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Krebs-Therapie
Entfesselte Fresszellen

Markophagen sind natürlich vorhandene Fresszellen, die Tumoren den Garaus machen können - zumindest theoretisch. Das Problem: Oftmals gelingt es ihnen nicht gut genug, gegen das bösartige Gewebe anzugehen. Ein Medikament, das zurzeit in der HIV-Therapie eingesetzt wird, könnte das ändern.

Von Katrin Zöfel | 06.05.2016
    Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme eines Makrophagen bei der Zerstörung eines Bakteriums.
    Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme eines Makrophagen bei der Zerstörung eines Bakteriums. (picture alliance / Robba)
    Revolution, Zeitenwende, Umbruch. Das sind die Vokabeln, mit denen Onkologen beschreiben, wie sehr Immuntherapien ihr Feld zurzeit umkrempeln. Und tatsächlich verändern die neuen Medikamente einige Therapiestandards schnell und gründlich. Das gilt besonders für Patienten mit Haut- oder Lungenkrebs. Wenn man allerdings genauer hinschaut, zeigt sich: der Erfolg betrifft bisher immer nur eine Minderheit der Patienten. Manche Tumorarten sprechen sogar durchweg schlecht auf die neuen Therapien an.
    "Man muss sagen, dass leider gerade Darmkrebs aber auch andere solide Tumorerkrankungen da keinen großen Erfolg bisher beschieden war", sagt Niels Halama, Arzt und Forscher am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen in Heidelberg.
    Dass gerade Tumoren in Darm oder Bauchspeicheldrüse kaum auf die neuen Therapien ansprechen, liegt, sagt er, daran, wie diese Tumoren sich Teile des Immunsystems zunutze machen.
    "In der Tumorsituation haben es die Tumorzellen dann geschafft, sich die lokale Mikroumgebung so einzurichten, dass sie dafür sorgen, dass diese Zellen für sie arbeiten. Also dass diese Immunzellen, diese Makrophagen, sie unterstützen, also dafür sorgen, dass der Tumor noch weiter gedeiht und wächst."
    Makrophagen, das sind Immunzellen, die jeder Mensch von Geburt an in sich trägt. Sie gehören zum angeborenen Immunsystem, patrouillieren als Fresszellen durch den Körper und vertilgen alles, was sie als abgestorben oder gefährlich erkennen. In gesunden Organen haben sie außerdem die Aufgabe, intaktes Zellgewebe vor unnötigen Angriffen des Immunsystems zu schützen. Manchen Tumoren gelingt es, genau diesen Makrophagenschutz für sich zu aktivieren. Das geschieht, weil offenbar die Makrophagen ein Signal anderer Immunzellen quasi falsch verstehen, nämlich den Hilferuf erschöpfter T-Zellen:
    "Die sind im Prinzip so erschöpft von dem andauernden Kampf gegen die Tumorzellen, dass die einen Botenstoff aussenden, der dazu führen soll, dass noch mehr von diesen T-Zellen kommen sollen, und gegen den Tumor vorgehen sollen. Aber in der Situation führt das dazu, dass das Signal den Makrophagen sagt: 'Hier, sorgt dafür, dass ihr das Gewebe schützt', also damit den Tumor schützt."
    Kurz gesagt: die T-Zellen signalisieren den Makrophagen im Tumorgewebe genau das Falsche. Niels Halama machte sich auf die Suche nach Wirkstoffen, die dieses Signal vielleicht abfangen könnten. In der Aids-Therapie wurde er fündig.
    "Die Substanz ist ursprünglich entwickelt worden, für die Therapie von HIV-Patienten. Dort verhindert sie, dass das Virus in eine Zelle gelangen kann."
    Die Substanz blockiert ein Eiweiß namens CCR5. Dort docken HI-Viren normalerweise an, umin die Zellen hineinzukommen. Über eben dieses Eiweiß empfangen die Makrophagen auch die missverständlichen Signale der T-Zellen.
    "Wenn wir das blockieren, so dass der Schlüssel nicht mehr in das Schloss hineinpasst, dann werden diese Fresszellen umgeschaltet, repolarisiert."
    Der Wirkstoff macht die Makrophagen quasi taub für die Hilferufe, und darum tun sie wieder das, was sie im Normalfall tun, nämlich Tumorzellen erkennen und bekämpfen. Eine kleine Studie an Patienten mit metastasiertem Darmkrebs hat Niels Halama gerade abgeschlossen.
    "Es ist so, dass die Studie an 14 Patienten war, also keine große Anzahl von Patienten. Die Daten die wir haben beziehen sich im Wesentlichen auf die Verträglichkeit, dann natürlich auch die Frage: Gab es ein objektives Ansprechen? Ist das, was messbar an Tumorlast war, ist das kleiner geworden, ist das geringer geworden? Und natürlich: haben die Patienten länger gelebt?"
    Im Schnitt schrumpften die Tumoren oder stagnierten zumindest. Einige der Patienten sprachen wieder auf Chemotherapien an, die zuvor nichts mehr genutzt hatten. Weil diese erste Studie so klein war, lässt sich aus den Daten nichts Sicheres ableiten, doch klar ist: die Fresszellen des Immunsystem für die Bekämpfung von Tumorzellen einzuspannen, könnte sich lohnen.