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Krebs belastet auch psychisch

Krankheiten wie Krebs wirken sich häufig stark auf die Psyche eines Menschen aus. Wenn die Belastung zu groß wird und die Kräfte eines Menschen übersteigt, dann braucht er dringend Hilfe - und die kann die Psychoonkologie bieten.

Von Renate Rutta | 26.04.2011
    "Etwa 20 bis 30 Prozent der onkologischen Patienten haben eine ausgeprägte psychische Belastung in Form von Ängsten, Depressionen, Schlafstörungen."
    Sagt Prof. Johannes Kruse, ärztlicher Direktor der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie am Universitätsklinikum Gießen.

    Die meisten Menschen erleben schon die Diagnose Krebs wie einen Schock. Sie fühlen sich erstarrt, betäubt, können dem Arzt kaum eine Frage stellen. Sie haben den Eindruck, als werde ihnen der Boden unter den Füßen weggezogen. Doch wie geht es dann weiter nach dem "Diagnoseschock?"

    "Dann gibt es eine Phase mit sehr viel Aktivität und diese Aktivität hilft einer ganzen Reihe von Patienten, nicht zu tief zu fallen. Auf der andern Seite folgt dann häufig eine Überschwemmung von starken Affekten, Ängsten, Gefühlen von Hilflosigkeit, Ohnmacht, die wechseln mit Phasen von Aktivität und von Verleugnung. In dem Pendeln zwischen einerseits Ablenken, Verleugnen und auf der anderen Seite ganz heftigen Gefühlen, Verzweiflung, Ohnmacht, in diesem Pendeln finden sie einen Weg, mit dieser Erkrankung umzugehen und zwar so, dass sie Teil des Lebens wird."
    Eine schwierige Herausforderung – aber viele entwickeln in solch einer Notsituation ganz unerwartete Fähigkeiten. Ihnen reichen meist ein bis zwei längere Gespräche.

    Doch andere, die etwa in einer finanziell schwierigen Situation sind, die kleine Kinder versorgen müssen oder andere Belastungen haben, brauchen intensive Hilfe, wie etwa manche Patienten mit Prostatakrebs. Professor Manfred Beutel, Direktor der Klinik und Poliklinik für psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Universitätsklinikum Mainz:

    "Wenn der Prostatakrebs fortgeschritten ist, dann können nicht immer die entsprechenden Nerven geschont werden, das heißt, es kommt dann häufig zum Verlust der Erektionsfähigkeit. Wir sehen, dass für manche Männer das ein entscheidender schwerwiegender Verlust ist, der häufig in dem Gefühl gipfelt, ich bin kein richtiger Mann mehr. Das ist ein schlimmes Gefühl, das bis zu schweren depressiven Verstimmungen reichen kann."
    Was dann notwendig ist, nennen Fachleute "Krisenintervention" mit intensiver psychotherapeutischer Behandlung, um den eigenen, sozusagen "beschädigten" Körper wieder zu akzeptieren.

    Zurzeit werden Leitlinien erarbeitet, um noch besser herauszufinden, wer genau welche Hilfen benötigt. Ganz neu ist auch, dass man nun diejenigen miteinbezieht, die nach fünf Jahren ohne Rückfall als gesund aus der medizinischen Nachsorge entlassen werden. Das sind bei Kindern und Jugendlichen durchschnittlich 80 Prozent, bei Frauen 60 Prozent und bei Männern 53 Prozent der Erkrankten:
    "Wir haben gerade in Mainz eine Studie gestartet, wo es darum geht wie Patienten, die an einem malignen Melanom, schwarzer Hautkrebs, erkrankt waren, langfristig mit der Erkrankung leben."

    Die Ärzte wollen wissen, wie ihre Lebensqualität ist und ob es noch Hinweise gibt auf erhöhte seelische Belastung, ob also Bedarf ist an Beratung oder Unterstützung bei der langfristigen Bewältigung der Krankheit und zwar deshalb, weil sie dann schon in der Akutphase die richtigen Weichen stellen können.

    "Wir wissen, dass viele Menschen menschliche Grenzerfahrungen im Zusammenhang mit einer Krebserkrankung gut bewältigen, daran reifen, sich weiterentwickeln. Wir wissen aber auch, dass viele eine Verletzlichkeit in körperlicher und seelischer Hinsicht weitertragen und beispielsweise an chronischer Erschöpfung oder Leistungseinbußen leiden. Ich glaube, wir müssen sehr viel mehr darüber erfahren, wer dieses Risiko hat und wie wir den Betreffenden wirklich weiterhelfen können, sie nicht allein lassen."