Samstag, 27. April 2024

Archiv


Krieg der Gutachter

Die Koalitionsparteien halten bislang an ihrer Wahlankündigung fest, die Laufzeiten für die deutschen Atomkraftwerke zu verlängern. Nur ist das seit der Wahlniederlage von Schwarz-Gelb in NRW schwieriger geworden: Union und FDP haben keine Mehrheit mehr im Bundesrat.

Von Andreas Baum | 03.06.2010
    Im Kabinett Merkel schwelt schon seit längerem ein Streit über die Zukunft der Atomkraft, zwei Minister, die eigentlich politische Weggefährten sind, haben sich über die Frage der Laufzeiten für Kraftwerke entzweit. Norbert Röttgen, der Umweltminister und federführend, steht auf dem Standpunkt, dass der Bundesrat einer Laufzeitverlängerung zustimmen muss. Kanzleramtsminister Ronald Pofalla stellt sich nun seinem Kabinettskollegen in den Weg: Ein Zustimmungsfreies Gesetz werde es auch diesmal geben, genauso wie seinerzeit unter Rot-Grün, als der Atomkompromiss gefasst wurde. Es gelte nur, es richtig anzulegen.

    Die Regierungschefs der Unionsgeführten Bundesländer springen Pofalla zur Seite, auch Stefan Mappus aus Baden-Württemberg glaubt nicht, dass die Länderkammer bei den geplanten Laufzeitverlängerungen eingebunden werden muss. Ob und wie die Hürde Bundesrat umgangen werden kann, darüber hat die Bundesregierung nun Expertisen aus den Ressorts bestellt, die es betrifft, das sind das Umwelt- und das Justizministerium. Der stellvertretende Sprecher der Kanzlerin, Christoph Steegmans, bestätigt zwar, dass die Gutachten fertig sind, schweigt aber beharrlich über deren Inhalt.

    "Die Stellungnahmen der beiden Verfassungsressorts sind eingegangen und werden ausgewertet. Ich darf Ihnen grundsätzlich sagen, dass die Terminpläne aller Beteiligten von Gesprächsterminen gespickt sind. Die Bundeskanzlerin wird mit den Ministerpräsidenten der Länder, die Kernkraftwerkstandorte haben, Gespräche führen."

    Stromproduzierende Atomkraftwerke stehen heute in fünf Bundesländern, in Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Hessen, Baden-Württemberg und Bayern. All diese Länder haben unionsgeführte Regierungen. Noch vor der Sitzung des Bundesrates am Freitag soll eine gemeinsame Position erarbeitet werden. Umweltminister Norbert Röttgens Expertise, die er beim ehemaligen Bundesverfassungsgerichts-Präsidenten Hans-Jürgen Papier bestellt hat, kommt dem Vernehmen nach zu dem Schluss, dass eine Verlängerung der Laufzeiten vom Bundesrat beschlossen werden muss. Dass Nordrhein-Westfalen am Ende doch für eine Mehrheit für Laufzeitverlängerungen sorgen könnte, wird von SPD-Chef Sigmar Gabriel, und da nimmt er die laufenden Sondierungsgespräche mutig vorweg, klar ausgeschlossen.

    "Es wird in NRW keine Regierung mit der SPD geben, bei der nicht klar ist, dass wir im Bundesrat dem Antrag auf Laufzeitverlängerungen nicht zustimmen werden."

    Und sollte es den Versuch geben, ein zustimmungsfreies Gesetz auf den Weg zu bringen, dann wird die SPD vors Bundesverfassungsgericht ziehen, denn sie glaubt, dass die Bundesregierung zu einem solchen Schritt kein Recht hat.

    "Wenn sie trickst, wenn sie versucht mit Umgehungstatbeständen, wie normalerweise in Bananenrepubliken regiert wird, in Deutschland regieren will, dann werden wir Klage erheben, natürlich gemeinsam mit den Grünen, wegen Verletzung der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland."

    Die Atomindustrie lockt derweil mit den Gewinnen, die sie sich von länger laufenden Kraftwerken verspricht. In Zeiten, in denen ein Rettungspaket das nächste jage, sei es unvernünftig, auf volkswirtschaftliches Kapital zu verzichten, sagt beispielsweise Jürgen Großmann, Chef des Stromkonzerns RWE, gleichzeitig verspricht er den Verbrauchern, dass die Strompreise so gesenkt werden können. Die Meiler könnten 50 bis 60 Jahre lang laufen, jeder Tag, den ein amortisiertes Atomkraftwerk länger am Netz ist, bringt Berechnungen zufolge Gewinne in Höhe von einer Million Euro.

    Und, würde Deutschland auf den Ausstieg verzichten, würde dies den Privathaushalten durchschnittlich 140 Euro im Jahr bringen – Jürgen Großmann will allerdings nicht, dass die Gewinne der Kraftwerke bei längeren Laufzeiten teilweise abgeschöpft werden. Denn er spricht sich klar gegen eine Brennelementesteuer aus. Deren Erträge könnten zum Schuldenabbau verwendet werden – dies schade aber dem Vorhaben, die Gewinne aus der Atomkraft in Erneuerbare Energien zu stecken, sagt der RWE-Chef.