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Kriegsheimkehrer der Bundeswehr

In den letzten zehn Jahren sind rund 900 Soldaten mit posttraumatischen Belastungsstörungen von den Auslandseinsätzen der Bundeswehr heimgekehrt - und ihre Zahl steigt stetig. Nun ist ein Buch erschienen, in dem Bundeswehrsoldaten über ihre Erfahrungen im Ausland berichten.

Von Matthias Bertsch | 17.05.2010
    Das Cover spricht eine klare Sprache: "Ich krieg mich nicht mehr unter Kontrolle. Kriegsheimkehrer der Bundeswehr", darunter der Kopf eines jungen Soldaten, dem eine Flüssigkeit übers Gesicht gelaufen ist: ob Schweiß, Blut oder Tränen ist nicht zu erkennen. Und in der Ankündigung des Buches heißt es "Die Schreie kriegt man nicht mehr aus dem Kopf". Der Fackelträger-Verlag schürt ganz bewusst eine Erwartungshaltung: Es gehe um die wachsende Zahl posttraumatischer Belastungsstörungen – kurz PTBS – nach Auslandseinsätzen. Nur: Das stimmt nicht, und die Herausgeberin des Buches, Ute Susanne Werner, verhehlt nicht, dass sie und ihr Co-Autor Martin Ahrends mit der Verkaufsstrategie des Verlages nicht einverstanden sind.

    "Letztendlich der Titel des Buches, wie er jetzt vorliegt, entsprach absolut nicht unseren Vorstellungen und auch nicht die Vorankündigung des Buches, die sehr einseitig sich nur auf das Thema PTBS bezieht. Ich denke und das ist so ein bisschen - wie soll ich sagen - also pietätlos schon fast, dass mit Schicksalen Geld verdient werden kann, und wo es möglich ist, wird es sicherlich auch getan, denn es ist tatsächlich so, dass da schon drauf geachtet wurde: Das muss ein bisschen schnittiger sein, sonst verkauft sich das nicht, und wir brauchen gewisse Schlagwörter und das Thema ist gerade hochaktuell, und wir veröffentlichen das jetzt, ohne drauf zu achten, was denken sich die Herausgeber oder Autoren eigentlich dabei."
    "Uns hat die Sicht der Betroffenen interessiert", betont Ute Susanne Werner, die durch ein Theaterstück über amerikanische Kriegsheimkehrer aus dem Irak auf das Thema gestoßen ist. Gut ein Jahr lang sind sie und Ahrends durch die Republik gefahren und haben Bundeswehrsoldaten über ihre persönlichen Erfahrungen befragt. Im Buch sind diese Interviews als Berichte aus der Ich-Perspektive nachzulesen. Zustande gekommen sind die Kontakte zu den Soldaten vor allem über Mund-zu-Mund-Propaganda, der offizielle Weg dagegen erwies sich als Sackgasse: Die Bundeswehr war an Erfahrungsberichten von Soldaten offensichtlich nicht interessiert. Das zeigte sich beim Bericht eines Oberstabsarztes, der von seiner Arbeit in Afghanistan erzählt hatte.

    "Diesen Bericht mussten wir einschicken an das Presseinformationszentrum München, die sind für den Sanitätsdienst zuständig, von denen hatten wir vorher das Okay bekommen für dieses Interview, und nun lag es denen in schriftlicher Form vor und sollte nicht veröffentlicht werden. Ich habe dann dort angerufen und gefragt, warum, und dann gab es so fadenscheinige Gründe, es waren keine vernünftigen Argumente, man hat gemerkt, wie sich dort gewunden wurde aus dieser Antwort. Wir durften es dann auch nicht in verkürzter Form bringen, gar nicht, und das ist das, wo die Bundeswehr dann "zack!" den Riegel vorschiebt und dann war es das."
    Für den Fackelträger-Verlag kein Einzelfall. Die Bundeswehr will eine öffentliche Diskussion darüber verhindern, was die Soldaten in Auslandseinsätzen erleben. Das macht der Verlag im Vorwort deutlich. Er verweist auf das Magazin der Süddeutschen Zeitung, das Ende vergangenen Jahres unter dem Titel "Briefe von der Front" Emails und SMS von Soldaten aus Afghanistan abgedruckt hatte und von erheblichen Widerständen seitens der Bundeswehr berichtete. Zur gleichen Zeit haben zwei Soldaten, die vom Einsatz im Ausland traumatisiert zurückgekommen waren, die Zustimmung zur Veröffentlichung ihrer Geschichte im Buch des Fackelträger-Verlags zurückgezogen. Beide haben dafür persönliche Gründe angegeben, doch der Verlag deutet an, dass dahinter auch Druck der Bundeswehr stehen könnte.

    Tatsache ist auf alle Fälle, dass mit den Absagen auch jener Beitrag gestrichen werden musste, der dem Buch den Titel gegeben hat. "Ich krieg mich nicht mehr unter Kontrolle" ist das Zitat eines Soldaten, der in Afghanistan ein Selbstmordattentat aus nächster Nähe erlebt hat und seit Jahren an PTBS leidet.

    Was aber bleibt nach all diesen Einschränkungen noch übrig? Genug, was das Buch lesenswert macht! Die Erfahrungsberichte der 16 Soldaten und Soldatinnen sind genauso unterschiedlich wie diese selbst: Der eine hat sich aus Abenteuerlust zum Auslandseinsatz gemeldet, der andere aus Verantwortungs- oder Pflichtgefühl, der Dritte, weil er als Soldat den Ernstfall kennenlernen wollte.

    "Ich wollte wissen, wofür ich meine Soldaten ausbilde. Als Ausbilder will man verstehen, was Kampf und Krieg bedeutet. Auch wenn man ständig auf Übungsplätzen ist, die Realität kann dort nicht vermittelt werden. Ich wollte wissen: Wie ist das, wie fühlt man sich in so einer extremen Situation?"

    Der Einsatz selbst spielt sich an zwei Fronten ab: die eine ist im Kosovo und in Afghanistan. Die Exhumierungen von Massengräbern, schreibt ein Feldjäger, der im Kosovo war, "war von allen Aufgaben die schwerste. Darauf war ich nicht vorbereitet", um wenig später zuzugeben: "Relativ schnell stumpft man dann ab." In Afghanistan kommt zum ganz normalen "Kulturschock" noch die permanente Anspannung: die Soldaten werden, egal ob auf Patrouille oder im Lager, immer mehr zur Zielscheibe von Angriffen.
    Fast noch belastender allerdings ist der Kampf an der zweiten, der Heimatfront. Zahlreiche Beziehungen gehen in die Brüche, weil sich während der mehrmonatigen Trennung beide Partner verändern. Fast alle Soldaten haben das Gefühl, dass weder Freunde noch Familie wirklich verstehen, was sie im Einsatz erlebt haben. Dazu kommt bei manchen die Kränkung, sich in Deutschland für den Einsatz rechtfertigen zu müssen.

    "Soldaten sind Mörder" und "Na, es ist wohl schön, auf kleine Kinder zu schießen" das waren noch die harmlosesten Beschimpfungen, die ich mir anhören durfte. Im Einsatz meinen Mann zu stehen war für mich nie ein Problem. Doch in die Heimat zurückzukommen und so gar keine Anerkennung für das Geleistete zu erhalten, ja vielmehr dafür verhöhnt und verspottet zu werden, das hat einen mitgenommen."
    Auch der Beitrag von Winfried Nachtweih am Ende des Buches geht in eine ähnliche Richtung. In Deutschland werde ein Rechtfertigungsdiskurs geführt, schreibt der Verteidigungsexperte der Grünen und kein Wirksamkeitsdiskurs. Die Frage, ob die internationalen Truppen den Terrorismus eindämmen oder im Gegenteil fördern, werde kaum gestellt, und auch über die Auswirkungen des Einsatzes auf die Soldaten werde kaum geredet. Genau das aber ist ein zentrales Anliegen von Ute Susanne Werner:

    "Letztendlich alle, die im Auslandseinsatz waren, kommen hier wieder zurück, und das heißt, dass sich ja dadurch auch unsere Gesellschaft verändert, und das finde ich ganz wichtig, dass man das bedenken muss, dass diese Menschen irgendwann auch wieder hier sind, hier ganz normal irgendwie leben wollen und das auch versuchen und das aber nicht immer möglich ist."
    Anders als der Titel des Buches suggeriert, haben sich die meisten "Kriegsheimkehrer der Bundeswehr" sehr wohl unter Kontrolle. Manche würden auch sofort in den nächsten Einsatz gehen, andere wollen das sich und ihrer Familie nicht mehr antun. Und alle haben etwas erlebt, was sie verändert hat. Das aufgezeigt zu haben, ist das Verdienst von Ute Susanne Werner.

    Matthias Bertsch über den von Ute Susanne Werner herausgegebenen Band "Ich krieg mich nicht mehr unter Kontrolle". Kriegsheimkehrer der Bundeswehr. Veröffentlicht im Fackelträger Verlag, 288 Seiten für 19 Euro und 95 Cent (ISBN: 978-3-7716-4438-3).