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Krebs und Entertainment
Die Enttabuisierung eines ernsten Themas

Erst "Breaking Bad", dann die Netflix-Serie "Fargo" und jetzt sogar ein Computerspiel: Vermehrt wird in Unterhaltungsmedien das Thema Krebs behandelt. Wird also endlich offen mit der Krankheit umgegangen? Oder fungiert Krebs vielmehr als Drehbuch-Masche, als kalkulierter Tabubruch, der die Popkultur mit Tiefsinn ausstatten soll?

Von Christoph Spittler | 28.01.2016
    Junge mit Computerspiel
    Mit "That Dragon, Cancer" haben die eigenen Eltern den Kampf ihres kleinen Sohnes gegen Krebs in ein Computerspiel umgesetzt. (picture alliance / dpa / Foto: Maximilian Schönherr)
    "I'm sorry, guys: It's not good. - I knew it, I knew it, I knew it."
    Ein Vater muss sich der schlimmsten aller Diagnosen stellen: Sein dreijähriger Sohn ist unheilbar an Krebs erkrankt. Die Szene stammt aus einem Computerspiel: Mit "That Dragon, Cancer" haben die eigenen Eltern den Kampf des kleinen Joel gegen die Krankheit in ein Spiel umgesetzt. Krebs - Im Pop-Medium Videospiel!
    "Ich glaube, das bedeutet in jedem Fall, dass es einen Tabubruch gibt – es wird über etwas gesprochen, was sonst eher im Verborgenen lag – aber die Frage ist ja, wie wird darüber gesprochen."
    Die Kulturwissenschaftlerin Anna Katharina Neufeld befasst sich mit der Darstellung des Sterbens in der Gegenwartskultur.
    "Es ist ein sehr sauberes Bild von einem Sterbenden, was da gezeigt wird."
    Mit dem auch gespielt wird. Denn Krebs, diese angsteinflößendste Krankheit unserer Tage, scheint in der Popkultur angekommen zu sein.
    "Sie haben doch verstanden, was ich grade gesagt habe? - Ja. Lungenkrebs, inoperabel."
    Der Chemielehrer mit Lungenkarzinom hat ein Massenpublikum begeistert
    "Breaking Bad", die Serie über den Chemielehrer mit Lungenkarzinom, der Drogendealer wird, um seine Therapie zu finanzieren, hat ein Massenpublikum begeistert.
    "Es ist schlimmer geworden. - Wenn Sie mit schlimmer meinen, dass der Krebs gestreut hat: Das hat er."
    In der neuen Staffel der Netflix-Serie "Fargo", dem Spin-Off zum gleichnamigen Film der Coen-Brothers, sitzt eine der Hauptfiguren in der Chemotherapie, Vox produzierte mit "Club der roten Bänder" eine Serie über eine Krebsstation, und sogar Rocky kämpft in der jüngsten Fortsetzung des Boxer-Epos nicht mehr gegen Dolph Lundgren, sondern gegen die Bestie im eigenen Körper.
    "This fight – I've seen it before. It gets as bad as it can get, and most of the time you don't win it."
    "Ich glaube auch, die Schreckensbilder sind da, also in dem Sinne dass man jetzt die Chemo zeigt, oder dass man auch das Schreien zeigt – das wird gezeigt, aber trotzdem bleibt es in einer gewissen Ästhetik."
    Und die ist im Computerspiel "That Dragon, Cancer" ziemlich bunt. Joels Familie bewegt sich durch eine fast kitschige Comicwelt, in der der Vater und Gamedesigner Ryan Green über die Bedeutung der Krankenhausfarben sinniert:
    "I wonder why they choose blues and greens, they, the ones who choose colors that heal. Green for life. Blue, hm, for comfort?"
    Man darf offenbar auch lachen, wenn's um Krebs geht
    Zyniker sagen: Willst du den Oscar gewinnen, dann spiel einen Psycho, einen geistig Behinderten oder einen Todkranken. Das Bild eines Menschen am Chemo-Tropf, das jetzt öfter in Pop-Produkten auftaucht, wirkt da wie eine Masche: Ein kalkulierter Tabubruch, der als Tiefsinnigkeits-Ingredienz in die Drehbuchsuppe geworfen wird:
    "Bei Breaking Bad oder Fargo, da ist es möglich, dass es tatsächlich eingesetzt wird zum Thrill. Wobei auch da es immer eine ganz ähnliche Message ist: Das Sterben ist eben gestaltbar. Wie kann ich diese Zeit so nutzen, dass ich da alles rausholen kann?"
    Indem man noch mal eine Karriere als Crystal-Meth-Koch anfängt zum Beispiel. Da steckt eine Menge Humor drin, und auch im Computerspiel "That Dragon, Cancer" gibt es spielerische Elemente, die, mit Kloß im Hals, durchaus Spaß machen: Wenn der kleine Joel mit seiner Mutter in der Kinderkarre ein Rennen durch die Krebsstation fährt, oder wenn er im Ritterkostüm gegen die Tumorzellen kämpft. Man darf offenbar auch lachen, wenn's um Krebs geht.
    "Ich glaube, darum geht's auch, dass man das eben nicht allein in seiner Tragik lässt. Über die Gestaltbarkeit kann man sich dann auch noch mal die Möglichkeit schaffen zu lachen und sich zu freuen."