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Kremlkritiker Nawalny bleibt auf freiem Fuß

Politisch motiviert, nannten Beobachter im Juli die Verurteilung von Kremlkritiker Aleksej Nawalny. Nach einer nervenaufreibenden Berufungsverhandlung wurde die Haftstrafe zur Bewährung ausgesetzt. Die Entscheidung scheint auf Anweisung aus dem Kreml gekommen zu sein.

Von Gesine Dornblüth | 16.10.2013
    Keine zwei Stunden dauerte die Berufungsverhandlung im Kirower Gebietsgericht, dafür verlief sie spannend wie ein Krimi. Zu Beginn der Verhandlung bezeichnete Kremlkritiker Aleksej Nawalny das Verfahren gegen ihn erneut als politisch motiviert.

    "Es war einzigartig und merkwürdig, dass wir erst zu Lagerstrafen verurteilt, am nächsten Tag aber freigelassen wurden, offensichtlich auf Anweisung aus Moskau. Danach liegt die politische Motivation auf der Hand."

    Die Verteidigung beantragte heute einen Freispruch für Aleksej Nawalny und seinen ehemaligen Partner, Pjotr Ofizerow. Nawalnys Anwältin machte noch einmal die Absurdität des erstinstanzlichen Urteils deutlich.
    "Der Urteilstext wiederholt über weite Teile vollständig den Text der Anklageschrift. Selbst die Aussagen der Zeugen, mit Ausnahme der ersten fünf, sind identisch mit denen aus den Ermittlungsprotokollen. (...) Richter Blinow hat die Anklageschrift einfach kopiert und das ganze 'Urteil' genannt."

    Die Verteidigung beantragte sodann, zwei Gutachten zu bestellen sowie jene Zeugen der Verteidigung vorzuladen, die im erstinstanzlichen Verfahren nicht gehört worden waren. Richter Albert Prytkow hörte der Verteidigung sehr aufmerksam zu, lehnte dann aber alle Anträge kurz angebunden ab.

    "Dass die Verteidigung mit den Ergebnissen von Gutachten nicht einverstanden ist, ist kein Grund, neue Gutachten zu beantragen. Setzen Sie sich, die Verhandlung geht weiter."

    Die Enttäuschung aufseiten der Verteidigung war nicht zu übersehen. Nawalny, sonst ein großer Redner, verzichtete danach auf viele Worte.

    "Ich sehe keinen Sinn in einem Schlussplädoyer, ich verstehe nicht, was das Gericht noch berücksichtigen könnte, nachdem unsere Anträge, Gutachten zu erstellen und Zeugen vorzuladen, abgelehnt wurden."

    Es war der Mitverurteilte Pjotr Ofizerow, der dramatische Worte fand:

    "Heute sitzen nicht Aleksej Nawalny und Pjotr Ofizerow auf der Anklagebank, sondern die russische Justiz und der Glaube an die Gerechtigkeit."

    Nach einer halbstündigen Beratung verkündete Richter Prytkow dann das unerwartete Urteil: fünf Jahre Bewährungsstrafe für Nawalny und Ofizerow. Eine Begründung lieferte er nicht.
    Nawalny fand noch im Gerichtssaal zu seiner gewohnten Kämpferhaltung zurück.

    "Wir müssen unsere Kräfte jetzt darauf richten, Druck auf die Mächtigen auszuüben, damit diejenigen freikommen, die in einer schlechteren Lage sind als ich, vor allem die Gefangenen der Bolotnaja-Strafsache."

    In Moskau geht die Justiz gegen mehr als zwei Dutzend Menschen vor, die im Sommer 2012 auf dem Bolotnaja-Platz an einer Großdemonstration gegen Präsident Putin teilgenommen hatten.
    Der Schriftsteller Lew Rubinshtejn, Aktivist der Protestbewegung, twitterte nach der Urteilsverkündung in Kirow: Jetzt haben sie uns schon so weit gebracht, uns über Bewährungsstrafen zu freuen. Aleksej Nawalny hat angekündigt, das Urteil anzufechten. Mit der Verurteilung auf Bewährung ist ihm der Zugang zu politischen Ämtern in Russland in nächster Zeit verwehrt.