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Kriminalität
Immer mehr Lastwagenfahrern wird die Ladung geklaut

"Ladungsdiebstahl" heißt das Delikt, das Speditionsunternehmen in Nordrhein-Westfalen immer mehr zu schaffen macht: Während die LKW-Fahrer in ihren Ruhezeiten schlafen, stehlen Diebe die Ladung. NRW mit seinen zahlreichen Autobahnen ist für die Täter ein perfektes Revier. Die Fallzahlen steigen.

Von Moritz Börner | 31.05.2017
    Lastwagen sind an der Raststätte Hannover-Garbsen (Niedersachsen) an der Bundesautobahn 2 abgestellt.
    LKW-Transporte werden immer öfter das Ziel von Kriminellen. (dpa/Holger Hollemann)
    Die Raststätte Lichtendorf bei Dortmund, neun Uhr abends. LKW-Fahrer Markus von der Grinden parkt seinen Sattelschlepper, er muss ein paar Stunden pausieren, ehe die Fahrt Richtung Norden weitergeht. Natürlich vorausgesetzt, dass ihm die Ladung nicht abhandenkommt. Denn laut dem Verband der deutschen Speditionsunternehmen kommt genau das immer öfter vor. Organisierte Banden haben es auf LKW-Ladungen abgesehen. Markus von der Grinden kennt das:
    "Die Planen werden mit dem Teppichmesser aufgeschnitten, so ein 30 Zentimeter halbrunder Kreis, dann wird rein geguckt, was auf dem LKW drauf ist, ob sich das lohnt. Meistens sind das drei Schnitte, vorne, in der Mitte, hinten. Ich habe es schon festgestellt an einem Fahrzeug, aber ob es direkt bei mir passiert ist, kann ich auch nicht sagen, weil man übersieht ja auch manchmal Teile, je nach dem, wie das Fahrzeug beladen ist."
    Ein paar Meter weiter sitzt ein anderer LKW-Fahrer in seinem Führerhaus, auch er hat mit Kriminellen auf der Autobahn bereits Bekanntschaft gemacht. Mehrmals musste er zum Beispiel feststellen, dass sein Tank fast leer war, als er morgens losfahren wollte: "Vier- oder fünfmal Diesel geklaut worden, Ladung, Kleinigkeiten. Die Seite aufgeschlitzt und einfach nur Kostprobe genommen."
    Planen werden aufgeschlitzt, sogar Fahrer betäubt
    Die Kriminellen gehen dabei ganz unterschiedlich vor. Meistens schlitzen sie auf gut Glück die Planen von LKW auf, einige Speditionen haben deswegen schon umgestellt und liefern ihre Fracht nur noch in Kleintransportern aus. Es kommt aber auch zu bis ins kleinste Detail durchgeplanten Überfällen, bei denen die LKW-Fahrer sogar betäubt werden. Eine weitere Form ist das sogenannte Cargo-Napping, bei dem Betrüger sich als Speditionsunternehmen ausgeben und so ganze LKW-Ladungen entführen, erklärt Rüdiger Ostrowski vom nordrhein-westfälischen Verband Spedition und Logistik:
    "Es gibt in Frachtbörsen unseriöse Unternehmen, die die Spediteure unterbieten, die bekommen dann in den Frachtbörsen den Zuschlag - logischerweise, weil der Geringstbietende ja den Zuschlag bekommt, so verschwindet dann die eine oder andere Fracht auf Nimmerwiedersehen. Das ist ein großes, ernst zu nehmendes Problem unserer Branche."
    Hinter den Straftaten stecken meistens organisierte Banden. Sie haben es besonders auf Computerhard- und Software abgesehen, oder auf Markenartikel aller Art. Teure Ware, wie zum Beispiel Smartphones oder Laptops, transportieren die meisten Spediteure deswegen einfach nur noch in Kleintransportern, damit bei einem Diebstahl oder Überfall der finanzielle Schaden nicht so groß ist. Nicht selten bekommen sie Tipps von Insidern, welche Ladung wann und wo transportiert wird.
    "Warenwerte in Millardenhöhe verschwinden"
    Gerade Nordrhein-Westfalen ist für Banden attraktiv, sagt Frank Huster vom Deutschen Speditions- und Logistikverband: "Es ist natürlich ein dichtes Autobahnnetz, und Banden können schnell entkommen. Das ist kein neues Phänomen, kein junges Phänomen. Das ist aber ein Phänomen, das zunehmend bedrohlich ist, weil Warenwerte in Milliardenhöhe verschwinden. Und wir beziffern diesen Wert nicht nur auf Europa, sondern bereits auf Deutschland. Die offiziellen Statistiken sprechen von 300 Millionen Euro, das sind aber Statistiken, die die Versicherungswirtschaft vorhält, die natürlich nicht vollständig sind, weil es eine hohe Dunkelziffer gibt."

    Bisher lässt sich nicht sagen, wie oft es zu Ladungsdiebstählen tatsächlich kommt, sie werden in den Polizeistatistiken nicht gesondert aufgeführt. Dass LKW-Transporte immer öfter das Ziel von Kriminellen werden, bestätigen aber auch die Autobahnpolizeien in NRW. Die Polizei Bielefeld etwa spricht von einer deutlichen Zunahme entlang der A2. Oft sind auch LKW betroffen, die auf den Raststätten keinen Parkplatz mehr finden konnten und auf ungeschützte und unbeleuchtete Stellplätze in Industriegebieten ausweichen müssen.
    Einige Fahrer haben sich bewaffnet
    Auf der Raststätte Lichtendorf bei Dortmund ist die Sicherheitslage noch relativ gut, die Stellplätze sind ausgeleuchtet, und man passt aufeinander auf, erklärt dieser LKW-Fahrer: "Hier sind keine Sicherheitsvorkehrungen, nur unsere eigene. Wenn Leute rumlaufen, die was sehen - die meisten Leute, die mischen sich sofort ein. Wenn die sehen, dass einer an Tank geht oder Ladung, die kommen sofort hin. Auf jeden Fall, weil es kann jeden treffen."

    Auch wenn es verboten ist, einige der LKW-Fahrer haben sich sogar bewaffnet, um im schlimmsten Fall ihre Ladung verteidigen zu können. "Ich kenne Leute, die haben Gaspistolen, die haben Messer, aber wenn die die einmal in Hand nehmen, dann ist sofort Gefängnis."
    Bisher dauert es bei Ladungsdiebstählen laut Verband oft zwei, drei Stunden, bis die Polizei da ist. Geht es nach den Verbänden, dann soll sich das ändern. Sie fordern nicht nur besser bewachte Stellplätze, sondern Ermittlungsteams der Polizei, die schnell vor Ort sind und die Täter verfolgen können.