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Krise in der Türkei
Zeitungen geht das Papier aus

Die Wirtschaftskrise in der Türkei zeigt sich inzwischen auch in der Printbranche. Weil Papier teuer aus dem Ausland importiert werden muss, werden Zeitungen und Zeitschriften derzeit immer kleiner und teurer. Sogar den Druck des Amtsblattes wurde eingestellt.

Von Marion Sendker | 20.09.2018
    A man reads in the newspaper at a kiosk in Istanbul, Turkey, 17 July 2016. Turkish authorities said they had regained control of the country after thwarting a coup attempt.
    Bis vor wenigen Wochen hatte noch fast jeder Kiosk wenigstens ein paar Zeitungsausgaben - inzwischen bleiben viele Zeitungsständer leer. (dpa/ Marius Becker)
    Wer in Istanbul eine Zeitung kaufen möchte, wird sich mancherorts wohl ein bisschen auf die Suche begeben müssen. Hatte bis vor wenigen Wochen noch fast jeder Kiosk wenigstens ein paar Ausgaben vorrätig, bleiben viele Zeitungsständer inzwischen leer oder sind schon weggeräumt worden. Das Geschäft lohne sich nicht mehr, sagen die Kioskbesitzer.
    "Ich verkaufe nur noch halb so viele Zeitungen wie zuvor. Zeitungen sind teurer geworden wegen des Papiers."
    Findet Kioskbesitzer Firuz, bei dem immerhin noch ein paar Ausgaben auf der Theke liegen. Sie kosten jetzt aber 25 bis 50 Prozent mehr als vorher. Firuz verdient daran höchstens indirekt:
    "Der Gewinn sind Bekanntschaften. Oder dass Leute nebenbei vielleicht noch etwas anderes dazu kaufen."
    Preisanstieg durch Inflation und US-Strafzölle
    Grund für den Zeitungsschwund in der Türkei sind die um ein Drittel gestiegenen Preise für Papier und den Rohstoff Zellulose. Beides wird fast ausschließlich importiert. Schon lange hätten ausländische Firmen die türkische Papierindustrie in der Hand, klagt Erdal Sükan, Präsident vom Verband der türkischen Papierindustrie.
    "In der Türkei wird leider keine Zellulose mehr produziert. Die Importe laufen über ausländische Firmen, die quasi in einem Kartell organisiert sind. Die Preise hängen natürlich auch vom Devisenkurs ab."
    Und der wird für türkische Unternehmer immer schlechter. Während sich die Inflation in der Türkei auf die 20 Prozent-Marke zubewegt, verliert die Landeswährung immer mehr an Wert. Auch die seit Mitte August geltenden Strafzölle auf Importe aus den USA treiben den Preis in die Höhe. Denn die USA sind neben Russland einer wichtigsten Papierquellen für die Türkei.
    Insofern sei die Papierkrise keine Überraschung, findet Aslan Özdemir, stellvertretender Chef der Satirezeitung Le Man.
    "Das ganze Land versinkt gerade in der Krise. Es war zu erwarten, dass es mit dem Papier auch so ist. Wie sollen wir uns auch dagegen wehren? Sollen wir etwa mit Karikaturen und Stiften gegen das Inflationsmonster kämpfen?"
    Satirezeitung Le Man: von Din A3 auf Din A5 verkleinert
    Die Entwicklung der LeMan in den vergangenen Wochen - die Ausgabe verkleinert sich von Din A3 auf Din A5
    Die Entwicklung der LeMan in den vergangenen Wochen (Deutschlandfunk / Marion Sendker)
    In den aktuellen Ausgaben der Le Man machen sich die Satiriker über die Papierkrise lustig. Dabei ist die Lage sehr ernst. Erst recht für Le Man, eine der letzten unabhängigen Zeitungen in der Türkei.
    "Seit Jahren kämpfen wir ums finanzielle Überleben. Der Wertverlust der Lira hat und uns noch mal richtig zugesetzt; denn wir bekommen kein Geld über Sponsoren oder Werbung."
    Also ließ die Redaktion ihre Zeitung schrumpfen - von Din-A3- auf ein knappes Din-A5-Format. Manche Leser hielten das zuerst für einen Scherz. Andere sprachen gar von einer politischen Agenda: Die Papierkrise als versteckter Angriff auf die Pressefreiheit? Aslan Özdemir winkt ab.
    "Dahinter stecken allein wirtschaftliche Gründe, auch Brot oder Waschmittel sind teurer geworden. Wenn es darum ginge kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen, dann würden sie einen anderen Weg finden."
    Auch der Staat ist betroffen
    Denn auch regierungsnahe Blätter wissen nicht mehr so recht, worauf sie ihre Meldungen drucken sollen. Manche verzichten inzwischen auf Sonderbeilagen oder legen mehrtägige Pausen ein. Woanders mussten Redakteure schon ihren Schreibtisch räumen oder gingen von sich aus. Die Papierkrise sei aber kein brancheninternes Problem, mahnt die Generalsekretärin des Journalistenverbandes der Türkei, Ilkay Akkaya.
    "Das Problem betrifft aber nicht nur die Zeitungsinhaber oder Journalisten, die jetzt ihre Arbeit verlieren können. Es ist ein öffentliches Problem."
    Auch Bücher und sogar das Toilettenpapier sind um bis zu 50 Prozent teurer geworden. Selbst der Staat ist betroffen: Die Resmi Gazete, das Amtsblatt, wird seit Mitte September aus Papierspargründen nicht mehr gedruckt. Ergün Atalay, Präsident von Türk IS, dem größten Dachverband der Türkischen Industriegewerkschaften Unterstützung von Seiten des Staates:
    "Die Schäden, die die Importkosten angerichtet haben, müssten durch einen staatlichen Fond ausgeglichen werden. Ich sehe auch die Banken in der Pflicht. Sie müssten den Zeitungen zu günstigen Bedingungen Kredite geben bis die Krise vorbei ist."
    Papierfabriken sind mittlerweile zum Museum geworden
    Auf kurz oder lang müsse Papierproduktion wieder in staatliche Hände, fordern Gewerkschaftler und Vertreter der Papierindustrie einstimmig. Der Staat aber scheint noch kein Interesse daran zu haben, wieder in die Branche einzusteigen. Vor gut zehn Jahren hat man die letzte eigene Papierfabrik privatisiert. Die Sorgen der Industrie wurden damals nicht ernst genommen, beschwert sich Erdal Sükan vom Verband der Papierindustrie.
    "Wir wollten, dass die Firmen nur unter Bedingungen verkauft werden, die die nötigen Investitionen sichern. Der Staat hat sie aber nach dem Motto 'Verkaufen und loswerden' privatisiert."
    Weil es vor Jahren noch sehr günstig war, Papier und Zellulose zu importieren, lohnte das Geschäft irgendwann nicht mehr und die Fabriken wurden geschlossen. Eine der alten Papierfabriken ist mittlerweile zum Museum geworden. Ob den Zeitungen nun ein ähnliches Schicksal droht? Aslan Özdemir von der Le Man ist sich nicht sicher. Die Redaktion plane nur noch von Monat zu Monat.
    "Ich weiß nicht, warum wir überhaupt weitermachen. Es ist für uns keine Frage der Ehre, wir könnten uns auch andere Jobs suchen, manche haben das schon getan. Vielleicht sind wir ja verrückt!?"
    Solange es Menschen gibt, die die Zeitung noch lesen, werde jeden Mittwoch eine neue Ausgabe erscheinen, verspricht Özdemir – auch wenn die Le Man in ein paar Wochen so klein sein könnte, dass sie locker in eine Hosentasche passt.