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Krise gibt's nicht

Insgesamt sieben SPD-Parteimitglieder aus ganz Köln bewerben sich für die Landtagswahl am 9. Mai nächsten Jahres. Demnächst muss ein Parteitag entscheiden, wer von ihnen ins Rennen geht. Auch im Kölner Stadtteil Ehrenfeld sind mehr als 100 Genossinnen und Genossen zur Vorstellung der Landtagskandidaten gekommen.

Von Friederike Schulz |
    "Guten Abend, liebe Genossinnen und Genossen. Mein Name ist Jochen Ott und ich bin Lehrer an der Gesamtschule Brühl und möchte versuchen, meinen Schwerpunkt vorzustellen."

    Der Saal im Bürgerzentrum Köln-Ehrenfeld ist gut gefüllt. Mehr als 100 Genossinnen und Genossen sind zur Vorstellung der Landtagskandidaten gekommen. Insgesamt sieben Parteimitglieder aus ganz Köln bewerben sich für die Landtagswahl am 9. Mai nächsten Jahres. Derzeit stellen sie sich in den Ortsvereinen vor, demnächst muss ein Parteitag entscheiden, wer von ihnen ins Rennen geht. Jeder hat fünf Minuten Redezeit, die meisten überschreiten sie deutlich. Doch das stört die Ehrenfelder nicht, sie hören geduldig zu. Zentraler Punkt in allen Reden: Die Rückbesinnung auf die Kernkompetenz der Partei, die sozialen Themen.

    "Das Geld fehlt an allen Ecken und Enden. Es gibt viele sozialdemokratische, soziale Themen. Der erste Punkt, wo der Staat weiterhin stark auftreten muss, ist der soziale Wohnungsbau. Die LEG ist verkauft worden, bezahlbaren Wohnraum gibt es nicht mehr für jeden. Dafür ist die SPD da, sich für solche Themen stark zu machen und das entsprechend durchzusetzen."

    Egal, wer das Wort hat, das schlechte Abschneiden der Partei bei der Bundestagswahl oder der Bundesparteitag am kommenden Wochenende, werden ausgespart. Die Kandidaten wettern gegen die Verschuldung der Kommunen und die Bildungspolitik der schwarz-gelben Koalition. Auf Selbstkritik oder nachdenkliche Worte wartet man an diesem Abend vergeblich, es scheint sich jedoch auch kaum jemand im Publikum daran zu stören. Und so wirkt Ellen Engstfeld, die vor der Tür steht und versucht, die Zuspätkommenden abzufangen, mit ihrer Unterschriftenliste reichlich verloren. "Nein zu Gabriel" steht darauf.

    "Der Partei ging es noch nie so schlecht wie heute, sie ist in der größten Krise seit sie existiert. Deshalb stehe ich auch hier und mache mit bei diesem Aufruf, weil wir der Meinung sind, dass man erstmal bilanzieren muss, was zu dieser Niederlage und zu diesem Wahlergebnis geführt hat. Dass man jetzt nicht einfach zur Tagesordnung übergehen kann. Wir brauchen jetzt eine große breite Diskussion in der Partei und auf der Grundlage kann man eine neue Führung wählen, aber nicht jetzt. Ich denke, mit der alten Führung kann man keine neue Politik machen, wie sie jetzt dringend notwendig ist."

    Doch die meisten gehen an diesem Abend achselzuckend an der Genossin im orangefarbenen Fließpullover vorbei. Auch aus der Gruppe Jusos, die in der Pause vor der Tür steht, findet sich niemand, der unterschreiben will. Fabrice Witzke, Anfang 30 und seit mehr als zehn Jahren SPD-Mitglied, schüttelt energisch den Kopf. Diskussion ja, Putsch nein, meint er.

    "Nach der Katastrophe haben wir die Gelegenheit, uns neu zu sammeln, wir haben jetzt die Chance, uns wieder darauf zu besinnen, wofür wir stehen, für soziale Gerechtigkeit, wir sind die Partei, die an die Menschen denkt. Ich glaube, jetzt in der Krise, wird es allen bewusst und alle fangen an zu kämpfen, und auch heute Abend kann man sehen: Die Leute sind bereit zu kämpfen. Es gibt viele junge Menschen, die eingetreten sind nach der Wahlniederlage, die sich gedacht haben, es kann nicht sein, dass diese Partei – die einzige Partei, die immer konsequent den Menschen im Blick hatte, dass diese Partei am Boden ist. Wir haben in den ersten Tagen nach der Wahl 6000 neue Mitglieder gewonnen, so viele wie selten zuvor. Und mit Sigmar Gabriel haben wir einen tollen Vorsitzenden."
    Die anderen in der Gruppe nicken. Unerschütterlicher Optimismus scheint das Motto der Jungsozialisten, deren Antworten allesamt so professionell klingen als wären sie einstudiert. Doch wer die jungen Parteimitglieder beobachtet hat, wie sie im Laufe des Abends jedem Redner aufmerksam zugehört und an den richtigen Stellen geklatscht haben, den beschleicht die Ahnung: Die glauben das wirklich.

    "Ich glaube, die SPD hat in ihrer langjährigen Geschichte schon so einiges erlebt. Ich denke, das ist natürlich ein Punkt, an dem wir überlegen müssen. Dafür ist der Bundesparteitag aber auch da, das wird auch geschehen, und ich bin durchaus optimistisch, dass wir das gut schaffen werden, wieder ein gutes Team zu bilden und uns darauf besinnen, wofür wir eigentlich stehen. Das ist soziale Gerechtigkeit, und ich glaube, die können wir erreichen."

    Drinnen wettert derweil der nächste Redner gegen Jürgen Rüttgers, dankbar in dem CDU-Ministerpräsidenten ein klares Feindbild gefunden zu haben. Kein Wort zu schlechten Umfragewerten, die ernste Zweifel an einem Sieg bei der Landtagswahl wecken könnten. Stattdessen Brandreden gegen die schwarz-gelbe Bildungspolitik und das Festhalten am dreigliedrigen Schulsystem.

    "Wir wollen die Kinder nicht mit fünf selektieren, wir wollen sie auch nicht mit neun selektieren, sondern wir wollen, dass sie gemeinsam in einem Klassenverbund so lange wie möglich lernen. Das ist das politische Ziel der NRW-SPD. Das ist das klare Gegenteil dessen, was Jürgen Rüttgers seit 2005 gemacht hat!"

    Als die Vorstellungsrunde nach anderthalb Stunden vorbei ist, bleibt noch Zeit für eine Fragerunde. Und da endlich verspricht der Abend doch noch spannend zu werden.

    "Liebe Genossinnen und Genossen, wir haben jetzt die Vorstellung der Kandidatinnen und Kandidaten gehört, und da vieles Interessantes dabei. Ich glaube, dass wir die Wahl nur gewinnen können, wenn sich in unserer Partei an der Bundesspitze etwas ändert. Die Frage, die ich an Euch als Kandidatinnen habe: Ich bin der Meinung, wir können nicht mit denen an der Spitze gewinnen, die verantwortlich sind für die Wahlniederlagen der vergangenen Monate, wir brauchen da ne Änderung, und dazu würde ich eure Meinung gerne hören."

    Kopfschütteln im Saale, das Publikum wird unruhig. Henning mal wieder, war ja klar, murmelt einer. Und da Henning den Fehler gemacht hat, auch noch das Thema Arbeitslosigkeit anzusprechen, wird seine Frage zur Parteispitze einfach übergangen. Und Ellen Engstfeld steht am Ende des Abends noch immer verloren mit ihrer fast leeren Unterschriftenliste vor der Tür.