Der Krieg im Kaukasus hat Europa in eine Orientierungskrise gestürzt. Ein Beispiel dafür waren die fragwürdigen Parallelen zum Kalten Krieg, die vielerorts gezogen wurden.
Pavel Kohout, einer der Unterzeichner der Dissidenten von Charta 77, wehrt sich in der Zeitschrift "Cicero" gegen falsche Invasionsvergleiche:
Georgische Aktion und russische Reaktion hatten, wie von manchen behauptet, herzlich wenig mit dem politischen Prager Frühling von 1968 zu tun. Auch vierzig Jahre später wissen wir, dass damals weder die Tschechen das slowakische Bratislava bombardierten - so wie die Georgier - noch die Slowaken wie die Osseten vor Freude in die Luft schossen, weil sie von russischen Panzern befreit wurden.
Gleichwohl hat die Georgien-Krise schlaglichtartig deutlich gemacht, dass Westeuropa von der Rückkehr der alten Sicherheitspolitik völlig überrascht wurde. Jan Techau schreibt dazu in der "Berliner Republik":
Europa selbst ist uneinig und machtlos, faktisch entmilitarisiert, gedanklich woanders - und aus all diesen Gründen abhängig von zwei dominierenden externen Mächten, die zunehmend auf Konfrontationskurs gehen. Seine eigene Sicherheit kann Europa nicht ohne Amerika gewährleisten, weswegen es manch ungeliebte amerikanische Vorgehensweise schlucken muss; von Russland hängt die Wärme in Europas Wohnstuben und, weiter östlich und noch elementarer, der friedliche Alltag ab.
Derweil erinnert William Pfaff in den "Blättern
für deutsche und internationale Politik" an Grundregeln im Umgang mit Russland in Erinnerung an den legendären Feldmarschall Montgomery:
Erstens: Russland nicht angreifen, zweitens: Russland nicht angreifen; drittens: dito. Eine vierte Regel könnte also lauten: "Lass dich von niemandem verleiten, Russland anzugreifen." Die fünfte Regel würde zur Vorsicht raten: "Lass dir von deinen Freunden in Washington keinesfalls einreden, wenn du Russland angreifst, würden die Vereinigten Staaten und die NATO kommen, um dich zu retten."
Und eine sechste Verhaltensregel geht eher auf Henry Kissinger zurück:
Großmächte begehen für Verbündete keinen Selbstmord. Schon gar nicht für kleine, unwichtige Bündnispartner.
Wie aber sehen die Konzepte einer künftigen
Russland-Politik der USA aus? Die Unterschiede Obamas und McCains seien keineswegs marginal, sondern gravierend, meint Marc Oprach in der "Politischen Meinung":
Der kooperative Weg Obamas erscheint angesichts des aktuellen amerikanisch-russischen Zerwürfnisses verheißungsvoll. Doch bei einer Konzentration auf die Lösung bedeutsamer Sicherheitsfragen darf die Kritik der innenpolitischen Situation Russlands keinesfalls unberücksichtigt bleiben. Gerade das propagierte Ziel, die moralische Stärke der amerikanischen Außenpolitik wiederherzustellen, wäre zu Beginn verspielt, sollte sich Obama in Menschenrechtsfragen als schwacher, nachgiebiger und kritikloser Verhandlungspartner Russlands erweisen.
Bei William Pfaff fällt der US-Kandidatenvergleich eher zuungunsten McCains und seines ultimativen Auftretens aus, einen bedingungslosen Rückzug aller russischen Truppen aus Georgien gefordert zu haben. Dagegen steht die außenpolitische Grundregel 7. Und die lautet:
Hantiere nicht mit Garantien oder Drohungen, die du nicht wahrmachen kannst.
Angemessen sei dagegen die Erklärung Obamas gewesen, Georgien und Russland hätten Zurückhaltung zu üben und die Eskalation zu einem ausgewachsenen Krieg zu vermeiden.
Die Erklärung besagt, was beide Seiten tun sollten, ohne die USA auf irgendetwas festzulegen.
Und der deutsche Außenminister? Ihn attackiert die rechtskonservative Zeitschrift "Gegengift" als "die ästhetisch aufgemotzte postmoderne Variante der Genscherischen Politik."
Auch in der jüngsten Kaukasus-Krise kam das Naturell des Außenministers zum Tragen: Beschwörend rief er der deutschen Politik und den westlichen Verbündeten zu, alles zu unterlassen, was den durchsetzungshungrigen russischen Bären reizen könnte.
Interessant dabei, dass sich hinter solch schriller Polemik kein Hinweis findet, wie denn eine couragiertere Politik während des Georgien-Krieges hätte aussehen können.
Steinmeiers Akzent lag auf Selbstbegrenzung, nicht auf der Forderung zu einem offensiveren Handeln, was im Fall Georgien sicherlich richtig war.
Währenddessen kümmert sich die "Berliner Republik" um das Profil des SPD-Kanzlerkandidaten und seinen wahlabträglichen Ruf, als leibhaftiger Aktendeckel nicht die nötige Volkstümlichkeit zu besitzen:
Es ist aber nicht vorrangig, ob Steinmeier textsicher "Der Steiger kommt" singen kann. Viel wichtiger ist, dass mit ihm ein ernsthafter Progressiver zur Wahl antreten wird.
Bliebe nur die Frage - erst recht nach Georgien - , was wir uns 21. Jahrhundert unter einer progressiven Außenpolitik vorzustellen haben.
Zitierte Zeitschriften:
Cicero, Oktober 2008;
Berliner Republik, Heft 5/2008;
Blätter für deutsche und internationale Politik, 9/08;
Die Politische Meinung, September 2008;
Gegengift, Zeitschrift für Politik und Kultur,
September 2008.
Pavel Kohout, einer der Unterzeichner der Dissidenten von Charta 77, wehrt sich in der Zeitschrift "Cicero" gegen falsche Invasionsvergleiche:
Georgische Aktion und russische Reaktion hatten, wie von manchen behauptet, herzlich wenig mit dem politischen Prager Frühling von 1968 zu tun. Auch vierzig Jahre später wissen wir, dass damals weder die Tschechen das slowakische Bratislava bombardierten - so wie die Georgier - noch die Slowaken wie die Osseten vor Freude in die Luft schossen, weil sie von russischen Panzern befreit wurden.
Gleichwohl hat die Georgien-Krise schlaglichtartig deutlich gemacht, dass Westeuropa von der Rückkehr der alten Sicherheitspolitik völlig überrascht wurde. Jan Techau schreibt dazu in der "Berliner Republik":
Europa selbst ist uneinig und machtlos, faktisch entmilitarisiert, gedanklich woanders - und aus all diesen Gründen abhängig von zwei dominierenden externen Mächten, die zunehmend auf Konfrontationskurs gehen. Seine eigene Sicherheit kann Europa nicht ohne Amerika gewährleisten, weswegen es manch ungeliebte amerikanische Vorgehensweise schlucken muss; von Russland hängt die Wärme in Europas Wohnstuben und, weiter östlich und noch elementarer, der friedliche Alltag ab.
Derweil erinnert William Pfaff in den "Blättern
für deutsche und internationale Politik" an Grundregeln im Umgang mit Russland in Erinnerung an den legendären Feldmarschall Montgomery:
Erstens: Russland nicht angreifen, zweitens: Russland nicht angreifen; drittens: dito. Eine vierte Regel könnte also lauten: "Lass dich von niemandem verleiten, Russland anzugreifen." Die fünfte Regel würde zur Vorsicht raten: "Lass dir von deinen Freunden in Washington keinesfalls einreden, wenn du Russland angreifst, würden die Vereinigten Staaten und die NATO kommen, um dich zu retten."
Und eine sechste Verhaltensregel geht eher auf Henry Kissinger zurück:
Großmächte begehen für Verbündete keinen Selbstmord. Schon gar nicht für kleine, unwichtige Bündnispartner.
Wie aber sehen die Konzepte einer künftigen
Russland-Politik der USA aus? Die Unterschiede Obamas und McCains seien keineswegs marginal, sondern gravierend, meint Marc Oprach in der "Politischen Meinung":
Der kooperative Weg Obamas erscheint angesichts des aktuellen amerikanisch-russischen Zerwürfnisses verheißungsvoll. Doch bei einer Konzentration auf die Lösung bedeutsamer Sicherheitsfragen darf die Kritik der innenpolitischen Situation Russlands keinesfalls unberücksichtigt bleiben. Gerade das propagierte Ziel, die moralische Stärke der amerikanischen Außenpolitik wiederherzustellen, wäre zu Beginn verspielt, sollte sich Obama in Menschenrechtsfragen als schwacher, nachgiebiger und kritikloser Verhandlungspartner Russlands erweisen.
Bei William Pfaff fällt der US-Kandidatenvergleich eher zuungunsten McCains und seines ultimativen Auftretens aus, einen bedingungslosen Rückzug aller russischen Truppen aus Georgien gefordert zu haben. Dagegen steht die außenpolitische Grundregel 7. Und die lautet:
Hantiere nicht mit Garantien oder Drohungen, die du nicht wahrmachen kannst.
Angemessen sei dagegen die Erklärung Obamas gewesen, Georgien und Russland hätten Zurückhaltung zu üben und die Eskalation zu einem ausgewachsenen Krieg zu vermeiden.
Die Erklärung besagt, was beide Seiten tun sollten, ohne die USA auf irgendetwas festzulegen.
Und der deutsche Außenminister? Ihn attackiert die rechtskonservative Zeitschrift "Gegengift" als "die ästhetisch aufgemotzte postmoderne Variante der Genscherischen Politik."
Auch in der jüngsten Kaukasus-Krise kam das Naturell des Außenministers zum Tragen: Beschwörend rief er der deutschen Politik und den westlichen Verbündeten zu, alles zu unterlassen, was den durchsetzungshungrigen russischen Bären reizen könnte.
Interessant dabei, dass sich hinter solch schriller Polemik kein Hinweis findet, wie denn eine couragiertere Politik während des Georgien-Krieges hätte aussehen können.
Steinmeiers Akzent lag auf Selbstbegrenzung, nicht auf der Forderung zu einem offensiveren Handeln, was im Fall Georgien sicherlich richtig war.
Währenddessen kümmert sich die "Berliner Republik" um das Profil des SPD-Kanzlerkandidaten und seinen wahlabträglichen Ruf, als leibhaftiger Aktendeckel nicht die nötige Volkstümlichkeit zu besitzen:
Es ist aber nicht vorrangig, ob Steinmeier textsicher "Der Steiger kommt" singen kann. Viel wichtiger ist, dass mit ihm ein ernsthafter Progressiver zur Wahl antreten wird.
Bliebe nur die Frage - erst recht nach Georgien - , was wir uns 21. Jahrhundert unter einer progressiven Außenpolitik vorzustellen haben.
Zitierte Zeitschriften:
Cicero, Oktober 2008;
Berliner Republik, Heft 5/2008;
Blätter für deutsche und internationale Politik, 9/08;
Die Politische Meinung, September 2008;
Gegengift, Zeitschrift für Politik und Kultur,
September 2008.