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Kriege in Afrika

RADIO ZIMBABWE: President Robert Mugabe says: White farmers behaved like enemies of the state. We are full of anger, and our entire community is angry, and this is why the war veterans, you know, are seizing land...

Gaby Mayr | 28.12.2000
    Zimbabwes Präsident Robert Mugabe hat den weißen Farmern den Krieg erklärt. Ebenso den Angehörigen der Opposition. Seit der Präsident im Februar 2000 die Volksabstimmung über eine neue Verfassung verlor, fürchtet er um seine Macht. Mit Hasstiraden und Gewalt versucht der alte Mann, von den Fehlern und Versäumnissen seiner zwanzigjährigen Herrschaft abzulenken. Dutzende Menschen sind bisher von seinen Parteigängern ermordet worden. Gewalt ist allerdings nichts Neues im politischen Leben des Robert Mugabe. Bereits zu Beginn seiner Amtszeit, als Mugabe in Afrika gefeiert und in Europa für seine Versöhnungspolitik gegenüber den Weißen gelobt wurde, setzte er auf Gewalt. Opfer waren sogenannte "Dissidenten" - zum Beispiel Zephanih Nkomo. Er wurde 1982 aus dem öffentlichen Dienst entlassen, für zwei Jahre eingesperrt und mit Elektroschocks gefoltert.

    Zephanih Nkomo: Die ganze Geschichte richtete sich generell gegen alle Ndebele sprechenden Menschen. Ob einer in der Armee war oder bloß ein gewöhnlicher Zivilist, wir wurden alle als Dissidenten abgestempelt. Ndebele sprechende Leute mussten einfach Dissidenten sein, jeder einzelne. Babies und kleine Kinder wurden in Mörser geworfen, und mit Stößeln wurden sie zu Nichts zerstampft. Manche wurden an Ort und Stelle erschossen im Angesicht ihrer Eltern.

    So wie in Zimbabwe ist brutale Gewalt heute in zahlreichen Ländern Afrikas zum Mittel der politischen Auseinandersetzung geworden. Krieg herrscht vielerorts auf dem Kontinent. Der namibische Politikwissenschaftler Henning Melber nennt einen der Gründe für die Gewalt.

    Henning Melber: Die Generationen, die heute die politische Macht in zum Beispiel den Ländern des südlichen Afrika noch ausüben, haben diese politische Macht durch die Mittel des antikolonialen Widerstandes, auch unter Inkaufnahme des bewaffneten Widerstandes, erlangt. Das sind keine Engel, die diese Kämpfe führen. Wären sie es, würden sie den Kampf verlieren. Dass die Befreiungskämpfer von einst nun selber zu repressiven Mitteln greifen, um Macht auszuüben, ist das Problem, dass im Widerstand gegen Repression schon der Keim der neuen Repression begründet ist.

    Henning Melbers Heimat Namibia ist erst seit 1990 unabhängig. Mehr als hundert Jahre Kolonialherrschaft hat Namibias schwarze Bevölkerung ertragen. Gewalt prägte das Leben von Generationen. Noch 1989, ein Jahr vor der Unabhängigkeit, lebten viele Namibier in Angst und Schrecken vor den Soldaten der südafrikanischen Besatzungsmacht. Damals erzählte die 16jährige Internatsschülerin Emily Shigweda über ihr Zuhause im Norden Namibias.

    Emily Shigweda: Viele Menschen wurden niedergeschossen. Sie sagten: "Das ist ein Terrorist!" - obwohl es ein Zivilist war. Vielen Menschen wurden ihre Sachen geraubt, ihre Felder wurden mit Pferden und Autos zerstört. Sie wurden getötet und vergewaltigt. Und noch immer leben die Leute im Norden in Angst, was morgen passieren wird.

    Gewalt und Gegengewalt - das Erbe weißer Kolonialherrschaft prägt das Denken und Fühlen heutiger Machthaber. Aber auch das Denken und Fühlen mancher, die in ihrer Jugend keine Schule besucht haben, weil sie mit dem Gewehr in der Hand für die Freiheit kämpften. Wenn sie jetzt mit ihrem Leben, mit der Politik unzufrieden sind, greifen sie allzu leicht zur Waffe. Denn das ist die einzige Möglichkeit, die sie kennen, um ihre Meinung zu äußern. Viel früher als im südlichen Afrika sind die Staaten in anderen Teilen des Kontinents unabhängig geworden. Das westafrikanische Sierra Leone im Jahre 1961. Seine heutigen politischen Führer haben die weiße Kolonialherrschaft kaum mehr am eigenen Leibe erfahren. Ihre politische Prägung haben sie im nachkolonialen Machtkampf erhalten: Putsch und Gegenputsch ist das Herrschaftsmuster in vielen Ländern Afrikas. Politische Führer, die durch demokratische Wahlen an die Macht gelangen, sind schnell vom nächsten Putsch bedroht. Selten geht es um politische Ideen, um unterschiedliche Vorstellungen, wie das Land regiert werden sollte. Meist geht es nur um eins: Wer erhält die Beute? Die Beute ist das eigene Land.

    Arnold Temple: Seit der Unabhängigkeit hatten wir Regierungen, die eine Kultur der Gewalt gefördert haben, um an der Macht zu bleiben, ... erklärt Pastor Arnold Temple aus Sierra Leone.

    Arnold Temple: Sie haben junge Männer zu einer Gruppe gewalttätiger Menschen gemacht statt ihnen Möglichkeiten zu geben, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Die Menschen wurden ärmer. Und die jungen Leute wurden so wütend. Manche waren auf der Universität, sie hatten studiert und konnten danach keine Arbeit finden. Die Wut steigerte sich. 1992 kam es dann zum Ausbruch der Gefühle, die schon lange in den Köpfen und Herzen der Menschen waren.

    Der Mann auf dem Foto blickt in die Kamera. Einen Körper hat er nicht mehr. Der Kopf steht abgetrennt vom Rumpf auf dem Boden. Das Bild wurde aufgenommen bei einer der Gewaltorgien, die seit Anfang der Neunzigerjahre Sierra Leone erschüttern. Fotografiert von der Journalistin Claudia Anthony.

    Claudia Anthony: Allen, die das gesehen haben, kam es völlig irreal vor. Man musste es dokumentieren, damit die Leute es in der Zukunft sehen können.

    Wo diese Ausbrüche ungezügelter Gewalt herrühren, ist schwer zu erklären. Täter sind fast ausschließlich junge Männer, mitunter auch zehn- bis zwölfjährige Jungen. In den Unabhängigkeitskriegen, etwa in Algerien und Zimbabwe, trugen auch Frauen Waffen. Heute werden in ganz Afrika nur Männer rekrutiert - egal ob für die Truppen der Staaten, für Rebellengruppen oder Milizen. Waffentragende Männer versorgen immer neue Geschlechtsgenossen mit Gewehren und Minen. Männer werden gezwungen, eine Waffe zu nehmen und zu töten, wenn sie nicht selber umgebracht werden wollen. Andere lässt ohnmächtige Wut über ihre ausweglose Armut zur Waffe greifen - wofür oder wogegen da geschossen und gemordet wird, ist mitunter gar nicht klar. Ein verzerrtes Bild von der eigenen Geschlechterrolle, von Männlichkeit mag eine Rolle spielen. Oft ist es auch die Hoffnung auf Geld. Als vor einigen Monaten in Namibia das Gerücht aufkam, die Regierung im benachbarten Angola suche Soldaten für den Kampf gegen die Rebellen der UNITA und zahle 800 US-Dollar Sold, gingen Hunderte junger Männer über die Grenze, berichtet der Namibier Henning Melber. Vielleicht käme es zu einer Entbrutalisierung afrikanischer Politik, wenn nicht länger alles Militärische automatisch Männersache wäre. Namibia hat kürzlich im Rahmen der Vereinten Nationen vorgeschlagen, die Rolle von Frauen in UN-Friedensmissionen zu stärken. Henning Melber erläutert die Idee an einem europäischen Beispiel:

    Henning Melber: Was wäre passiert, wenn zum Beispiel der erste Hilfstransport im Kosovo, der da eintraf, die ungefähr 65 Lastwagen, nicht von diesen dänischen strotzenden jungen Männern gefahren wurden, die dann zwei, drei Tage später die Konjunktur belebten, indem eben ein Bordell gegründet wurde und der erste Nachtclub entstand, sondern was wäre passiert, wenn diese Lastwagen von Frauen gesteuert worden wären?

    Die Antwort weiß niemand, und es wird wohl noch ein paar Jahre dauern, bis durch den Einsatz von Frauen eine Deeskalation im Männerbollwerk Militär - in Afrika und anderswo - angegangen wird. Prostitution, sexuelle Gewalt, die weitere Ausbreitung von AIDS - das werden noch lange Begleiterscheinungen der ausschließlich männlich besetzten Friedensmissionen sein. Dennoch gehören internationale Einsätze zu den wenigen Hoffnungsschimmern, sagt die sierraleonische Journalistin Claudia Anthony.

    Claudia Anthony: Es ist falsch zu sagen: Das ist ein sierraleonisches Problem. Wenn das Haus Deines Nachbarn brennt, tust du doch auch alles, um es zu löschen. Denn das Feuer kann jederzeit auf Dein Haus übergreifen und sich weiter ausbreiten.

    Andere Experten fordern darüber hinaus von internationalen Friedenstruppen Parteilichkeit zugunsten der Angegriffenen statt falsch verstandener Neutralität, die nur den Aggressoren nütze.

    Claudia Anthony: Außerdem wissen wir, dass Kräfte von weit außerhalb für die Fortsetzung dieses Krieges sorgen. Deshalb ist eine internationale Anstrengung nötig, um die Gewalt zu beenden und sie in Zukunft zu vermeiden.

    In der Tat: In Sierra Leone ginge es möglicherweise weniger brutal zu, vielleicht wäre der Kampf sogar beendet, wenn die streitenden Parteien nicht von außen ständig mit neuen Waffen versorgt würden. Bezahlt wird mit den Erlösen aus dem wichtigsten Bodenschatz des Landes.

    Arnold Temple: Diamanten sind zentral in unserem Krieg. Alle beteiligten Kriegsparteien haben irgendwann vom Diamantenhandel profitiert. Aber es ist sehr offensichtlich, dass die Rebellen am meisten davon haben. Und dass Leute wie Präsident Charles Taylor aus dem Nachbarland Liberia und einige andere Präsidenten in der Region von dem Diamantenabbau der Rebellen profitieren. Aber nicht nur sie. Die Länder der Region stellen keine Waffen und keine Munition her. Das Geld aus dem Diamantenhandel bringt Waffen und Munition ins Land. Es ist nicht so, dass unsere Freunde in Europa und Amerika nicht wissen, dass es blutiges Geld ist. Aber es ist halt das Verlangen nach Reichtum.

    Die Gier der Menschen in den reichen Länder des Nordens hält Afrikas Kriege in Gang. In Angola herrscht seit 25 Jahren Krieg. Die Rebellen verfügen über die Diamantenminen des Landes, die Regierung über die Ölreserven. Ein Ende des Tötens ist nicht abzusehen, solange sich Käufer für Angolas Bodenschätze finden. Über die reichsten Bodenschätze des Kontinents verfügt der Kongo - auch dort herrscht Krieg. Gold und Diamanten, edle Hölzer und seltene Metalle sind aus dem Land im Herzen Afrikas zu holen. Rund ein Dutzend Staaten, mehrere Rebellengruppen und Milizen sind am Kampf um den Kongo beteiligt. Professor Kwesi Prah aus Südafrika über den "ersten Weltkrieg Afrikas".

    Kwesi Prah: Durch diesen Krieg ist Afrika so miteinander verbunden, dass wie in einem Spinnennetz jede Bewegung an einer Stelle sich an alle anderen Stellen des Netzes fortpflanzt.

    Zum Beispiel ließ der ugandische Präsident Yoweri Museveni seine Truppen im benachbarten Kongo einmarschieren. Museveni, der sein Land nach Jahren der Diktatur aus dem Chaos führte und lange als korruptionsresistent galt, wollte seinen Anteil am kongolesischen Reichtum. Außerdem unterstützt er Rebellen gegen den kongolesischen Präsidenten Kabila, weil sein einstiger Schützling nicht gegen Buschkämpfer vorgeht, die vom Kongo aus gegen Uganda operieren. Auf der anderen Seite des Kontinents veranlasste die Bedrängnis seines alten Kumpels Kabila den namibischen Präsidenten Sam Nujoma, Soldaten in den Kongo zu entsenden. Kabila, Nujoma und Robert Mugabe, der ebenfalls Truppen zu Kabilas Unterstützung entsandt hat, kennen sich aus ihrer Zeit als Guerillaführer in den Sechzigerjahren. Old boys´ networks entscheiden oft über Krieg und Frieden in Afrika. Für den Truppeneinsatz schenkte Kabila dem namibischen Präsidenten eine Diamantenmine. Einen größeren Batzen der kongolesischen Schätze sicherten sich Zimbabwes Mugabe und seine Entourage. Derweil lösen sich die staatlichen Strukturen des Kongo auf, der nachkoloniale Staat zerfällt.

    Kwesi Prah: This is the decomposition of the postcolonial state. The desintegration of the postcolonial state.

    Schon früher konnte man - mangels Straßen - fast nur mit dem Flugzeug von einem Ende des Riesenreiches, das fast acht Mal so groß ist wie Deutschland, zum anderen gelangen. Heute gibt es kaum noch etwas, das den Staat zusammenhält. Auf welcher Seite einer der zahllosen Kampflinien jemand steht, ist oft Zufall, erklärt Jonas Koudissa.

    Jonas Koudissa: Wo man sich befindet, da ist deine Seite. Wenn du in Goma bist, dann stehst du auf der Rebellenseite, Punkt. Ob du willst oder nicht. Entweder machst du mit, dann kannst du vielleicht von den Rebellen geschützt werden, in Anführungszeichen, oder du machst nicht mit, dann wirst du von denen umgebracht, weil du dann auf der Seite Kabilas stehst. So einfach ist das.

    Inmitten der flüchtenden, verhungernden Menschen, in den Trümmern des einstigen Kongo gibt es Inseln des Wohlstands: Das ist dort, wo die "warlords" residieren.

    Jonas Koudissa: Jeder ist Herr bei sich und verfügt über die Ressourcen, sprich Diamanten, Gold, Erdöl und so weiter. Die haben Leibwächter, die haben Flugzeuge, also denen geht es immer gut, sonst würden sie den Krieg nicht weiter führen.

    Afrika - im Todeskampf? Der Kontinent, in dem die Wiege der Menschheit stand, dem Untergang geweiht? Anders als westliche Medien sind die meisten Afrikaner weniger pessimistisch. Kwesi Prah zum Beispiel sieht in der Rückkehr zu den eigenen Wurzeln ein Heilmittel. Denn der Verlust der eigenen Identität durch den Kolonialismus ist für ihn die wichtigste Ursache der afrikanischen Malaise. Dieser Identitätsverlust sei auch 40 Jahre nach der Unabhängigkeit nicht überwunden. Zu tief waren Entmündigung und Demütigung durch die Fremdherrschaft - anders als bei asiatischen Ländern wie Malaysia, das nach vierzig Jahren Selbstregierung einige Erfolge aufweisen kann.

    Kwesi Prah: Der Unterschied zu Asien ist, dass Asien voranschreitet auf der Basis seiner Kultur und seiner Geschichte. Asien benutzt seine Sprachen, seine Kultur, seine Religion, seine Überzeugungen und seine Werte in größerem Maße als Afrika. Fortschritt passiert am besten auf Basis der eigenen Geschichte und der eigenen Kultur.

    Zerfallende Staaten könnten sich entlang traditioneller Grenzen neu organisieren, afrikanische Sprachen wieder ein größeres Gewicht erhalten - schlägt der Südafrikaner Kwesi Prah vor. Bei der Suche nach Frieden sollten alte Formen der Entscheidungsfindung eine Rolle spielen - ohne althergebrachte Diskriminierungen von Frauen und jüngeren Leuten zu übernehmen. Elemente traditioneller Friedensstiftung wendet die Uganderin Stella Sabiiti bereits in ihrem "Zentrum für Konfliktlösung" an. Als Studentin war sie von Soldaten Idi Amins gefoltert worden. Sie unterdrückte ihre Angst, kam mit ihren Folterern ins Gespräch und erreichte ein Ende der Quälerei. Diese Erfahrung ließ sie nicht mehr los. Heute bildet sie Mediatoren aus und vermittelt mit zwanzig Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zwischen verfeindeten Gruppen.

    Stella Sabiiti: Konflikt ist Konflikt. Ob innerhalb einer Person, oder zwischen zwei Menschen, zwischen zwei Gruppen, innerhalb eines Landes oder international. Dinge verschlechtern sich vor allem, weil wir gelernt haben, dass Konflikte etwas Schlechtes sind. Deshalb fürchten wir Konflikte und versuchen nicht sofort, sie zu lösen. Je länger wir warten, desto schwieriger wird es. Und am Ende herrscht die Gewalt.

    Stella Sabiiti nennt das Beispiel zweier verfeindeter Bevölkerungsgruppen in Ostafrika. Was vor langer Zeit als Streit um Wasserstellen für das Vieh begann, eskalierte zu Viehraub in großem Stil mit Vergewaltigungen und Feuergefechten. Versuche des modernen Staates, das Problem auf seine Art, nämlich mit Waffengewalt, zu lösen, scheiterten bereits. Aber auch traditionelle Schlichtungsmethoden, bei denen beide Seiten zusammengebracht wurden und sich am Ende die Hände schüttelten, führten nicht zu dauerhaftem Frieden. Sabiitis Team versucht es nun auf seine Art.

    Stella Sabiiti: Wir dachten, vielleicht waren die beiden Parteien noch nicht bereit zum Dialog. Deshalb müssen wir sie auf den Dialog vorbereiten. Wir arbeiten also mit einem Stamm, um ihn vorzubereiten, irgendwann Vertreter der anderen Seite zu treffen, und wir machen es mit der anderen Seite genau so. Es muss in ihrem Tempo passieren, nicht in unserem.

    Eine der beiden Kriegsparteien hatte Stella Sabiiti um den Schlichtungsversuch gebeten - sie wollten nicht mehr kämpfen. Und das ist nicht nur Stella Sabiitis Hoffnung: Dass auch an anderen Kriegsschauplatzen Afrikas die Militärs, die Rebellen, die Gewalttäter müde werden und endlich begonnen werden kann, Lösungen für die Probleme des Kontinents zu suchen.