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Kriminalroman
Schafe können nicht telefonieren

Sie ist so etwas wie die Tierexpertin der deutschen Literatur und hat den deutschsprachigen Kriminalroman um ein wundersames neues Subgenre bereichert: Leonie Swann. Mit ihrem Debüt, dem Schafskrimi "Glennkill", landete sie vor zehn Jahren auf Anhieb einen Bestseller. Ihr neuer Roman "Dunkelsprung" dreht die Schraube der Tier-Fantastik noch ein Stück weiter.

Von Katharina Granzin | 21.04.2015
    Drei Schafe
    Drei Schafe (picture alliance / dpa / Steffen Trumpf)
    "Leonie Swann" ist ein Name, wie ihn auch eine ihrer Figuren tragen könnte. Das ist kein Zufall, denn sie hat ihn passend dazu ausgewählt. Ihren richtigen Namen behält die Autorin lieber für sich, da sie das Berufliche vom Privaten trennt. Natürlich erzeugt das fantasievolle Pseudonym - in dem der Löwe und der Schwan enthalten sind - eine Aura des Geheimnisvollen. Die passt aber ebenfalls ganz gut zum Spezialgebiet der studierten Anglistin: Literatur aus Tierperspektive. Leonie Swann nimmt ihre tierischen Protagonisten sehr ernst, recherchiert viel und hat sogar ein mehrwöchiges Praktikum bei einer Schäferin absolviert, um das Verhalten von Schafen zu studieren. Deren Verhaltensmuster realitätsnah einzusetzen, hatte beim Schreiben ihrer Schafskrimis "Glennkill" und "Garou" seinen ganz eigenen Reiz:
    "Das ist natürlich auf der einen Seite eine Herausforderung, weil man viele Sachen nicht machen kann. Die Schafe können ja nicht ans Telefon gehen oder bei der Zeitung anrufen und irgendwelche alten Artikel bestellen, um zu gucken, was früher war, solche Sachen. Aus detektivischer Sicht sind sie sehr beschränkt."
    Eine noch schwierigere Erzählperspektive hat die Autorin für einige Passagen ihres neuen Romans "Dunkelsprung" gewählt. Der titelgebende Held ist ein Floh - ein Artist in einem Flohzirkus. Vor dem Schreiben traf Leonie Swann sich zu einem ausführlichen Recherchegespräch mit einem britischen Flohzirkusexperten. Schließlich ging es ihr darum, diesen eigentümlichen Bereich der Wirklichkeit so realistisch wie möglich darzustellen:
    "Auch so in Details: Was Flöhe können, was sie für Wägelchen ziehen, wie sie gefüttert werden, die Tradition, die sich gewissermaßen aus dem Juwelierstum heraus entwickelt hat, das ist alles relativ realistisch, das ist eines der Elemente, wo einen die Realität überrascht und irgendwie fantastischer ist, als man ihr eigentlich zugetraut hätte."
    Doch so nah an der Wirklichkeit die Recherche auch angelegt war, so fantastisch sind die Geschichten, die Leonie Swann darauf aufbaut. In "Dunkelsprung" schöpft sie aus dem Vollen ihrer offenbar wilden Imagination. Ein Flohzirkusdirektor verfällt einer Nixe, eine Frau mit Hörnern kämpft für die Freiheit der Fabelwesen, und einem Privatdetektiv läuft ein Haustier zu, das höchstwahrscheinlich nur in seiner Einbildung existiert. Diese Welt ist längst nicht mehr so überschaubar wie die Schafsweide von "Glennkill"; ihre Helden sind hochgradig seltsam und ihre Regeln unbekannt. In der deutschen Literatur hat das, was Leonie Swann da macht, keine Vorbilder. Sie selbst sieht denn auch ihre wichtigste Prägung woanders:
    "In Sachen Erzähltradition würde ich mich wahrscheinlich eher in der angloamerikanischen Tradition sehen - auch im Hinblick auf Unterhaltung. Unterhaltung ist ja in Deutschland oft etwas, das einem so ein bisschen peinlich sein kann. "Unterhaltsamer Roman" heißt schon, man kann ihn nicht wirklich ernstnehmen."
    In England, wo Leonie Swann derzeit in der Nähe von Cambridge wohnt, wird das natürlich ganz anders gesehen. Dort drüben, im Land der Feengeschichten und der klugen Unterhaltungsliteratur, fühlt die Autorin sich momentan jedenfalls sehr gut aufgehoben.