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Krim gegen NATO

Der Wunsch des westlich orientierten ukrainischen Präsidenten Viktor Juschtschenko nach einem NATO-Beitritt findet bei seinen Landsleuten wenig Unterstützung. Insbesondere auf der Krim ist der Widerstand groß. Von dort berichtet Florian Kellermann.

    Die Erinnerung an Krieg ist in der Hafenstadt Sewastopol allgegenwärtig, zum Beispiel im so genannten Panorama. Der Rundbau enthält ein 100 Meter langes Gemälde des Schlachtenmalers Franz Roubeaud. Rings um den Besucher entfaltet sich eine Szene aus dem Krim-Krieg, der Kampf um die Stadt, den die russische Armee 1855 gegen die Franzosen und Engländer verlor. Eine Stimme aus dem Off erklärt dem Besucher, dass die Stadt mit besonderem Heldenmut verteidigt wurde. Ein Vergnügen sei es gewesen, für das Vaterland zu sterben.

    Vor dem Panorama in einem kleinen Park haben sich einige Fahrgeschäfte für Kinder und auch Souvenirhändler angesiedelt. Unter ihnen der 70-jährige Viktor Katunin, ein gelernter Schiffbauer, der Flaggen und Militärabzeichen anbietet.

    "Ich selbst war schon sehr oft im Panorama, schon als die Eintrittskarten noch Kopeken gekostet haben. Heute ist es so teuer, dass manche Eltern ihre Kinder alleine reinschicken. Wir in Sewastopol sind stolz auf das Gemälde, alles ist so realistisch dargestellt. Das ist schön, aber der Krieg selber ist natürlich eine schreckliche Sache."

    Sewastopol wirkt noch heute wie eine Militärstadt, trotz seiner romantischen Bucht und der Zuckerbäcker-Architektur. Denn hier ist nicht nur die Schwarzmeerflotte der Ukraine stationiert, sondern auch die russische. Auf Schritt und Tritt begegnet man Marinesoldaten, einige von ihnen kreuzen mit umgehängten Maschinengewehren die Straße.

    Sewastopol lebt zu einem Teil von der russischen Marine, allein deren Pachtzahlungen bringen dem Stadthaushalt jährlich 15 Millionen Euro. Aber diese Einnahmen sind in Gefahr. Denn wenn Präsident Viktor Juschtschenko sich durchsetzt und die Ukraine der NATO beitritt, dann müsste die russische Marine abziehen. Eine Katastrophe wäre das, meinen die meisten Menschen hier, nicht nur wegen der fehlenden Einnahmen: Drei Viertel der Menschen in Sewastopol und auf der ganzen Krim geben an, dass sie sich als Russen und nicht als Ukrainer fühlen.

    Auch der Händler Viktor Katunin ist gegen den NATO-Beitritt.

    "Ich sehe das so: Den Warschauer Pakt gibt es nicht mehr - und deshalb sollte sich auch die NATO auflösen. Die ganze Welt sollte überhaupt Militär abbauen und in Frieden leben. Außerdem: Warum sollen wir uns mit Russland verkrachen? Das sind schließlich auch Slawen wie die Ukrainer."

    Auf der Krim ist die Ablehnung der NATO besonders groß. Knapp 900.000 Menschen sprachen sich bei dem nicht offiziellen Referendum am Wochenende nach Angaben der Veranstalter gegen eine Teilnahme an dem Militärbündnis aus. Aber auch in der Ukraine insgesamt ist die Mehrheit der Menschen gegen einen NATO -Beitritt. Präsident Juschtschenko tut offenbar zu wenig, um seine Ziele zu erklären.

    Dabei wäre das gar nicht so schwer, meint Horst Schmalfeld, Generalmajor der Bundeswehr a. D., der mehrfach an Militärkonferenzen in der Ukraine teilnahm.

    "Was die NATO bringt, ist Sicherheit. Wenn man Sicherheit hat, hat man auch mehr Möglichkeiten, Investment anzuziehen. Das Zweite ist, ein NATO -Beitritt verschafft Privilegien, als NATO -Mitglied, natürlich. Das Dritte ist: Die Ukraine nimmt ja schon teil an NATO-Operation, regelmäßig, seit Jahren, mit sehr hoher Professionalität. Wenn man diese drei Aspekte verkauft, sag ich mal, müsste es doch möglich sein, auch den Mann auf der Straße davon zu überzeugen: Die NATO macht Sinn, es ist für uns nichts grundsätzlich Neues."

    Das sieht der große Nachbar im Osten allerdings anders. Die russische Regierung gibt immer wieder zu verstehen, dass sie einen NATO-Beitritt der Ukraine nicht kampflos hinnehmen wird. Wenn man bedenkt, dass die Ukraine direkt von russischen Öl- und Gaslieferungen abhängig ist, dann ist das keine leere Drohung.

    Um drei Uhr nachmittags packt der Souvenirhändler Viktor Katunin seinen Stand vor dem Panorama zusammen. Obwohl es ihm eigentlich zu kalt und zu windig ist hier, muss er jeden Tag wiederkommen. Daran, da ist er sich sicher, würde auch ein NATO -Beitritt nichts ändern.

    "Meine Rente ist niedrig, umgerechnet 80 Dollar. Davon kann ich nicht leben. Und eine Arbeit finde ich nicht mehr - wegen meines Herzens. Schließlich bin ich schon 70 Jahre alt. Viel bringt das natürlich nicht, dass ich auch im Winter stehe. Heute habe ich gerade zehn Hrywnja umgesetzt, das sind nicht mehr als zwei Dollar."