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Krieg der Computer

16 Einzelkonferenzen, über 100 Vorträge, knapp 50 Tutorials – im Spielerparadies Las Vegas stand in der vergangenen Woche ein wahrer Konferenzmarathon auf dem Programm der Teilnehmer. Ein Schwerpunkt lag dabei auf der militärischen Nutzung von Rechenkraft.

    Ganz bewusst verzichteten die Veranstalter der Internationalen Multikonferenz über Computerwissenschaft und Computerentwicklung, die vom 27. bis 30 Juni in Las Vegas stattfand, auf die bekannten "Stars" der Szene. Stattdessen stellte der Tagungsmarathon von acht Einzelkonferenzen und zahllosen Nebenschauplätzen eher ein Stelldichein des Nachwuchses und des Mittelbaus an Universitäten und Instituten dar. Weil diese oft erst am Anfang ihrer Karriere stehen, gibt ein derartiges Treffen einen reizvollen Überblick über viel versprechende Ideen und Projekte, die weit in die Zukunft reichen. So wurde im Spielerparadies beispielsweise über automatisierte Flugkontrolle mittels Künstlicher Intelligenz ebenso berichtet wie über ein System zur Erdbebenvorhersage oder ein Multiagentensystem für die Systemreparatur von Supercomputern.

    Auch die Industrie hat diesen vielfältigen Forschungsbazar inzwischen für sich entdeckt und stöbert dort nach interessanten Arbeitskräften. In Deutschland scheint die Multikonferenz noch auf wenig Interesse zu stoßen: gerade 19 Forschergruppen mit etwa 70 Teilnehmern waren nach Nevada gereist. China, aber auch andere europäische Länder wie die Niederlande, Großbritannien und Frankreich waren indes weitaus stärker vertreten. So freute sich denn auch Richard Lewis vom Organisationskomitee bei der ersten Podiumsdiskussion über den Zuwachs an Teilnehmern und das wachsende Interesse an der Veranstaltung.

    Reisen in den Körper

    In der Gunst der Wissenschaftler scheinen autonome Systeme derzeit einen hohen Stellenwert einzunehmen. Zahlreiche Präsentationen beschäftigten sich mit Ideen wie etwa zu winzigen Computern, die sich selbstständig orientieren können und beispielsweise in der medizinischen Diagnostik eingesetzt werden könnten. Solche Roboter könnten quasi als Tablette geschluckt werden und anschließend den Magen-Darmtrakt inspizieren. Andere Systeme, die in der Lage sind, selbstständig größere Arbeitsgruppen zu bilden, könnten in der flächendeckenden Überwachung von Meeresböden eingesetzt werden. In der Luftfahrt könnten intelligente Programme Lotsen helfen, den zunehmenden Verkehr im Auge zu behalten. Voraussetzung für derartige autonome Apparate ist die Integration von Programmen direkt in spezialisierte Hardware, erklärt der Chipentwickler Christopher Rowen:

    "Wir haben durchaus viele Wahlmöglichkeiten. Die Geschwindigkeit wird sich verfünffachen, die Dichte der Schaltkreise wird auf das 20fache steigen. Dagegen wird der Stromverbrauch um 75 Prozent sinken. Außerdem sind diese Systeme sehr einfach zu entwerfen. In fünf bis zehn Jahren wird der Softwareanteil dieser Systeme sehr viel schneller wachsen als ihr Hardwareanteil."

    Software-Agenten in Uniform

    Dieser Trend scheint auch dem Militär nicht verborgen geblieben zu sein, das ebenfalls auf der Konferenz in Las Vegas gut vertreten war. Für heftige Diskussionen sorgte etwa ein Beitrag von Wissenschaftlern des US Special Operations Command über den Einsatz von wissensbasierten autonomen Systemen während des Irak-Kriegs. Dabei wurde deutlich, dass IT-Entwicklungen nicht nur friedlichen Zwecken dienen können: So können Softwareagenten und autonome Systeme nicht nur Supercomputer in Schuss halten, sondern auch gegnerische Rechner ausschalten. Ein wissensbasiertes autonomes System kann ebenso im Krieg Ziele für Raketen berechnen und - auf der Rakete angebracht - die Waffe ins Ziel lenken, wie es in der zivilen Verwendung ersten Anzeichen für ein Seebeben erkennen und vor einer Flutwelle warnen kann.

    Dieses Problem des so genannten "Dual Use", der zivilen und militärischen Nutzbarkeit von Informationstechnologie, prägte die Multikonferenz in diesem Jahr deutlich. Selbst Experten schienen hier ein wenig ratlos, wo dabei eine Grenze zu ziehen sei und wie weit man selbst an Projekten mitarbeiten könne, ohne seine ethische Grundhaltung dabei zu verletzen.

    [Quelle: Peter Welchering]