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Krisenbewältigung

Vor kurzem noch gaben Autoren den Ton an, die den Staat zu immer massiveren Interventionen zur Eindämmung der Finanz- und Wirtschaftskrise animieren wollten. In den jüngsten Ausgaben der politischen Zeitschriften findet sich ein ganz anderer Tenor. Nicht jeder, der um Hilfe ruft, muss gerettet werden, so die Grundmelodie.

Von Norbert Seitz |
    "Wir zahlen nicht für Eure Krise!" wurde auf den jüngsten Wochenendprotestmärschen skandiert: Kippt die Stimmung im Volk? Ist man nicht mehr um jeden Preis bereit, die Arbeitsplätze maroder Unternehmen zu halten? Lasst die Banken doch pleite gehen, rät zum Beispiel der Ökonom Hermannus Pfeiffer in den "Blättern für deutsche und internationale Politik". Er misstraut der Formel von der "Systemrelevanz", unter die nach seiner Ansicht weder alle Universalbanken noch jede Spezialbank zu zählen seien. Allen Garantien des Staates zum Trotz scheint festzustehen:

    Die Überproduktionskrise in der Finanzwirtschaft wird - wie in der Automobilindustrie, wo ein Fünftel der Fabrikkapazitäten nutzlos sind - ohnehin "Opfer" fordern. Banken, denen nicht tatsächlich der Nachweis ihrer "Systemrelevanz" gelingt, sollte der Staat deshalb fallen lassen. Das wäre gut für die Volkswirtschaft und verschaffte dem Staat Spielraum, seine großzügige Neuverschuldung besser nachhaltig zu investieren.
    Aus Angst vor einem übermächtig werdenden Interventionsstaat wird auch wieder das Subsidiaritätsprinzip aus der christlichen Sozialethik beschworen. Der Philosoph Ottfried Höffe erinnert in der Zeitschrift "Merkur" daran, dass Subsidiarität Hilfe meint, aber nicht irgendeine, sondern eine zusätzliche, die freilich erst dann zum Zuge kommt, wenn die primären Hilfsinstanzen überfordert sind oder versagen.

    Aus Angst vor einem Paternalismus, der dem Gedanken des mündigen Bürgers widerspricht, und aus Sorge vor einer überbordenden Bürokratie verbindet sich hier ein bürgersensibles und zugleich Wahlfreiheit lassendes Angebot sozialstaatlicher Leistungen, einschließlich des Bildungs- und Gesundheitswesens, mit Anreizen zur Eigenverantwortung.
    Auf den jüngsten Protestmärschen wurde der herbeigeeilte Volkstribun Oskar Lafontaine mit Eiern beworfen. Die Partei Die Linke scheint derzeit programmatisch wie gelähmt - und dies ausgerechnet im Angesicht der größten Krise des Kapitalismus in der Geschichte der Bundesrepublik. Hinter ihrem expansiven Staatsinterventionismus und Keynes-Recycling steht "Die Linke" nackt da. Ebenfalls in den "Blättern" werden die drei Hauptströmungen der Partei unter die Lupe genommen:

    Den sogenannten Reformern hilft ihre im Berliner Senat mühsame Kompetenz als Fast-Konkurs-Verwalter in der neuen Situation nicht weiter; harte Haushaltssanierung ist eine derzeit kaum gefragte Kompetenz.
    Und die "kommunistische Plattform" um Sarah Wagenknecht?

    Der Gesinnungsfundamentalismus um die "Antikapitalistische Linke" mag sich vorübergehend bestätigt sehen; die in der Krise unabdingbare konkrete Problemlösungskompetenz dieser Strömung tendiert jedoch gegen Null.
    Und mit Blick auf Lafontaines Hausmacht, der gewerkschaftlichen Strömung um die alte WASG?:

    Hier stellt sich die Frage, was sie zwischen linkskeynesianischer Konsumorientierung und der 70er-Jahre-Sozialromantik zu bieten hat.
    Wenn schon nicht die marktradikale Orthodoxie auf der einen wie der Linkspopulismus auf der anderen Seite - wer hat dann die besten politischen Chancen, Vertrauen bei den Verunsicherten und Krisenopfern zu schöpfen? In der Zeitschrift "Cicero" sieht Chefredakteur Wolfram Weimer das Weltbild der 89er Generation durch den 11. September und die aktuelle Weltfinanzkrise erschüttert. Seine kühne These lautet: Der Zeitgeist bewege sich nach linken und liberalen Phasen in eine neo-autoritäre Richtung, geprägt durch einen sozialen Konservatismus, wodurch Moraldebatten wichtiger würden als Gerechtigkeitsfragen:

    Das Konservative fungiert als Damm der Alltagsvernunft und der Tradition, von Identität und Mythos. Konservative werden immer dann besonders gebraucht, wenn sich der permanente Modernisierungsprozess der Neuzeit allzu sehr beschleunigt und in Krisen überschlägt.
    Dies setzte freilich voraus, dass sich die Konservativen im Konflikt mit ihrer Kanzlerin erst mal einig darüber werden, wofür sie noch verlässlich stehen. Zumindest scheinen die Zeiten vorbei, da die siegreiche Marktwirtschaft mit einer Religion der Weltgesellschaft verwechselt wurde. In der Zeitschrift "Lettre International" weist Dirk Baecker nach, dass die These vom "Kapitalismus als Religion" aus soziologischer Sicht schon immer Nonsens war. Schließen wir also mit dem beruhigenden Befund, dass der Hauptunterschied zwischen Wirtschaft und Religion vor allem in der Art des Rechnens begründet liegt:

    Wir sagen damit nicht, dass Gott nicht rechnet, sondern wir sagen, dass er anders rechnet. Wir behaupten keine Welt des Kalküls auf der einen Seite, die neben sich keine andere Welt mehr duldet im Sinne eines Kapitalismus als Religion, sondern wir behaupten eine Differenz zwischen dem Kalkül Gottes und dem Kalkül des Kapitals.