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Krebsfördernde Chemikalien

Mehr als 400.000 Menschen erkranken in Deutschland jährlich an Krebs. Teilweise haben Chemikalien etwas mit der Entstehung der Krankheit zu tun. In Brüssel wurde jetzt ein Bericht darüber präsentiert, welche Chemikalien zur Entstehung von Brustkrebs beitragen können. Die Erkenntnisse könnten auch Folgen für die europäische Chemiepolitik habe.

Von Mirjam Stöckel | 03.04.2008
    Er beginnt als kleiner Knoten in der Brust, nicht einmal zu ertasten, und oft endet er tödlich: Etwa 17 000 Opfer fordert Brustkrebs allein in Deutschland - jedes Jahr. Und die Patientinnen-Zahlen steigen in ganz Europa. Gründe für Brustkrebs gibt es viele. Seit Jahren erforschen Fachleute intensiv, ob auch so genannte hormonell wirksame Chemikalien das Brustkrebsrisiko vergrößern. Andreas Kortenkamp, Pharmazieprofessor an der Universität London, ist einer von ihnen. Er sagt in seinem neuen Forschungsbericht: Viele Indizien sprechen dafür, dass diese Chemikaliensorte tatsächlich mit schuld ist, am Entstehen von Brustkrebs. Gefahr droht vor allem dann, wenn Frauen viele verschiedene dieser Substanzen, auch in Mini-Mengen, quasi als Cocktail zu sich nehmen. Oder wenn sich die Brust gerade entwickelt, also in der Pubertät. Und die Chemie versteckt sich fast überall. Andreas Kortenkamp:

    "In der Muttermilch finden sich viele persistente Umweltschadstoffe, einige davon sind auch hormonell wirksam. Dann geht es um eine Reihe von stark fettlöslichen Pestiziden, DDT, DDE und so weiter. Es geht aber auch um Industriechemikalien, die bei der Plastikherstellung eingesetzt werden. Es geht um Weichmacher, Phtalate. Es geht um Parabene, die sich in kosmetischen Cremes befinden, Geruchstoffe, UV-Filtersubstanzen. Die Liste ist lang."

    Streng wissenschaftlich betrachtet steht der letzte Beweis noch aus, dass die hormonell wirksamen Chemikalien tatsächlich Mitauslöser für Brustkrebs sind. Aber die vielen aktuellen Indizien und der starke Verdacht reichen schon aus, sagt Annie Sasco, Krebsforscherin an der Universität Bordeaux:

    "Wir dürfen auf keinen Fall auf den endgültigen Beweis warten. Wir haben genügend Daten von Versuchstieren und auch einige von Menschen, um sagen zu können, dass bestimmte chemische Substanzen, die das Hormonsystem des Menschen beeinflussen, gravierende Folgen für die Gesundheit haben. Wir können also jetzt schon handeln."

    Die Wissenschaftler appellieren vor allem an die Politik in Brüssel: Hier sind gerade verschiedene Gesetze in Arbeit, die den Einsatz von Chemikalien in Europa neu regeln sollen: die Pestizidverordnung und die Spielzeugrichtlinie. Und auch über die europaweite Zulassung für viele tausend chemische Stoffe für die Industrie beispielsweise wird gerade verhandelt. Und zumindest bei einigen EU-Parlamentariern stoßen die Forschungsergebnisse auf offene Ohren. Avril Doyle, konservative irische Abgeordnete:

    "Wir müssen sie zumindest ganz offen auf den Tisch legen und ernsthaft mit dem Gesundheitsministerrat und mit der EU-Kommission darüber diskutieren. Und es wird jetzt sicherlich Nachbesserungen an der Pestizid-Gesetzgebung geben."

    Gesundheitsschützern bereiten die aktuellen Forschungsergebnisse große Sorgen. So lange sich nichts an den Gesetzen ändert, sagen sie, könne man sich im Alltag kaum vor allen hormonell wirksamen Stoffen schützen. Doch zumindest in einigen Situationen lassen sich die Chemikalienbelastung und damit das Krebsrisiko etwas verringern. Lisette van der Vliet von der Gesundheitsorganisation HEAL:

    "Wir raten, Bio-Obst und Bio-Gemüse zu essen, wenn das möglich ist. Und wir raten auch, jeden unnötigen Kontakt mit Chemikalien zu vermeiden. Bei der Gartenarbeit, im Haushalt - oder auch bei der Wandfarbe im Kinderzimmer. Denn die Chemikalien darin können das Hormonsystem beeinflussen und sich im Körper anreichern. Und wir denken, dass man Essen in der Mikrowelle auf keinen Fall in Geschirr aus Plastik aufwärmen sollte, sondern immer nur in Keramik- oder Glasgefäßen."