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Krimtataren
Diskussionen über die eigene Zukunft

Die Krimtataren fürchten um ihre Kultur auf der bisher ukrainischen Halbinsel. Obwohl Russland ihnen ein besseres Leben und Unterstützung verspricht, bleiben die Angehörigen der muslimischen Minderheit skeptisch. Nun wollen sie über ihre Vorstellungen der Zukunft diskutieren.

Von Florian Kellermann | 28.03.2014
    Die Sonne geht unter hinter den Rohbauten der Siedlung Noman Tschelebidschichan. Hier stehen schon die Außenmauern, noch ohne Dach, dort liegt erst das Fundament. Manche Baustellen auf dem kleinen Hügel sehen verlassen aus, als ob da schon lange keiner mehr gearbeitet hätte.
    Enver Usejnow steht vor einem der wenigen fertigen Gebäude, er ist mit 62 Jahren der älteste in der Siedlung.
    "Manche haben einfach Angst, dass ihnen ihr Haus wieder weggenommen wird, deshalb haben sie aufgehört zu bauen. Aber ich sehe das anders. Fünfzehn Jahre haben wir eine Wohnung gemietet. Aber das ist unheimlich teuer. 200 bis 300 Euro im Monat - fast die gesamten Bezüge von zwei Rentnern zusammengenommen. Da habe ich mir gedacht: Jetzt baue ich es einfach fertig und ziehe ein."
    Enver deutet in die Ferne - ein Stromkabel hängt über einer kleinen Schafsherde. Die Siedlung im Süden der Krim-Hauptstadt Simferopol ist eigentlich nicht an das städtische Netz angeschlossen, sie zapft den Strom einfach bei der Nachbarsiedlung ab. Aber immerhin gibt es inzwischen fließend Wasser, sagt Enver.
    Was die Siedler hier gemacht haben, heißt auf Russisch "Samosachwat" - so viel wie Landraub. Viele Krimtataren, die seit Ende der 1980er-Jahre auf die Halbinsel zurückkehrten, besetzten einfach Land, um darauf ihre Häuser zu bauen. Schließlich wurden ihre Vorfahren von hier vertrieben und dafür nie entschädigt, sagt Enver.
    "Meine Eltern haben auf der anderen Seite der Stadt ein Haus gebaut - anderthalb Etagen. 1944 sind sie eingezogen - und nur drei Monate später hat die Sowjetmacht sie deportieren lassen. Dort wohnt jetzt eine alte Frau. Sie hat mich nicht einmal einen Blick hinein werfen lassen, als ich zu ihr ging. Ja, das hat mal euch gehört, hat sie gesagt, aber jetzt gehört es uns."
    Die Krimverwaltung oder Gerichte haben manche der Krimtataren-Siedlung mittlerweile legalisiert, nicht so Noman Tschelebidschichan. Deshalb haben die jüngsten Ereignisse auf der Halbinsel die Menschen hier besonders verängstigt. Die Ukraine verzichtete nämlich weitgehend darauf, gegen die illegale Landnahme vorzugehen. Sie ließ die Krimtataren gewähren. Wie aber wird sich der russische Staat verhalten, der auf der Krim seit einigen Wochen das Sagen hat?
    Enver bittet ins Haus seiner Schwester. Im Wohnzimmer, bei Tee mit Kirschkonfitüre, berät die Familie genau diese Frage. Seine Schwägerin Mewa ist aufgebracht:
    "Ich habe jetzt schon öfter gehört, wie Russen gesagt haben: Wenn ihr erst einmal weg seid, dann können ja wir euer Haus übernehmen. Ich frage mich, was das soll, wollen sie uns noch einmal vertreiben? Natürlich reden nur manche so, schlechte Menschen, aber das verunsichert uns trotzdem. Schließlich sind wir auf der Krim zuhause, das ist unsere Erde."
    Russische Krimregierung will Vertrauen gewinnen
    Er werde zur Not eine Waffe in die Hand nehmen und sein Haus verteidigen, sagt Enver. Diese neue Unsicherheit sei genau der Grund, warum er für einen Verbleib der Krim in der Ukraine ist.
    Dabei hat sich die Moskau-treue Krimregierung einige Mühe gegeben, um das Vertrauen der Krimtataren zu gewinnen. Sie verspricht ihnen viel weiter gehende Rechte, als sie in der Ukraine hatten. So soll Krimtatarisch zweite Amtssprache neben Russisch werden. Viel mehr Geld als bisher soll in die Pflege der krimtatarischen Kultur fließen.
    Doch es falle ihr schwer, das zu glauben, sagt Mewa. Denn wenn sie russische Fernseh- oder Radiosender einschalte, dann höre sie nichts als Lügen. Skeptisch macht die Krimtataren auch, dass es hieß, in Russland würden die Rentner viel besser leben. Die erste Überweisung aus Moskau, die gerade ankam, schon in russischen Rubeln, fiel jedoch geringer als bisher die Rente aus der Ukraine.
    Inzwischen hat sich die 17-jährige Enkelin Sanije dazu gesetzt, die Tourismuswirtschaft studiert. Sie hat russische Freunde, aber in letzter Zeit fühlt auch sie, dass die Spannungen wachsen.
    "Die meisten schauen nicht auf die Nationalität, sie nehmen mich so, wie ich bin. Aber ich höre immer öfter, dass die Krimtataren Störenfriede seien, dass sie gegen den Anschluss an Russland demonstrieren oder sogar die Russen abschlachten wollen. Es wird einfach immer mehr Unsinn geredet."
    Enver wird als einziger aus der Familie morgen zur Volksversammlung der Krimtataren gehen, dem Qurultay. Die Minderheit will beraten, wie sie sich gegenüber der russischen Annexion der Krim verhalten soll. Eines steht für den Rentner schon fest: Er wird zwar den russischen Pass beantragen, um die gleichen Rechte zu haben wie die anderen Krimbewohner, seinen ukrainischen Pass wird er aber ganz sicher nicht abgeben.