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Krimikind der DDR

Es gibt viele spannende "Polizeirufe", doch dieser ist etwas ganz Besonderes: Der MDR zeigt eine Folge, die noch nie im Fernsehen zu sehen war. Die filmtechnische Rekonstruktion erfolgte anhand des stummen Kameranegativs - nachsynchronisiert durch aktuelle "Polizeiruf"-Darsteller.

Von Beatrix Novy |
    "Anfang November wurden wir zum Gespräch eingeladen, von Engelhardt, und da wurde uns eröffnet, dass der Film gestoppt wird und nicht gesendet werden kann."

    1975 wurde das Team der Polizeiruf 110-Reihe im Fernsehen der DDR darüber aufgeklärt, dass ein gerade abgedrehter Film nicht gesendet, das Material vernichtet werden sollte. So hatte es das Ministerium des Innern beschlossen und so hatte man das hinzunehmen damals. In diesem Fall waren die Fernsehleute besonders überrascht, weil der Film, die Geschichte eines pädophilen Mörders, schon abgedreht war, und zwar unter den Augen des Ministeriums. Wie bei jeder Polizeiruf-Folge war es über seine polizeilichen Fachberater dabei gewesen.

    "Oberst Nettwig war der Chef der Hauptabteilung Kriminalpolizei im Ministerium des Innern. Er war unser oberster Berater. Ich persönlich hatte mit Nettwig ein sehr gutes Verhältnis, weil er uns alle Möglichkeiten gegeben hat."

    Hans-Jürgen Faschina, Dramaturg der ersten Polizeiruf-Jahre, war nicht unzufrieden mit dieser Begleitung; tatsächlich hatte sie ja den Vorteil, dass die Arbeit der Polizei, die Fälle, die Ermittlungsmethoden, wie ein offenes Buch vor den Fernsehleuten aufgeschlagen wurde. Realistisch sollte es zugehen, wirklich realistisch, und das unterschied den alten DDR-Polizeiruf nicht nur von seiner direkten Konkurrenz, dem Tatort. Hier wie dort wurden Themen und Figuren aus der gesellschaftlichen Wirklichkeit entwickelt; dass in der DDR ein ausgeprägtes pädagogisches Interesse, ein allgemein belehrender Habitus hinzukam, versteht sich.

    "Sie hatte seinerzeit ein Verhältnis mit diesem hier. Martin Bone heißt er. Ein leichtsinniger Knabe."

    Allgemein haftete vielen Tätern besonders der frühen Polizeiruf-Folgen die Traurigkeit von Menschen an, die sich freiwillig dem warmen Nest des Kollektivs entfremden, wozu doch eigentlich kein Grund bestand im Arbeiter- und Bauernstaat. Die Gesetzeshüter im Polizeiruf wiederum waren Welten entfernt von ihren Kollegen im Westen. Ihr Privatleben bleibt draußen, das Zweideutige des schwarzen Genres, die Faszination, die spiegelbildliche Affinität zum kriminellen Gegenüber war diesen Bürokraten des Rechts, die auch beim renitentesten Verdächtigen die Ruhe bewahren, fremd.

    So entsteht im Zuschauer die paradoxe Empfindung, ausgerechnet hier dem Rechtsstaat beim Funktionieren zuzusehen, während sich die notorisch übergriffigen Tatort-Ermittler wieder mal durch die Gegend ballern. Mord spielt im Polizeiruf die Rolle wie im wirklichen Leben: Er kommt selten vor.

    "Was würdest Du anstellen, um den Alten loszuwerden, und das Geld zu kriegen?"
    "Du kannst Fragen stellen. Also umbringen würde ich ihn nicht."
    "Siehste. Das denke ich eben auch."

    Stattdessen akribische Kleinarbeit beim Aufklären von Raub, Diebstahl, Vandalismus, Trickbetrug und auch, danke dafür, mörderisches Autofahren. Hier konnte man zur Sprache bringen, dass in der DDR Individuum und sozialistisches Ideal durchaus nicht zur Deckung kamen. Die Gier nach gesellschaftlichem Aufstieg und Geld oder auch nach dem notwendigen Material für die Datsche reißt auch die Anständigen mit , wenn die Skrupellosen sie verführen.

    "Ach übrigens: Ich hab da zwei Bestellungen laufen, für so elektrische Handbohrmaschinen. Hätten Sie Interesse?
    "Mit Schlagbohrvorsatz? Also, das ist ein Angebot, das sage ich nicht nein. Eine Bohrmaschine!"

    So ist die idyllische Datsche am See häufig Handlungsort. So wird aber auch die Materialunterschlagung im sozialistischen Betrieb immer mehr beliebtes Thema. Während in allen Polizeiruf-Filmen die Gaststätten immer nett bewirtschaftet, die Läden immer voll mit Waren sind, also reichlich an der DDR-Realität vorbei, dringt die Kunde von der Mangel- und Maggelwirtschaft in solchen Geschichten doch an die Oberfläche.
    Authentische Lebensverhältnisse, Figuren von anrührender Normalität, dazu der Hintergrund der vergangenen DDR-Ästhetik und Begegnungen mit Henry Hübchen, Jenny Grölmann, Ulrich Mühe - es gibt viele gelungene Polizeirufe.

    Die verbotene Folge "Im Alter von ... ", die der MDR jetzt rekonstruiert hat, gehört nicht dazu. Sie sorgt für eine politische Erinnerung: Angeregt war dieser Krimi vom Fall eines jugendlichen Triebmörders, der zum Tode verurteilt und hingerichtet worden war. Das war im Westen bekannt geworden. Und daran mit einem Film zu erinnern, war der unangenehm geworden.