grenzgang zwischen Synthiepop, Folk, Orchester-Pathos, Hip-Hop und Garagenrock. Ein kreatives Chaos, das sich wohltuend vom Zeitgeist und von der Konkurrenz absetzt. Weil es – so Sänger John Gourley – gar nicht anders geht.

    "Wie kann eine Band wie Jet noch ein weiteres Album veröffentlichen? Oder Kings Of Leon, oder Wolfmother? Die sind so Rock 'n' Roll, dass sie zum Klischee verkommen. Und sie stehen derart unter Druck, immer das Gleiche abzuliefern, dass ich persönlich nichts damit zu tun haben möchte. Denn ich mag Hip-Hop, R&B, Pop und elektronische Musik. Ich mag jedes Genre und jeden Künstler. Und diese Offenheit verfolgen wir auch als Band."

    Ein Ansatz, mit dem John Gourley die Marketingstrategien seiner Plattenfirma ganz locker aushebelt. Die versucht die Band nämlich als das neue große Rockding zu verkaufen, das diese gar nicht sein will. Portugal. The Man haben zwar ihre eingängigen Momente, für den Mainstream sind sie aber immer noch zu verquer - dank komplexer Songstrukturen, einem entrückten Gesang und nicht zuletzt anarchisch-subversiven Texten. In denen propagiert das Quartett den ungenierten Konsum von Narkotika, ruft zu mehr Nächstenliebe auf und rechnet mit religiösen Fanatikern und despotischen Pädagogen ab. Mit denen hat der in Alaska aufgewachsene Gourley nämlich unliebsame Erfahrungen gemacht.

    "Ich war nie ein Fan von Autoritätspersonen. Deshalb habe ich auch früh die Schule abgebrochen. Denn ich hatte Ärger mit einem Lehrer, der mir vorgeworfen hat, bei einem Test geschummelt zu haben - und mich deshalb nachsitzen ließ, um ihn zu wiederholen. Doch obwohl ich eine 1 geschrieben habe, und das auch die Zeugnisnote sein sollte, hat er mir nur eine 2 gegeben. Darauf habe ich die Schule geschmissen. Ich war fertig damit."

    Mit solchen Anekdoten offenbart sich der Multiinstrumentalist als echtes Sensibelchen. Ein kleines, schmächtiges Kerlchen mit wild wucherndem Bart und abgeschabten Klamotten, das Gesellschaft und Staat misstraut, nicht in die Vermarktungsschemen der Musikindustrie passt, und am liebsten alles alleine macht: herrlich überdrehte Videos, Siebdruck-T-Shirts und selbst gezeichnete Plattencover. Dinge, bei denen John Gourley großes Talent beweist, sich aber ansonsten bewusst zurückhält.

    "Ich bin mir sicher, dass ich irgendwann etwas mit meiner Kunst machen werde. Aber ich habe auch eine Menge Freunde, die das professionell betreiben. Die mögen es gar nicht, wenn sich Musiker in ihrem Metier versuchen. Einfach weil deren Fans alles kaufen – egal, was es ist oder was es kostet. Und das zerstört den Markt. Weshalb ich mich auf Plattencover beschränke. Einfach, weil es ein großer Spaß ist, etwas zu kreieren, das unserer Vision entspricht und eine gewisse Kontinuität besitzt. Genau wie die Band an sich."

    Das klingt ein bisschen naiv, ein bisschen weltfremd, aber auch idealistisch und anspruchsvoll. So mögen Portugal. The Man zwar bei einem Majorlabel unter Vertrag stehen, mit großen Namen arbeiten und mit viel Tamtam vermarktet werden, doch eigentlich haben sie sich kaum verändert. Sie sind immer noch die kleine Indie-Band aus dem amerikanischen Nordwesten und präsentieren sich als musikalische Überzeugungstäter, die noch viele gute Platten machen wollen - egal, wie und wo. Schließlich haben sie sich durchgebissen, ihr Publikum gefunden und Leidensfähigkeit bewiesen.

    "Ich werde nie vergessen, wie es ist im Mini-Van zu leben und jeden Tag Reis zu essen. Wir hatten einen Kocher und einen Zweikilosack Reis. Selbst ein Eindollarmenü in einem Fastfoodrestaurant war schon ein Festschmaus. Einfach, weil wir uns nichts leisten konnten. Wir haben einiges durchgemacht, um an den Punkt zu gelangen, an dem wir jetzt sind."