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Kricheldorf-Inszenierung
Liebe und Lebenssinn

Julian zieht nach einer Auszeit im Ausland wieder bei seinen Eltern ein. Sie sind Oberhäupter einer Kommune. In dem Theaterstück "Die Kunst der Selbstabschaffung" von Rebekka Kricheldorf prallen in einer Wohnung verschiedene Generationen und Lebensweisen in clownesker Übersteigerung aufeinander.

Von Hartmut Krug | 16.02.2015
    Das Staatstheater in Kassel, Deutschland am 19. Dezember 2013 bei Dunkelheit.
    Das neue Stück von Rebekka Kricheldorf wird am Staatstheater in Kassel gezeigt. (picture alliance / dpa - Uwe Zucchi)
    Die kleine, schräge Spielfläche mitten im leeren Raum ist vollgestellt. Vanitas-Motive, wohin man blickt. Im Hintergrund ein Ölschinken mit Totenschädel, vorn sortiert ein Mann in einem der wie Karusselsitze herumhängenden Sessel einen Haufen von Totenschädeln. Weiter hinten steht ein bis auf die Knochen abgezogenes Schaukelpferd, und über allem hängt drohend eine Uhr. Irgendwann wird im Laufe des Abends sich noch ein Mann eine mächtige Vogelschwinge überstreifen und als oder mit dem Tod umherlaufen.
    Hierher ist Julian zurückgekehrt, nach langer Auszeit in Venezuela. Nun zieht er wieder ein bei seinen Eltern Richard und Ines, noch immer Oberhäupter einer Kommune, doch auf Sinnsuche mit neuen Mitbewohnern. Julian hat nicht nur einen strubbeligen Bart, sondern auch die Erkenntnis mitgebracht, dass er die zurückgelassene Vanessa liebt. Doch die ist inzwischen verheiratet, wenn auch sexuell durchaus offen. Sieben Personen verschiedener Generationen und Lebensweisen stoßen in dieser Wohnung in clownesker Übersteigerung aufeinander.
    "Eine Endlichkeitclowneske" nennt Rebekka Kricheldorf im Untertitel ihr neuestes Werk, das im Obertitel "Die Kunst der Selbstabschaffung" beschwört. Ah ja, es geht also um letzte, grundsätzliche Dinge des Lebens: Um Liebe und Lebenssinn und um die Erkenntnis, "Erwachsenwerden führt unweigerlich zum Tod." Dies nicht dargeboten als bleischweres Problemstück, sondern als ein wildes Durcheinanderpalaver. Hin und her springend zwischen tieferer Bedeutungsbehauptung und hingefetzten komischen Szenen.
    Einbezug des Publikums
    Das Stück wirkt, als habe die Autorin aus ihrer Werkkiste alles zusammengeschüttet, was sie als Ideen und Sprüche gesammelt hat. Und nichts fügt sich so recht zusammen bei diesem funkenlosen Gaggewitter. Weshalb sich die Autorin immer wieder in einen Diskurs mit dem und über das Publikum zu retten sucht. Die Zuschauer werden direkt angesprochen, als oberflächlich beschimpft oder als Aufbewahrer von Requisiten einbezogen, gelegentlich aber auch wohlmeinend mit philosophischen, sozialpolitischen und literarischen Werken beworfen.
    FLEUR: Was suchst du?
    MARCEL: Den roten Faden.
    FLEUR: Und? Siehst du was?
    MARCEL: Nein. Weißt du, was ich glaube?
    FLEUR: Nein.
    MARCEL: Ich glaube, dieses Stück ist, genau wie das Leben, löchrig und sinnlos. Man trifft Leute, es passiert nicht viel, ab und zu entsteht ein unverhofft guter Moment, der schnell verfliegt, und plötzlich ist es, bumms, aus.
    Natürlich pfiffig, dass die Autorin versucht, uns die Schwächen ihres Stückes als Stärke zu verkaufen. Doch nacherzählen lässt sich das ihr hin und her delirierendes Stück kaum. Da gibt es eine junge Frau, die als Medium agiert und zum Beispiel Julians während seiner Abwesenheit verstorbene Zebrafinken namens Baader und Meinhof befragt. Wozu sie aus dem Kühlschrank geholt werden. Und das Medium bringt Zarah Leander mit ihrem tiefsinnigen Hit "Nur nicht aus Liebe weinen" zu Gehör. Ihr Freund ist ein Schauspieler mit der alleinigen Fähigkeit, Leichen spielen zu können.
    Da ist er wieder, der Tod, der aus den aufgerissenen Augen des Mediums zu funkeln scheint, aber auch in der Muffeligkeit des Leichenspielers aufgehoben ist. Julians Eltern wirken als altes, immer noch "irgendwie" suchendes Hippiepaar wie aus der Zeit gefallen. Ihren Darstellern immerhin nimmt man trotz all ihrer Aufgedrehtheit die Ernsthaftigkeit ab, die hinter den ihnen von der Autorin zugeteilten lustig-motzigen Sprüchen stecken könnten.
    RICHARD: Als ich mal Selbstmord gemacht habe -
    JULIAN: Vater! Bitte.
    RICHARD: Wir wollten doch über große Dinge reden. Also: Als ich mal Selbstmord gemacht habe -
    INES: Sag wenigstens Freitod.
    RICHARD: Als ich mal Freitod gemacht ... Das klingt ja scheiße. Als ich mal Hand an mich legte -
    JULIAN: Das klingt jetzt aber zweideutig.
    RICHARD: Aber Jean Améry hat es auch so gesagt.
    INES: Na und? Den kennt heut eh keiner mehr.
    RICHARD: Schlimm genug! (Geht zu Regal, holt ein Buch raus und wirft es dem Publikum an den Kopf.) Hier. Jean Améry. "Hand an sich legen". Sollten Sie mal lesen.
    JULIAN: Ich finde es unschön, dass du dieses Stück als Lektüre-Werbung missbrauchst.
    RICHARD: Warum nicht? Die Leute lesen zu wenig. Und wenn sie mal lesen, lesen sie das Falsche.
    Wildes Textmäandern
    Leider sucht Regisseurin Schirin Khodadadian das wilde Textmäandern mit einem unbedingten Willen zu Spiel und allgemeiner Bebilderung jeder Szene, ja, jeden Satzes in den Griff zu bekommen. Damit aber entgleitet ihr der Text, - was bleibt, ist undeutliches, aufgemotztes Bewegungstheater. Warum hier getobt, gerannt, geslapstickt wird, und was die einzelnen Figuren wirklich umtreibt, wird durch ihr Spiel nie wirklich deutlich. Obwohl, manche Figuren sind bis zur Karikatur überdeutlich ausgemalt. Da gibt es eine Frau, die mit Volldampf und voluminösem Körpereinsatz auf Erotik macht. Und einen Mann mit Schmerbauch, der als Dichter seine Werke nicht nur vor sich her trägt, sondern auch gern aus ihnen zitiert:
    VALENTIN: Als er seinen Jugendfreund so verzweifelt vor sich stehen sah, legte sich Ratlosigkeit auf sein Hirn wie ein toter Hammel. Aber er vernahm auch aus den Tiefen seines Selbst, von dort, wo die Seele am sumpfigsten ist, eine dünne Stimme, die schrie: Selbst Schuld, Julian, selbst Schuld.
    Immerhin gibt es mit den alten Hippies ein Pärchen, das auch schauspielerisch aus dieser szenischen Slapstickorgie herausragt und dem Abend ein wenig Struktur verleiht. Wunderbar vor allem, wie Jürgen Wink den Richard als gestisch-mimischen Beweglichkeitsclown gibt und dessen tiefere Gedanken zugleich locker versinnlicht. Insgesamt aber überzeugt diese wohl fünfte Kasseler Uraufführung eines Stückes von Rebekka Kricheldorf nicht, - auch, weil die mit Kricheldorf-Inszenierungen erfahrene Regisseurin auf hier falsche Verdeutlichung und Äußerlichkeiten setzt.