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Krieg auf Geheiß des Papstes

Gut 200 Jahre, vom 11. bis zum 13. Jahrhundert, hatte der Kreuzzugsgedanke in Europa Konjunktur. So sehr im Anfang religiöse Motive im Vordergrund standen, so sehr dominierten am Ende ökonomische Interessen die Glaubenskriege. Mit dem Fall von Akkon vor 715 Jahren endete die Geschichte der Kreuzzüge.

Von Kersten Knipp | 18.05.2006
    Deus lo vult - Gott will es. Mit diesen Worten hatte Papst Urban II. 1095 zur Eroberung Jerusalems aufgerufen. Tatsächlich konnten die Teilnehmer des Ersten Kreuzzuges die Stadt im Jahr 1099 von der muslimischen Herrschaft befreien. Im Laufe der folgenden Jahre gründeten die Kreuzfahrer in den unterworfenen Gebieten mehrere christliche Niederlassungen. Die dorthin gezogenen Bewohner verloren bald die Bindung an die alte Heimat. Ihr Lebensgefühl fasste ein Kreuzfahrer in einem Brief so zusammen:

    "Stell dir vor, dass Gott in unserer Zeit den Westen gleichsam in den Orient versetzt hat. Denn wir, die wir Abendländer waren, sind zu Orientalen geworden. Wer einst Bürger von Reims oder Chartre war, ist jetzt Bürger von Tyrus oder Antiochia. Wir haben unseren Geburtsort bereits vergessen; vielen ist er entfallen oder er wird nicht erwähnt. Manche haben ihre Frauen nicht aus dem eigenen Volk, sondern aus dem der Orientalen gewählt."

    Genau dies war auch die Situation in der 100 Kilometer nördlich von Jerusalem, direkt am Mittelmeer gelegenen Stadt Akkon, die die christlichen Heere im Jahr 1191 erobert hatten. Viel eher denn als Glaubenskrieger lebten die Christen als Lebemänner, wie Jakob von Vitry, der Bischof der Stadt, bemerkte.

    "Unter den christlichen Bewohnern nimmt kaum einer seine Ehe ernst. Sie halten Ehebruch nicht für eine Todsünde. Sie sind von Kind auf verzogen und fleischlichen Gelüsten hingegeben, während sie nicht gewohnt sind, auf Gottes Wort zu hören, das sie missachten. Zudem ist die Stadt voller Bordelle, und da die Dirnen hohe Mieten zahlen, vermieten nicht nur Laien, sondern auch Geistliche und Mönche ihre Häuser an die Huren."

    Auch in Europa hatte die christliche Leidenschaft nachgelassen, insbesondere nach dem vierten Kreuzzug, der mit der Eroberung von Byzanz endete. Die Plünderung der Stadt offenbarte die durch und durch weltlichen Motive, die die Kreuzzüge in ihrer Spätphase bestimmten. Zudem hatten die muslimischen Streitkräfte das Heilige Land zu größten Teilen zurückerobert, so dass den europäischen Herrschern ein weiterer Heereszug wenig sinnvoll erschien. Dennoch rief Papst Nicolaus IV. 1290 zu einem weiteren Kreuzzug auf, dem sich allerdings nur Bauern, Arbeiter und Abenteurer aus der Lombardei und der Toskana anschlossen. Kaum angekommen in Akkon, suchten und fanden die Eroberer Vorwände, die Stadt zu plündern.

    Die einen behaupteten, ein mohammedanischer Kaufmann habe eine christliche Dame verführt, und der Nachbar habe um Hilfe gerufen, andere erklärten, bei einem Trinkgelage mit Mohammedanern sei es zum Streit gekommen. Jedenfalls erkannten die Kreuzfahrer die Notwendigkeit, alle Mohammedaner umzubringen, und schon schlachteten sie jeden ab, der einen Bart trug, darunter auch scharenweise ihre eigenen Glaubensgenossen, weil sie glaubten, dass nur Mohammedaner Bärte besitzen würden.

    Die christlichen Stadtväter waren entsetzt, dennoch weigerten sie sich, die Mörder und Plünderer dem Sultan von Kairo auszuliefern und den Muslimen Schmerzensgeld auszuzahlen. So nahm der Sultan die Rache in die eigene Hand. Am 5. April 1291 erschien er mit einem gewaltigen Heer vor den Mauern der Stadt, ausgerüstet mit über 100 Steinschleuderkatapulten, mit denen sie das so genannte "griechische Feuer" in die Stadt schossen, Brandbomben, die verheerende Wirkung anrichteten. Ein Zeitzeuge:

    "Das griechische Feuer glich einem großen Essigfass, und sein brennender Schweif hatte die Länge eines gewaltigen Schwertes. Im Flug machte es ein Geräusch wie Donner, und es glich einem durch die Luft fliegenden Drachen. Es gab so viel Licht, dass unser Lager taghell war."

    Eigentlich galt das durch mehrere Mauerringe und Türme und zudem mit einem sicheren Hafen versehene Akkon als uneinnehmbar. Doch die Belagerer beschossen die Stadt nicht nur, sie untergruben auch die Befestigungsanlagen. Die Türme stürzten ein, und am 18. Mai befahl der Oberkommandierende den Angriff.

    Als sich die Feinde nun Eingang verschafft hatten, stürzte das Heer von allen Seiten in die Stadt und machte ohne Rücksicht auf Alter, Stand oder Geschlecht alles, was ihnen begegnete, nieder. Die von den Bewohnern, welche am klügsten oder am rüstigsten waren, flüchteten in die Burgen. Hier entstand ein solches Gedränge, dass manche jämmerlich erstickten. Schauerlich war es anzusehen, wie überall Erschlagene umher lagen, und wie der Boden von Blut ganz bedeckt war.

    In den folgenden Wochen befahl der Sultan El Aschraf Kamil, auch die letzten christlichen Festungen der Region zu schleifen. Das Reich der Kreuzzügler war am Ende - und mit ihm der Kreuzzugsgedanke. Nie wieder sollte ein christlicher Herrscher auf den Gedanken kommen, Truppen für die Eroberung Jerusalems zu mobilisieren.