Archiv


"Krise ist immer"

Das Motto des Steirischen Herbstes "Krise ist immer" lässt sich zufällig auf die Situation dieses 37 Jahre alten Avantgardefestivals beziehen, das zurzeit mit einer finanziellen Depression kämpft. Das wirkt sich aufs Programm aus, außer einer Musiktheateruraufführung der Komponistin Olga Neuwirth gibt es nur drei neue Theaterstücke. Zwei davon wurden am Wochenende Premiere, Kathrin Rögglas "junk space" und Gerhild Steinbuchs "Nach dem glücklichen Tag".

Von Susanne Lettenbauer |
    Wie gut, dass es Krisen gibt. Theater ist Krise, lautet ein Bonmot Heiner Müllers und es könnte fraglos über den Theaterwerken des diesjährigen steirischen Herbstes stehen. Wenn wir zum Beispiel in ein Theater gehen und die Vorstellung mangels Karte im Foyer verbringen müssen – ist das Krise? Das Draussen-zu-stehen, Nicht-dabei-zu sein? In der Kälte zu stehen, womit Herbstchef Peter Oswald diesmal nicht nur die zwischenmenschliche Kälte, meint, wie sei Gerhild Steinbuch in "Nach dem glücklichen Tag" beschreibt, sondern ganz konkret eine begehbare Kältekammer im Grazer Literaturhaus mit minus 110 Grad?
    In Kathrin Rögglas neuem Werk junk space unter der Regie von Tina Lanik beginnt die Krise mit der Angst:

    Das Geräusch eines startenden Flugzeuges macht die sieben Teilnehmer eines Flugangstseminars wahnsinnig. Erst recht der Gong zum Öffnen und Schliessen des Sitzgurtes. Sie hocken verängstigt zwischen diesen Geräuschen und wollen nur eines: Ohne Lähmungserscheinungen, ohne Atemprobleme ein Flugzeug besteigen. Denn wenn sie es nicht schaffen, steht der Job auf der Kippe, steht das Ansehen auf der Kippe, ihre ganze Person. Aber Flugangstseminare sind nichts für Angsthasen . Sie sind härteste Sozialkunde, lautet eine Schlussfolgerung von junk space, das eine Bezeichnung für Räumlichkeiten mit wechselnden Events ist.

    In weiß verkleideten Räumen, die sich mit zunehmender Raumtiefe verengen und klaustrophobisch anmutende Gangways andeuten, lauert die Phobiengrube. In ihr werden die Grabenkämpfe der Angst ausgetragen: die des Herrn Personalmanagers Schneyder, des Vorruheständlers der IT-Branche Schmidt, der labilen Praktikantin Schneider, des Mittelständlers Schorf und der Chefsekretärin Schmidt. Immer begleitet von den zwillingshaft gekleideten Schultzes, die, dem klassischen Drama entsprungen ,beobachten, kommentieren, schlussfolgern:

    Für 900 vor- oder kofinanzierte Euro lassen sich die Seminarteilnehmer von dem unsichtbaren berühmten Seminarleiter Herrn Klohse "neu kallibrieren". Freiwillig. Umarmen ihre Probleme, ziehen "die Hemmschuhe aus". Doch der junk space potenziert die Flugangst zur Existenzangst, bis klar wird, dass die Angst nur eines fordert: Aufmerksamkeit von den anderen: "Hauptsache, ich bin gemeint". Und das kostet eben.

    Regisseurin Tina Lanik hat im Grazer Kristallwerk die persönliche Krise als Profilneurose inszeniert. Aus einem Text, der zwischen Seminarbeginn und Aufbruch zur praktischen Übung im Flugzeug, fast ohne Handlung auskommt. Einzig die oft tragikomischen Dialoge der Seminarpausen, die rasch zu Monologen der Wortsalven versprühenden Seminaristen mutieren, tragen die 100 Minuten Vorstellung. Und dank der exzellenten Schauspieler, allen voran Eduard Wildner und Leopold von Verschuer, trägt der Abend bis zur letzten Minute, unterstützt von einer zurückhaltenden Regie.

    Scharfzüngig charakterisiert Kathrin Röggla in ihrem neuen Werk den Zustand einer Gesellschaft, in der Ängste eine willkommene Abwechslung und Abgrenzung bieten, auch der Autorin, die in ihren letzten Werken durch eher wenig Neues aufgefallen war.

    Stiller und intensiver schwarzhumorige Satire wirkte das Krisenwerk von Gerhild Steinbuch, der jungen Grazer Autorin. Die verhängnisvolle Dreiecksgeschichte von Mutter, Tochter und deren Freund verläuft in kurzen schnellen Sätzen, hetzt leise zum ausweglosen Ende hin. Die Entfremdung von Mutter und Tochter, die Entfremdung von Tochter und Freund, die Begierde zwischen Mutter und Freund. Das war keine neue Geschichte, was im Grazer Theaterhaus in der Regie von Matthias Fontheim gezeigt wurde, nur die Eindringlichkeit der knappen Sprache - das hat beeindruckt.