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Krise als Dauerzustand

Da herrschen tausend Grad Celsius, da kommen gleich die Kugeln rotglühend raus, werden dann im 40 Grad warmen Öl abgeschreckt. So ergibt sich die Härte der Kugel, so dass sie im Kugellager eingesetzt werden kann. ... Danach wird die Kugel geschliffen, bekommt ihr endgültiges Maß, und wird poliert.

Gerhard Schröder |
    Noch wird gearbeitet in der Kugelfabrik Schulte in Herrlinghausen. Noch purzeln glühende Kugeln aus den Öfen in das blubbernde Öl, werden dort gehärtet, anschließend geschliffen und poliert, bis sie auf den tausendstel Millimeter das vorgeschriebene Maß erreicht haben.

    Die Kugelfabrik Schulte ist mit 90 Beschäftigten der größte Arbeitgeber in Herrlinghausen, 50 Kilometer nordöstlich von Köln. 1923 wurde die Firma gegründet, nun steht sie vor dem Aus. Die Konjunkturschwäche hat das Unternehmen kalt erwischt. Vor zwei Monaten musste Geschäftsführer Klaus Vetter Insolvenz anmelden.

    Haben 2000 noch Verlust geschrieben. Mitte 2001 aber ausgeglichenes Ergebnis. Dachten, wir haben das Schlimmste hinter uns. Dann kam Markteinbruch, konjunktureller Rückgang. Das führte dazu, dass wir weniger Umsatz hatten. Erneut Verluste.

    Klaus Vetter kennt sich aus im Krisenmanagement der Kugelfabrik. Schon vor drei Jahren rettete er die Firma vor dem Aus. Damals hatten krasse Fehler seiner Vorgänger das Unternehmen in die roten Zahlen manövriert. Da stieg Vetter ein, übernahm zwei Drittel der Anteile und brachte die Firma wieder in Schwung. Die Fabrik schrieb wieder Gewinn, dann kam der Abschwung, die Umsätze brachen ein, die Banken drehten den Geldhahn zu.

    Mir ist es nicht gelungen, die Banken davon zu überzeugen, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Dass wir ne neue Chance verdient haben. Was ich den Banken ankreide – ich verliere persönlich auch sehr viel Geld – ist, dass ich keine zweite Chance bekomme. Hatte eine Chance, hatte auch bisschen Pech mit Konjunktur. Das tut schon weh.

    Knapp 40.000 Firmen haben in diesem Jahr Konkurs angemeldet. Spektakuläre Firmenpleiten sind darunter, der Zusammenbruch der Kirch-Gruppe, Babcock-Borsig, Fairchild Dornier. Das Gros aber sind kleine Betriebe wie die Kugelfabrik Schulte, die still und heimlich vom Markt verschwinden. Dieter Philipp, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks:

    So eine schwierige Situation wie derzeit hat das Handwerk in Deutschland noch nicht erlebt. Wir verlieren täglich 50 Handwerksbetriebe, pro Monat weit über tausend. Das ist einzigartig. Und es bleiben nicht nur die Schwachen auf der Strecke. Auch eine große Zahl von starken Firmen verabschiedet sich vom Markt. Die Firmeninhaber haben in den letzten Jahren schon zuviel Substanz aufgezeht, jetzt sind sie im Übergeberalter. Aber aufgrund der schwachen Konjunktur finden sie keinen Übernehmer. Das Hauptproblem im Handwerk ist, dass wir weniger Probleme durch Pleiten haben, Insolvenzquote ist gar nicht so hoch. Das größte Problem sind die stillen Aufgaben. Es findet sich kein Nachfolger, oder es wird erst gar keiner gesucht.

    Deutschland im Herbst. Die Staatskassen sind leer, Steuern und Abgaben steigen, die Wirtschaft steuert auf einen Pleitenrekord zu, die Zahl der Arbeitslosen ist so hoch wie seit fünf Jahren nicht mehr.

    Die Konjunktur ist fast zum Stillstand gekommen, um nur noch 0,2 Prozent, so schätzt der Sachverständigenrat zu Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Lage, wächst das Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr. Auch im nächsten Jahr ist nur eine matte Belebung zu erwarten. Die Arbeitslosigkeit allerdings, so schätzen die Experten, wird noch um 110 000 anschwellen. Die optimistische Annahme dabei: Es gibt keinen Krieg am Golf, der Ölpreis bleibt niedrig.

    Trotz dieses wenig erbaulichen Befunds - Gernot Nerb, Konjunkturexperte des Münchener Ifo-Instituts warnt vor Panikmache:

    Wir hatten schon wesentlich dramatischere Abschwungphasen, zum Beispiel Anfang der achtziger Jahre oder Anfang der neunziger Jahre. Derzeit erleben wir eine mittelstarke Abschwächung, also keineswegs etwas dramatisches.

    Kennzeichen des derzeitigen Abschwungs ist, dass er so langwierig ist. Vor fast zwei Jahren, am Ende des Boomjahres 2000, kündigten sich die ersten Schwächezeichen an, ein halbes Jahr später rutschte die deutsche Wirtschaft in die Rezession, nach unten gezogen von der Krise in den USA, die sich durch die Terroranschläge beschleunigte.

    Doch während die USA allmählich wieder den Weg nach oben antreten, verharrt Deutschland am Boden. Handwerkspräsident Dieter Philipp:

    Wir haben einen starken Rückgang der Nachfrage, das zehrt an der Substanz. Dann haben wir einen ständig steigenden Kostenblock. Steuern, Abgaben, Lohnzusatzkosten, alles steigt. Es war ein eklatanter Fehler, die Steuerentlastungen zu verschieben. All das ist keine stimulierende Wirtschaftspolitik. Das hat dazu geführt, den Konjunkturmotor abzuwürgen.

    Die aktuelle Konjunkturschwäche hat vor allem zwei Ursachen: Die Unternehmen investieren zu wenig, die Konsumenten kaufen nicht. Kurzum: Die Nachfrage im Inland ist einfach zu schwach. Allein die Exportwirtschaft sorgt noch dafür, dass die Konjunktur nicht vollends abstürzt. Woher aber nur rührt diese Binnendepression? Ist die Regierung schuld, wie die Wirtschaftsverbände klagen? Ist es der vielbeklagte Reformstau, der das Land so ausbremst.

    Auch Gustav Adolf Horn, Chef der Konjunkturabteilung beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung – kurz DIW – hält Reformen für dringend geboten. Die Ursachen der aktuellen Konjunkturkrise sieht er aber woanders:

    Sicher gilt es im Niedriglohnbereich den Übergang zur Arbeit besser zu fördern. Die Eingangssteuersätze müssten runter. Subventionen für Sozialabgaben. All dies ist richtig. Beim Kündigungsschutz könnte man über Flexibilisierungen sprechen. Aber all dies sind Randfaktoren, die nicht der Kern sind. Wir haben in Deutschland einen binnenwirtschaftlichen Nachfragemangel. Das hat das Wachstum beeinträchtigt. Dieses Kernproblem müssen wir lösen.

    Wie dieses Kernproblem zu lösen ist, darüber herrscht große Uneinigkeit unter den Ökonomen. Während angebotsorientierte Ökonomen bezweifeln, dass die Konjunktur kurzfristig überhaupt zu steuern ist, fordern nachfrageorientierte Wirtschaftswissenschaftler klare Weichenstellungen: In der Zinspolitik, in der Lohnpolitik, vor allem aber in der Finanzpolitik.

    Die Fixierung auf Defizitziele war von Anfang an falsch. Wenn man in Schwächephase Defizitziele erfüllen muss, dann landet man in einer noch größeren Krise mit erneuten Defiziten. Man muss den Maastricht-Vertrag grundlegend reformieren. Dann hätte die Regierung mehr Spielraum, die Konjunktur im Abschwung zu stützen, und im Aufschwung die Defizite verstärkt abzubauen. Solchen Spielraum fordere ich.

    Auch die zurückhaltende Lohnpolitik in den vergangenen Jahren habe bremsend gewirkt. Die Bürger sparten beim Einkauf, das aber drückte die Absatzerwartungen der Unternehmen. Die schraubten die Investitionen zurück und verkleinerten die Belegschaften. Jürgen Kromphard, Mitglied im Sachverständigenrat.

    Ende der neunziger Jahre hinkten die Löhne hinter der Produktivität her, deshalb hatten wir eine schwache Entwicklung. Viele meinen ja, Lohnzurückhaltung sei ein wichtiges Element für Wachstum und Beschäftigung. Aber wenn man längere Zeiträume betrachtet, findet man dafür keine Bestätigung. In den Phasen mit starker Lohnzurückhaltung hat sich die Wirtschaft nicht sonderlich gut entwickelt.

    Eine falsche Finanzpolitik, eine falsche Tarifpolitik. Und auch die Europäische Zentralbank habe mitgewirkt, die Auftriebskräfte zu schwächen, kritisiert DIW-Experte Horn. Trotz der Zinssenkung vom vergangenen Donnerstag.

    Die Europäische Zentralbank hätte die Zinsen schon im letzten Jahr deutlicher senken müssen. Ähnlich wie die US-amerikanische Notenbank. Es war absehbar, dass die Lage gravierend sein würde. Die EZB aber hat nicht gehandelt. Und das Warten allein ist schon gefährlich.

    Selbst eine Entwicklung wie in Japan mag Horn nicht völlig ausschließen: Eine Deflation, also ein Verfall der Preise bei gleichzeitigem Abrutschen der Wirtschaft in die Rezession. Ausgelöst wurde die Krise in Japan durch den Zusammenbruch des Immobilien- und Aktienmarktes, dort waren die Preise zuvor in groteske Höhen geschnellt, Anfang der neunziger Jahre platzte die Blase, davon hat sich das Land bis heute nicht erholt.

    US-Notenbank-Präsident Alan Greenspan hat die Entwicklung Japans genau studiert, und Konsequenzen daraus gezogen: In zwölf Schritten drückte er die Leitzinsen auf den niedrigsten Stand seit 40 Jahren. Gleichzeitig hat die US-Regierung die Ausgaben erhöht und die Steuern gesenkt. Ein gelungenes Krisenmanagement, meint auch Ifo-Experte Nerb:

    Die US-Notenbank hat sich genau angesehen, was in Japan falsch gelaufen ist, und hat gesehen, dass es ein Fehler ist, zulange zu warten. Deshalb hat Greenspan so energisch die Zinsen gesenkt, zwölfmal, auf ein historisches Tief. Die Amerikaner haben erkannt, dass sie die einzigen sind, die was machen können. Sie haben auch noch die Steuern gesenkt. Inzwischen hat die US-Konjunktur einen Boden gefunden. Und davon profitieren wir alle. Wir müssen den Amerikanern dankbar sein, dass sie so aggressiv voran gegangen sind.

    Tatsächlich haben sich Regierung und Notenbank in den USA klassisch keynesianischer Mittel bedient, um die Krise zu meistern. Eine derartige Zusammenarbeit ist in Europa allerdings gar nicht möglich: Die Europäische Zentralbank ist allein auf die Wahrung der Preisstabilität verpflichtet. Angebotsorientierte Ökonomen bezweifeln zudem, dass die Konjunktur so dauerhaft angekurbelt werden kann. Der Staat sollte sich lieber damit begnügen, den richtigen Rahmen zu schaffen, zum Beispiel durch niedrige Steuern. Der Bonner Ökonom Meinhard Miegel:

    Wenn wir die Neuverschuldung kräftig erhöhen und ein paar Milliarden in die Volkswirtschaft reinpumpen. Dann würden wir ein Strohfeuer entfachen. Danach, in neun oder sechs Monaten, wäre die Lage noch schwieriger. Wir haben es mit einer chronischen Krankheit zu tun. Und die kann man nicht mit schnellen Mitteln kurieren. Es wird einige Jahre dauern.

    Tatsächlich versagen im Fall Deutschland die klassischen Instrumente der Konjunkturpolitik. Denn die hartnäckige Wachstumsschwäche - schon seit Mitte der neunziger Jahre hinkt die deutsche Wirtschaft hinter den USA und den meisten europäischen Nachbarn hinterher – ist vor allem eine Folge der deutschen Einheit. Die Wirtschaft in Ostdeutschland brach nach dem Mauerfall zusammen, den Anschluss hat sie – trotz milliardenschwerer Aufbauhilfen – bis heute nicht geschafft. Um die Einheit zu finanzieren, stiegen zudem Steuern und Sozialabgaben ebenso wie die Staatsverschuldung – und das dämpft auch noch dreizehn Jahre nach der Wende die wirtschaftliche Dynamik. Die EU-Kommission führt die Schwäche Deutschlands sogar zu zwei Dritteln auf die Folgen der deutsch-deutschen Fusion zurück.

    Um den Aufholprozess zwischen Oder und Elbe zu beschleunigen, sollte man auch unkonventionelle Maßnahmen prüfen, empfiehlt das ifo-Institut. Konjunktur-Chef Gernot Nerb:

    Vieles ist eingeleitet, die Flexibilisierung der Tarifverträge. Wir bräuchten im öffentlichen Dienst eine Verschlankung. Denkbar wäre natürlich auch eine Sonderwirtschaftszone. Dass man auf Zeit versucht, den ostdeutschen Unternehmen eine Präferenzstellung zu geben. Das muss mit EU abgesprochen werden. Als eine Wirtschaftszone mit größeren Problemen müsste es möglich sein, dass man hier Präferenzen durchsetzt. Das könnten vor allem steuerliche Sonderregelungen sein.

    Auch Wirtschaftsminister Wolfgang Clement denkt über Ausnahmeregelungen für Ostdeutschland nach. Eine Art Sonderwirtschaftszone Ost könnte entstehen. Sie könnte eine Art Labor für eine neue Wirtschaftspolitik werden, ein Versuchsfeld, um neue Wege aus der Krise zu erproben.

    Ein interessantes Experiment mit Nutzen für das ganze Land. Denn auch im Westen gibt es Probleme. Lähmender Mehltau habe sich über das Land gelegt, ein Resultat von gravierenden Versäumnissen in den vergangenen 25 Jahren, meint Meinhard Miegel, Professor für Wirtschaftspolitik in Bonn. Eine Reform an Haupt und Gliedern sei unumgänglich:

    Schon 1977 hatten wir die selben Probleme wie heute. Nur haben sich die Probleme in den vergangenen 25 Jahren noch verschlimmert. Die Arbeitslosigkeit ist gewachsen, die Wirtschaft dümpelt dahin, die sozialen Sicherungssysteme sind noch instabiler wie in den 70er Jahren. Wir haben es mit einer Chronischen Krankheit zu tun, die schmerzhaft geworden ist. Sie ist Ausdruck einer sich seit langem anbahnenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verwerfung.

    Auch der Sachverständigenrat zur Begutachtung der wirtschaftlichen Entwicklung sieht vor allem strukturelle Defizite, die mehr Wachstum und mehr Beschäftigung verhindern. Ein 20-Punkte-Programm hat der Expertenrat vorgeschlagen, um die deutsche Wirtschaft auf Vordermann zu bringen. Die entscheidenden Punkte: Die sozialen Sicherungssysteme müssen auf ein neues, dauerhaft tragfähiges Fundament gestellt werden. Und der Arbeitsmarkt muss flexibler gestaltet werden, damit mehr Menschen einen Job bekommen. Wolfgang Wiegard, Mitglied des Sachverständigenrats:

    Die Nachfrage nach Arbeit muss gestärkt werden. Das läuft auf eine Senkung der Sozialversicherungsbeiträge hinaus, denn die wirken wie eine Steuer auf Arbeit und hemmen die Beschäftigung.

    Der Anstieg der Sozialbeiträge macht Arbeit teuer. Ein Problem, das sich in den kommenden Jahr dramatisch verschärfen wird – aus demographischen Gründen. Die Bevölkerung schrumpft, und sie wird immer älter. Immer weniger Beschäftigte müssen immer mehr Rentner und Kranke finanzieren. Wenn nichts geschieht, so hat der Bevölkerungswissenschaftler Herwig Birk berechnet, dann werden sich allein die Rentenbeiträge in den kommenden Jahrzehnten von derzeit knapp 20 Prozent auf über 40 Prozent mehr als verdoppeln. Eine Erkenntnis, die - langsam aber immerhin – inzwischen auch in der Politik ernst genommen wird. Meinhard Miegel.

    Die sozialen Sicherungssysteme quietschen und knirschen, weil sich der Anteil der zu versorgenden Menschen um 40 Prozent erhöht hat. Und er wird sich in Zukunft noch verdoppeln.

    Auch die Regeln auf dem Arbeitsmarkt müssten gründlich überholt werden, die Vorschläge der Hartz-Kommission seien lediglich ein erster Schritt, mahnt der Sachverständigenrat.

    Mehr Flexibilität bei der Lohngestaltung, mehr Öffnungsklauseln bei den Tarifverträgen, eine stärkere Orientierung am Unternehmensgewinn fordern die Experten. Notwendig seien aber vor allem tiefe Einschnitte bei den Sozialleistungen, damit es für Arbeitslose wieder lukrativ werde, einen Job anzunehmen. Wolfgang Wiegard:

    Wir schlagen vor, dass für arbeitsfähige Sozialhilfeempfänger eine Absenkung des Regelsatzes erfolgen muss. Wenn ein Sozialhilfempfänger allerdings eine Arbeit aufnimmt, dann soll er einen größeren Teil der Sozialhilfe behalten können.

    Wer arbeitslos ist, soll weniger bekommen, wer arbeitet, wird belohnt durch einen Zuschuss zum Lohn. So soll der Niedriglohnsektor ausgebaut werden. Vorschläge, die Zündstoff in sich bergen:

    Wir wissen, dass dies weitreichende Eingriffe sind. Wir haben es hier mit einem Zielkonflikt zwischen mehr Beschäftigung und Gerechtigkeits- und Verteilungszielen zu tun. Wir brauchen eine größere Lohnspreizung, wir brauchen – um es ganz deutlich zu sagen: Mehr Ungleichheit, sonst wird es nicht gelingen, die Beschäftigung zu verbessern.

    Notwendig seien aber auch weitere steuerliche Entlastungen. Auch wenn der finanzielle Spielraum begrenzt sei.

    Wir wissen, das dass, was finanzpolitisch wünschbar und nötig wäre, derzeit nicht mit dem Möglichen übereinstimmt. Die Spielräume sind begrenzt. Was aber erforderlich ist, ist die Perspektive. Die Steuerreform 2004 und 2005 bringt eine Entlastung. Aber was kommt danach? Daran mangelt es. An einer Perspektive, die Vertrauen aufbauen kann bei Investoren und Konsumenten und so Dynamik auslöst.

    Keine Perspektive, keine Dynamik. Ist es wirklich so schlecht bestellt um den Standort Deutschland? Gustav Adolf Horn vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung beurteilt die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft weniger pessimistisch:

    Ich habe nichts dagegen, die Lohnnebenkosten zu senken. Aber: Die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen, die sich nicht nur an den Lohnnebenkosten bemisst, ist hoch. Wir haben keine zu hohe Kostenbelastung in Deutschland. Im Jahr 2000 sind die Exporte um 13 Prozent gewachsen. Das ist kein Zeichen mangelnder Wettbewerbsfähigkeit. Wir sind besser als USA, Frankreich, Japan.

    In die selbe Kerbe schlägt Wendelin Wiedeking, der Vorstandschef von Porsche. Er hat schon in der Vergangenheit von sich reden gemacht, weil er die Subventionen für Autofabriken in Ostdeutschland kritisierte.

    Immer nur über zu hohe Steuern und Abgaben Jammern, das ist mir ein bischen wenig. Da müssen dann auch mal eigene Vorschläge auf den Tisch, und das ist das, was ich bei der deutschen Industrie vermisse.

    Es ist nicht zwangsläufig auf den Standort zurück zu führen, wenn Unternehmen in Bedrängnis geraten. Viele Unternehmen stecken heute in Schwierigkeiten, weil sie in den neunziger Jahren die falschen Entscheidungen getroffen haben. Der Boom an der Börse Ende der neunziger Jahre hat viele Unternehmen zu maßlosem Wachstum verleitet, das rächt sich nun, so das Ergebnis einer Analyse der Unternehmensberatungsgesellschaft Mercer Management.

    Viele Firmen haben besinnungslos auf Größe gesetzt, in der Annahme, dies sei schon allein die Grundlage für unternehmerische Erfolge in der globalisierten Welt. Ein Irrtum, wie viele nun feststellen müssen, sagt August Joas, der Autor der Studie:

    Das Kernproblem ist: Die Unternehmen haben zu einseitig gedacht und gearbeitet. Es ging nur um Größe. Sie haben sich nur um den Umsatz gekümmert. Haben fusioniert und gekauft, um den Marktanteil zu steigern. Aber die Gewinne sind nicht entsprechend gestiegen, die erhofften Synergien sind nicht eingetreten. 70 Prozent der Fusionen sind nicht erfolgreich, 70 Prozent sind gescheitert. Die Unternehmen haben zu sehr auf Größe gesetzt. Nur wenn der Ertrag gesichert ist, macht es Sinn zu wachsen.

    Nur ein Drittel der untersuchten Unternehmen sind in den vergangenen Jahren fünf Jahren profitabel gewachsen, so Ergebnis der Studie. Bestes Beispiel für strategische Fehleinschätzungen: Die Telekom-Branche. Die hat zig Milliarden vernichtet, für zweifelhafte Mobilfunk-Lizenzen oder überbewertete Übernahmen aus dem Fenster geworfen. Heute sind die Konzerne maßlos überschuldet. Jetzt werden die Investitionen zurück gefahren, Arbeitsplätze abgebaut.

    Unternehmen, die sich ganz auf ihre Stärken konzentriert haben, sind dagegen auch in der Krise noch gut gefahren. Beispiel Porsche: Im allgemeinen Krisenjahr 2002 erhöhte der Sportwagenhersteller den Konzernüberschuss um 70 Prozent.

    Das ganze Jammern hilft nichts. Wenn man seine Hausaufgaben macht, dann kann man als Unternehmer in Deutschland gutes Geld verdienen.

    In der Krise rächen sich die Fehler der Vergangenheit. Die Kugelfabrik Schulte in Herrlinghausen hat in den vergangenen Monaten zwar wieder schwarze Zahlen geschrieben. Doch die Banken verweigern dringend benötigte neue Kredite. Zu hoch sind die Schulden, die das Unternehmen in den neunziger Jahren aufgetürmt hat. Nun drehen Geldhäuser den Hahn zu. Ein paar Monate hält der Betrieb vielleicht noch durch. Doch Geschäftsführer Vetter ist skeptisch, er selber hat viel Geld in das Unternehmen gesteckt.

    Wenn man im Nach hinein sagen muss, es ist schief gegangen, dann hab ich keine besonders glückliche Entscheidung getroffen vor drei Jahren. ... Aber: Noch kämpfe ich, für das Unternehmen, für die Mitarbeiter. Die Größenordnung ist so, dass ich nachher ernsthafte Probleme habe. Das heißt ich gehe gegebenenfalls mit Schulden aus dem Unternehmen heraus. Es ist schwer abzuschätzen, wohin das führt. Es sind noch sechs Wochen bis zur Insolvenzeröffnung. Ich bin mir aber sicher, dass ein Teil der Arbeitsplätze erhalten bleibt.