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Krebsforschung
E. coli-Mikroben fördern Entstehung von Darmkrebs

Experimente niederländischer Forscher bestätigen einen Verdacht: Bestimmte Mikroben im menschlichen Darm können Darmkrebs auslösen. Nun gebe es vielversprechende Ansätze, zielgerichtete Medikamente zu entwickeln, sagte Jens Puschhof vom Hubrecht-Institut in Utrecht im Dlf.

Jens Puschhof im Gespräch mit Christiane Knoll | 28.02.2020
Eine Illustration zeigt das Darminnere mit Bakterien.
Illustration der Mikroben im menschlichen Darm: Die meisten sind nützlich, doch manche fördern die Entstehung von Tumoren. (imago images / Science Photo Library)
Gute Vorsorge hat in den letzten Jahren mehr Krebstote verhindert als jeder Fortschritt in der Therapie. So schützt beispielsweise HPV-Impfung vor den weit verbreiteten Humanen Papillomviren, die Gebärmutterhalskrebs auslösen. Auch bei Darmkrebs gibt es seit geraumer Zeit den Verdacht, dass Mikroben an der Entstehung beteiligt sind. Nun ist es tatsächlich gelungen, für einen Kandidaten der E. coli-Familie diesen Zusammenhang nachzuweisen. Das Darmbakterium erzeugt ein Gift, das Darmzellen angreift. Ein spannendes Ergebnis - und ein neuer Ansatz für die Darmkrebsprophylaxe. Jens Puschhof vom Hubrecht-Institut im niederländischen Utrecht war an den Arbeiten beteiligt.
Christiane Knoll: Sie haben mit einem ganz speziellen Stamm von E. coli-Bakterien gearbeitet, dem PKS-positiven E. coli-Stamm. Warum ausgerechnet mit dieser Mikrobe?
Jens Puschhof: Ja, die PKS-Gen-Insel wurde schon vor zehn Jahren beschrieben dafür, dass darauf Enzyme kodiert sind, die einen Giftstoff bauen: das sogenannte Colibactin. Und dieses Colibactin kann an DNA binden, und somit haben wir uns gefragt: Kann dieses Binden an die DNA spezielle Mutationen verursachen?
Miniorgane halfen dabei, den Verdacht zu bestätigen
Knoll: Der Verdacht war also da, Sie konnten jetzt die ganze Indizienkette von der Mikrobe als Täter bis zur geschädigten Darmkrebszelle nachzeichnen. Wie haben Sie das gemacht?
Puschhof: Dafür haben wir auf ein Modellsystem zurückgegriffen, das sogenannte Organoid - also eine Miniaturversion eines Organs, in unserem Falle des Darms, den wir im Labor nachbauen können. Das wurde vor etwa zehn Jahren hier in Utrecht entwickelt.
Und in diese Miniorgane konnten wir diese Bakterien injizieren und dann messen, welche Arten von Mutationen passieren. Und das Spannende war, dass wir die Mutationen, die wir in unseren Miniorganen finden konnten, letztendlich auch in den Genomen von Darmkrebspatienten wiederfinden konnten.
"Wir fanden diese Mutationen bei fünf Prozent der Darmkrebspatienten"
Knoll: Sie haben also in realen Tumorgewebeproben nach den Mutationen gesucht. Bei wie viel Prozent der Patienten waren die denn aufgetreten?
Puschhof: Wir fanden diese Mutationen etwa bei fünf Prozent, also bei einem von 20 Darmkrebspatienten. Wir hatten großes Glück, dass wir zwei große klinische Kohorten analysieren konnten – zum einen aus den Niederlanden, zum anderen aus dem Vereinigten Königreich. In der holländischen Kohorte hatten wir in etwa sechs Prozent Patienten mit hohen Mutationsanteilen, die wir diesen Bakterien zuschreiben können, und in der britischen Kohorte in etwa drei Prozent.
Herausforderung: zielgerichtete Medikamente entwickeln
Knoll: Damit steht vielleicht ein Weg offen, in Zukunft diese Patienten vor dem Wirken des bösen E. coli-Stamms zu schützen. Sie sagen, eine Impfung wird man wohl eher nicht entwickeln können, weil der Stamm den guten E. coli-Bakterien zu ähnlich ist, aber etwas machen könnte man trotzdem. Was wäre denn die Alternative?
Puschhof: Es gibt durchaus einige Ansätze, die sehr vielversprechend sind. Zum Beispiel könnte man diese Enzyme, die den Giftstoff in den Bakterien bauen, mit Chemikalien inhibieren. Man könnte ihre Wirkung hemmen und somit die Produktion des Giftstoffs unterbinden. Auf der anderen Seite könnte man auch zielgerichtete Antibiotika entwickeln, um diese Bakterien zielgerichtet aus dem Darm zu entfernen, bevor sie ihre schädliche Wirkung entfalten können.
Knoll: Aber das müsste man dann ja sehr früh machen, es geht ja um Vorsorge. Und sowohl Antibiotika als auch andere Medikamente haben ja in der Regel Nebenwirkungen. Würde man das wirklich machen?
Puschhof: Das ist eine sehr gute Frage und das ist auch sehr schwierig, diese Studien durchzuführen, da der Krebs ja tatsächlich erst Jahrzehnte, nachdem die mutagene Wirkung eventuell geschehen ist, auftreten kann. Die Darmflora hat ja auch sehr viele positive Effekte. Darum wollen wir Medikamente so zielgerichtet entwickeln, dass wir wirklich nur die PKS-positiven E. coli an ihrem schädlichen Effekt hindern.
Mikrobiom als Schlüsselfaktor bei der Entstehung von Darmkrebs
Knoll: Es gibt ja noch mehr Verdachtsfälle von krebsauslösenden Mikroben. Was schätzen Sie denn - angenommen, Sie finden so etwas Zielgerichtetes: Wie viele Darmkrebsfälle könnte man in Zukunft mit dem Ansatz verhindern?
Puschhof: Da sind noch einige Schritte, die wir in der Forschung gehen müssen, bevor wir die Frage wirklich kompetent beantworten können. Da ist zum Beispiel die Frage, wie wichtig diese Mutationen tatsächlich sind, die E. coli im Genom hinterlässt. Es gibt die krebstreibende Mutation, und wir konnten einige von diesen auch feststellen, die wir sehr stark zu diesem Bakterium in Verbindung bringen können. Ob tatsächlich fünf Prozent der Darmkrebsfälle durch diese PKS E. coli hervorgerufen werden, das müssen erst noch weitere Studien zeigen. Ich bin eigentlich überzeugt davon, dass die Gesamtheit der Mikroben im Darm eine sehr große Rolle dabei spielt, wie Krebs entsteht und wie er sich auch als gewachsener Tumor verhält.
Knoll: Es gab zuletzt Anzeichen, dass Darmkrebs ausgerechnet bei jüngeren Menschen, bei Menschen unter 40 zunimmt. Auch da ist Ihre Studie ja ganz interessant. Man könnte nämlich spekulieren, dass die Mikrobenzusammensetzung im Darm sich mit den Ernährungsgewohnheiten so verändert hat, dass Zellen häufiger und früher entarten. Könnten PKS-positive E. coli-Bakterien wirklich die Ursache sein? Haben Sie in die Richtung nachgedacht?
Puschhof: Ja, das ist auf jeden Fall eine sehr spannende Fragestellung, wir arbeiten eng mit der Gruppe von Mike Stratham in Cambridge zusammen, die Daten haben, die zeigen, dass diese Bakterien eventuell sehr, sehr früh im Leben wirken könnten. Und in der Tat gibt es auch Studien, die zeigen, dass wenn Menschen auf eine westliche Ernährung umgestellt werden, dass sich sehr schnell auch ihr Darmkrebsrisiko erhöht. Dementsprechend sind dort noch einige Verbindungen zu machen. Aber es ist durchaus plausibel, dass Bakterien hierbei eine zentrale Rolle spielen. PKS E. coli werden durch unsere Studie nahegelegt, jedoch gibt es auch viele weitere Mikroben, die sicher weiter untersucht werden sollten, um aus diesen Verbindungen wirklich Kausalitäten herstellen zu können.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.