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Krieg und Krisen

Im Irak, in Afghanistan oder Somalia - überall in Krisengebieten arbeiten Reporter. Dabei sind in den letzten zehn Jahren mehr als 1000 Journalisten ums Leben gekommen. Eine Vorbereitung auf ihren Einsatz in Kriegs- und Krisenregionen ist trotzdem längst noch nicht Standard. Die amerikanische Journalistenorganisation Dartcenter informierte auf einer Tagung in Berlin, wie Journalisten lernen können, mit der Herausforderung ihrer Arbeit umzugehen.

Von Michael Meyer | 27.10.2007
    "Es geht nicht nur um Konflikte und Kriege, es geht um Trauma, um Schlimmes, worüber Journalisten berichten, das kann ein Zugunglück in Eschede sein, es kann eine Schießerei in einer Schule sein oder auch Krieg und Hungersnot und Tsunami, und das Allerwichtigste ist, den Journalisten Genehmigung zu geben, Mensch zu sein."

    Mark Brayne, Gründer und Vorsitzender der britischen Sektion des Dartcenter beschreibt die Probleme, die Journalisten haben, wenn sie in Krisensituationen sozusagen "funktionieren" müssen: Sie müssen ihre Kameras draufhalten, Interviews machen, recherchieren, auch wenn es noch so weh tut. Der 11. September, der Tsunami, der Amoklauf in Erfurt oder Virginia - all dies sind für Journalisten ebenso belastende Situationen - auch wenn sie selbst nicht betroffen sind. Diese eigentlich banale Erkenntnis tritt im Redaktionsalltag jedoch allzu oft in den Hintergrund, nach dem Motto: Wer es nicht aushält, ist in dem Beruf falsch. Gegen diese Denkweise richtet sich die Arbeit des Dartcenters, erklärt Mark Brayne:

    "Wenn wir abstumpfen, wenn wir zu hart werden, können wir auch nicht effektiv als Journalisten arbeiten. Es geht darum, eine neue Kultur des Journalismus aufzubauen, die besser versteht, besser ausgebildet ist in Sachen Trauma, ohne sanft und therapeutisch zu werden, sondern um richtig effektiv berichten zu können."

    Wie gefährlich der Einsatz in Krisengebieten sein kann, hat der BBC-Fernsehreporter Alan Johnston am eigenen Leib erfahren. Johnston wurde Mitte März dieses Jahres im Gazastreifen entführt, quälend lange 114 Tage. Johnston wusste, dass die BBC und die britische Regierung sich für seine Freilassung einsetzen, jedoch niemals eine Geisel freikaufen würden."

    "Ich kann mich noch erinnern, als ich im Kofferraum eines Autos lag, als sie mich entführten, meine Taschen durchsuchten und in die Außenbezirke von Gaza-Stadt fuhren, da dachte ich: Das ist es also, so fühlt es sich an, wenn Du entführt wirst. Ich hatte ja in England ein viertägiges Sicherheitstraining hinter mir. Wahrscheinlich war ich auf diese Situation sogar gut vorbereitet und habe das vorher in meinem Kopf nochmal und nochmal durchgespielt und habe während der Entführung versucht, mich so zu verhalten, wie wir es geübt hatten, aber die Realität war natürlich viel, viel schlimmer, es war ein wirklicher Albtraum."

    Er habe gewusst, dass er jeden Tag erschossen werden könnte, so Johnston. Nach fast vier Monaten und weltweiten Protesten wurde der Druck auf die Entführer so groß, dass sie Johnston freiließen - angeblich zahlte die Hamas vier Millionen Dollar an die Entführergruppe namens "Army of Islam". Johnston ist mittlerweile, zumindest in Großbritannien, so bekannt , dass er nur von seinen Erzählungen als "Ex-Geisel" leben könnte, wie Johnston sagt. In dieser Woche lief in der BBC ein Film über die Zeit seiner Entführung im Gazastreifen. Die Situation, in der Johnston sich befand, ist typisch für Reporter in Krisengebieten allgemein: Die Geschichten sind meist hochinteressant, jedoch gerade freie Mitarbeiter und auch die einheimischen Journalisten des jeweiligen Landes riskieren oft sehr viel, um an interessante Informationen heranzukommen, bestätigt der langjährige ZDF-Reporter Stephan Pauli:

    "Ich habe gerade auf dem Balkan sehr viel zusammengearbeitet mit lokalen Leuten, und habe dann wirklich ein Problem, wenn die alleine gelassen werden, denn das sind Kollegen, wir können nicht so tun, als wäre unsere Arbeit gemacht, nur weil wir gerade kein Interesse mehr dran haben."

    Pauli führt selbst mehrmals im Jahr im bayerischen Hammelburg ein Trainingslager für Journalisten in Zusammenarbeit mit der Bundeswehr durch. Dieses Training versucht, den Teilnehmern nicht nur eine bessere Gefahreneinschätzung auf den Weg zu geben, sondern auch den Umgang mit traumatischen Situationen zu erlernen. Derlei Vor- und Nachsorge ist beispielsweise für irakische Journalisten ein absolutes Fremdwort. Susanne Fischer, die im "Institute for War and Peace Reporting" in Suleimania irakische Journalisten ausbildet, meint, dass die Sicherheitslage für die Iraker noch schlechter ist, als für die westlichen Korrespondenten:

    "Der Hauptunterschied zwischen einheimischen Journalisten und den westlichen Journalisten ist, dass die irakischen Journalisten nicht in einem gesicherten Compound leben, nicht mit Bodyguards durch die Gegend fahren, sondern auf sich selbst angewiesen sind. Es gibt keine irakische Zeitung, die ihren Leuten irgendeinen Schutz zur Verfügung stellt, das heißt: Sie sind viel mehr Zielscheibe, als es die westlichen Journalisten jemals sind und das zeigen auch die Zahlen: Es sind seit 2003 etwa 150 Journalisten ums Leben gekommen und davon sind neun Zehntel Iraker, insofern ist die Gefährdung ungemein größer für die einheimischen Journalisten."