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Kriegerische Katalysatoren in der Forschung

Technik. - Seit jeher brachte Krieg stets Leid und Vernichtung über die Menschheit. Allerdings waren Kriegszeiten auch rege Geburtsphasen für neue Ideen und technische Entwicklungen. Vordenker und Künstler wie Leonardo da Vinci verdienten sich als Wehr-Ingenieure ihren Lebensunterhalt und beschafften sich so die Mittel für ihre eigenen Forschungen. Bereits in der Antike, so schließt eine Londoner Historikern, habe die Entwicklung von Katapulten ihre Erbauer quasi selbst in die Moderne geschossen.

    Ein Kennzeichen moderner Wissenschaft ist die Erforschung bestimmter Gesetzmäßigkeiten, die dann als Grundlage für praktische Experimente und Anwendungen dienen. Aus möglichen Fehlschlägen wiederum wird dann die Theorie korrigiert. Dies aber treffe auf die Antike noch nicht zu, meinen viele Historiker. Das sieht Serafina Cuomo vom Zentrum für Wissenschaftsgeschichte des Imperial College London ganz anders: "Ich betone die frühe Verbindung von Wissenschaft und Technik, von Theorie und Praxis, weil ich glaube, dass Historiker sie bislang zu stark voneinander trennten." Schon rund 300 vor Christus seien Forscher keineswegs still vor sich hin theoretisierende Einzelgänger gewesen, sondern vielmehr auch pragmatische Techniker, wie etwa die Geschichte einer der Furcht erregendsten Waffen der Antike zeige: das Katapult. In allen Ländern des Mittelmeerraums experimentierten viele Techniker mit den Riesenschleudern herum und tauschten sich dabei über die Grenzen hinweg über ihre Erfolge aus. Davon zeugen heute noch erhaltene Bücher über die Konstruktion und die Verbesserung der damaligen Superwaffe. Demnach dürfte der eigene Erfinder-Stolz dabei die Proliferation des Wissens gefördert haben. Dazu Cuomo: "Mit der Zeit sammelte sich Wissen an, weil die Techniker viel reisten und sich von ihren Versuchen und Ergebnissen erzählten – weil sie kommunizierten."

    Weil eine solche Waffe bereits damals keineswegs nur akademische Herausforderung, sondern vielmehr einsatznahe Hardware war, untersuchten die zahlreichen Entwickler, auf welche Weise ein Katapult verändert werden musste, um für einen bestimmten Einsatzzweck tauglich zu sein. So mussten entweder schwerere Steine gegen massive Befestigungen geworfen oder leichtere Projektile über große Distanzen geschleudert werden. Wie die Waffenschmiede sich diesen Problemen näherten, beschreibt der Techniker Philon von Alexandria in seinem Buch über die Technik der Katapulte, berichtet die Londoner Historikerin: "Zunächst arbeiteten die Techniker nach der Methode Versuch und Irrtum. Sie änderten die Größe bestimmter Bauteile und testeten dann ganz praktisch den Erfolg mit Versuchsschüssen." Der Erfahrungsaustausch mit Kollegen der gleichen Zunft deutete schließlich immer mehr darauf hin, dass offenbar bestimmte Gesetzmäßigkeiten zwischen der Länge des Hebelarms und der erzielbaren Reichweite der Geschosse existieren mussten. "Das war nicht nur die Erfahrung einer einzelnen Person, sondern offenbar die Erfahrung vieler Menschen. Und zu Philons Zeit konnten die Techniker bereits eine Formel aufstellen, mit der sich ein Katapult vollständig berechnen ließ", so Cuomo.

    Die Praxis zeigte dann unmissverständlich, ob die Formel funktionierte. Mit Systematik und vielen mühsamen Probeschüssen wurde dann die Theorie weiter verfeinert. Dies sei wohl kaum möglich gewesen, wenn die damaligen Wissenschaftler tatsächlich - wie von vielen Historikern vermutet - eher belächelt, weltfremde Sonderlinge gewesen seien, schätzt Serafina Cuomo. "Bezogen auf die Militär-Technik ergibt sich ein anderes Bild. Die Ptolemäischen Könige zum Beispiel förderten diese Technik um der Erkenntnis willen und um den eigenen Ruhm zu mehren. Das kann natürlich auch bedeuten, mögliche Gegner mit den eigenen Katapulten abzuschrecken." Die so an Erfahrung gereiften Profis verschafften indes nicht nur den Kriegern Vorteile, sondern sorgten auch in Friedenszeiten für Nachschub an nützlichen Entwicklungen, wie etwa mechanische Apparate zur Berechnung von Sternen- und Planetenkonstellationen, mit denen sich auch ohne Kompass auf hoher See navigieren ließ.

    [Quelle: Sönke Gäthke]