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Krebsursachen
Die Macht von Faktor Zufall

Es sind zahlreiche Schadstoffe bekannt, die das Krebsrisiko erhöhen. Außerdem haben Wissenschaftler mehrere Gene entdeckt, die ein gesteigertes Erkrankungsrisiko von einer Generation zur nächsten übertragen. US-Forscher haben nun errechnet: Alle diese Faktoren machen zusammen gerade einmal ein Drittel des Krebsrisikos aus. Der große Rest ist purer Zufall.

Von Michael Lange | 02.01.2015
    Eine medizinisch-technische Radiologieassistentin überprüft eine Aufnahme einer Brust.
    Forscher Cristian Tomasetti: "Wir sind sicher, dass der reine Zufall bei der Krebsentstehung die Hauptrolle spielt." (picture alliance / dpa / Angelika Warmuth)
    Wenn Zellen sich teilen, dann verdoppelt sich ihr Erbgut – und bei diesem Kopiervorgang können Fehler entstehen. Manchmal geht dabei die Kontrolle der Zellteilung verloren, und es kommt es zu Krebs. Aber nicht alle Zellen im Körper teilen sich regelmäßig, sondern nur Stammzellen. Sie arbeiten permanent dem Alter entgegen, indem sie sich teilen und neue Zellen bilden. Die Innenauskleidung des Darms erneuert sich zum Beispiel vollständig alle drei bis vier Tage, im Knochen hingegen dauert es Monate bis alte Zellen durch neue ersetzt werden. Die Stammzellen im Darm teilen sich also viel häufiger als im Knochen.
    Die Teilungsrate der Stammzellen korreliert mit dem Krebsrisiko
    Der Biostatistiker Cristian Tomasetti von der Johns Hopkins University in Baltimore hat den Zusammenhang zwischen Zellteilung und Krebs berechnet.
    "Die Stammzellen sind entscheidend. Genauer gesagt: Ihre Teilungsrate bestimmt das Krebsrisiko. Wir haben verschiedene Gewebe im Körper verglichen und errechnet, dass die Krebsgefahr umso höher ist, je häufiger sich die Stammzellen teilen."
    Aus der natürlichen Teilungsrate der Stammzellen konnten die Forscher das Krebsrisiko überraschend genau voraussagen.* Wenn sich Stammzellen im Darm zehnmal so oft teilen wie im Knochen, war auch das errechnete Krebsrisiko zehnfach erhöht. Statistisch gesehen ist es so, als ob bei jeder Zellteilung der Stammzellen im Körper eine Art Lotterie stattfindet. Meistens entsteht kein Krebs. Aber manchmal eben doch, rein zufällig. Als Statistiker hat Cristian Tomasetti die Bedeutung des Zufalls errechnet. Er setzte dieses Zufallsrisiko der Krebsentstehung in Beziehung zu den bekannten Risikofaktoren. Das sind die Gene und die Umwelt.
    Vorbeugung dennoch wichtig
    "Zwei Drittel aller Krebsfälle waren einfach nur Pech. Das verbleibende Drittel ist zurückzuführen auf Vererbung und Umweltfaktoren. Wie sich dieses verbleibende Drittel aufteilt, konnten wir noch nicht berechnen. Aber wir sind sicher, dass der reine Zufall bei der Krebsentstehung die Hauptrolle spielt."
    Das bedeutet aber nicht, dass Vorbeugung sinnlos ist, betont Cristian Tomasetti. Es gilt weiterhin: Wer nicht raucht, sich gesund ernährt und sich regelmäßig bewegt, senkt sein persönliches Krebsrisiko. Vorbeugung macht Sinn. Aber manche Aussagen müssen überdacht werden.
    "Wenn meine Eltern ihr ganzes Leben lang geraucht haben, ohne Lungenkrebs zu bekommen, dann glaubte man früher, dass ihre Gene sie geschützt haben. Aber das ist unwahrscheinlich. Wahrscheinlicher ist, dass sie einfach nur sehr viel Glück hatten."
    Das gilt dann auch für Deutschlands berühmtesten Kettenraucher, den Altbundeskanzler Helmut Schmidt. Nach den neuen Berechnungen haben wahrscheinlich nicht sein Verhalten, seine Ernährung oder seine Gene ihn geschützt. Sein langes Leben hat er primär dem Zufall zu verdanken.
    *In der gesendeten Audioversion heißt es an dieser Stelle "Mit einer Trefferquote von 81 Prozent." Das ist falsch. Korrekt ist: Die Forscher errechneten eine Korrelation von 0.81 zwischen Zellteilungsrate und populationsweitem Krebsrisiko." (Anm. d. Red.)