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Krebs-Forschung
Frostiger Lebenskeim

Junge Menschen mit Tumor haben - obwohl sie Medikamente nehmen müssen, die Hoden und Eierstöcke beeinträchtigen - eine realistische Chance, Kinder zu bekommen und aufzuziehen. Sie können Samen- oder Eizellen als Fruchtbarkeitsreserven einfrieren lassen.

Von Martin Winkelheide |
    Krebserkrankungen, die auch junge Männer treffen können - Hodenkrebs etwa, Blut-, Knochen- oder Lymphdrüsenkrebs -, behandeln Ärzte in der Regel mit einer Chemotherapie. Das Risiko ist hoch, dass die Medikamente die Hoden schädigen und so die Fruchtbarkeit beeinträchtigen.
    "Da macht es Sinn, Samenfäden einzufrieren."
    Mit dem Samen, der vor Beginn der Chemotherapie eingefroren – also "kryokonserviert" – wird, können Männer auch Jahre später noch ein Kind zeugen, sagt Sabine Kliesch vom Centrum für Reproduktionsmedizin und Andrologie der Universität Münster.
    "Diese Samenfäden kann man lange liegen lassen, und wenn später sich tatsächlich herausstellt, dass die Hoden sich nach der Therapie und der überstandenen Erkrankung nicht mehr erholen, dann besteht halt die Möglichkeit auf dieses "Kryodepot", wie wir das dann nennen, zurückzugreifen und mithilfe der künstlichen Befruchtung dann auch den Kinderwunsch später noch zu erfüllen."
    Auch junge Frauen mit einer Krebserkrankung können solch eine Fruchtbarkeits-Reserve anlegen lassen. Inzwischen gibt es mehrere Verfahren, die infrage kommen, die Fruchtbarkeit zu schützen.
    "Es gibt einmal die Möglichkeit, entweder einen Teil des Eierstocks zu entfernen und ihn komplett einzufrieren mit den Zellen darin. Es gibt aber auch grundsätzlich die Möglichkeit, dass man mehrere Eizellen heranreifen lässt unter einer Hormonbehandlung, diese dann abpunktiert und entweder frisch dann einfriert, oder, falls die Idealsituation da ist, dass schon ein Ehepartner vorhanden ist, kann man natürlich eine künstliche Befruchtung machen und dann die befruchteten Eizellen einfrieren."
    Bei etwa jedem zweiten Patienten erholt sich die Funktion der Hoden beziehungsweise der Eierstöcke nach der Behandlung wieder, schätzt Sabine Kliesch.
    Keine Garantie für Nachwuchs
    Das Kryodepot hält Optionen offen, für den Fall, dass die Fruchtbarkeit dauerhaft beeinträchtigt ist. Eine Garantie auf Nachwuchs ist es nicht.
    Denn mit den eingefrorenen Samen- oder Eizellen ist nur eine künstliche Befruchtung im Reagenzglas möglich. Die Chance auf eine erfolgreiche Schwangerschaft beträgt damit nur etwa 30 Prozent.
    Relativ wenige junge Krebspatienten nutzen die Möglichkeiten. Dafür gibt es vielfältige Gründe, sagt Sabine Kliesch.
    "Wenn Sie zum Beispiel eine relativ weit fortgeschrittene Leukämie haben, wo einfach wirklich eine lebensbedrohliche Situation eintreten kann, da ist dann tatsächlich nicht die Zeit."
    Hinzu kommt: Nach der Krebsdiagnose steht die Angst um das eigene Leben oft im Vordergrund. Die Frage "Möchte ich später ein Kind haben", drängt sich in dieser Situation nicht automatisch auf.
    "Manche Patienten bewerten das in dem Moment nicht so hoch – und die betroffenen Ärzte leider auch nicht."
    Von zehn Ärzten weisen nur vier ihre jungen männlichen Krebs-Patienten auf die Möglichkeit der Fruchtbarkeitserhaltung hin, so Kliesch. Weil die für Frauen entwickelten Verfahren erst seit einigen Jahren von spezialisierten Zentren angeboten werden, dürfte die Aufklärungsquote hier noch niedriger ausfallen, schätzt sie.
    Hohe Kosten für Aufbereitung und Lagerung
    Hinzu kommt: Die Kosten für die Gewinnung, Aufbereitung und Lagerung von Samen, Eizellen oder Eierstockgewebe zahlen die Krankenkassen nicht. Patienten müssen sie in der Regel selber tragen. Für Männer fallen monatliche Kosten von etwa 20 Euro an. Für Frauen sind die Kosten deutlich höher, weil die Verfahren aufwendiger sind.
    Nach Ansicht der Medizinethikerin Bettina Seifert von der Universität Münster sollte die Frage der Kostenübernahme neu geregelt werden.
    "Es ist meiner Meinung nach überhaupt nicht zu vertreten, dass junge Männer und junge Frauen diese jetzt technisch so viel möglicher gewordene Option, später Kinder kriegen zu können trotz Chemotherapie, dass die die aus eigener Tasche bezahlen müssen, und dann oft nicht realisieren können, weil sie es nicht bezahlen können oder ihre Eltern es nicht bezahlen können."
    Auch junge gesunde Frauen könnten künftig die neuen Techniken nutzen, und mit 20, 25 Jahren Eizellen als Fruchtbarkeitsreserve zurücklegen lassen. Noch ist diese Praxis eine Rarität. Das Einfrieren von Samen, Eizellen und Eierstockgewebe wird auch in den kommenden Jahren vor allem einen Zweck haben: Jungen Männern und Frauen die Möglichkeit offen zu halten, Kinder zu bekommen - trotz Krebserkrankung.