Archiv


Krisenherd Amerika

Durch ihre ungebremste Gier hat die amerikanische Finanzwelt der weltweiten Wirtschaftskrise den Weg geebnet. Der Bostoner Professor Andrew J. Bacevich ist überzeugt, dass die USA an all ihren Krisen selbst schuld ist, und die Tage ihrer Großmacht gezählt sind.

Von Tom Goeller |
    Die amerikanische Image- und Finanzkrise, die angeblich den Anfang des Endes der Weltmacht einläutete, hat ihren Ursprung im verlorenen Vietnamkrieg vor 35 Jahren, glaubt Andrew J. Bacevich, Professor an der renommierten Universität von Boston. Und seitdem islamistische Terroristen die USA am 11. September 2001 angegriffen haben, kommt die Weltmacht gar nicht mehr zur Ruhe. Viele Amerikaner fragen sich, warum sich scheinbar die ganze Welt gegen sie verschworen hat, obwohl doch ihr Land nur Gutes für alle Menschen dieser Welt erreichen möchte. So nehmen sie es zumindest selbst wahr.

    In dieser seit Jahren anhaltenden Sinnkrise kommt ein Buch wie das von Bacevich vielen Zweiflern am amerikanischen Machtanspruch gerade recht. Bacevich spricht aus, was die amerikanische Bildungsschicht an der Ost- und Westküste des Kontinents ohnehin längst vermutet: die Zeit der militärischen und wirtschaftlichen Dominanz der USA auf der Weltbühne geht zu Ende; und westeuropäische Leser fühlen sich durch die Schlussfolgerungen des Professors in ihrem Anti-Amerikanismus bestärkt, denn sie lesen gerne aus den Zeilen des Autors, was sie ohnehin längst gewusst haben und dass der vermeintliche Niedergang der USA gleichzeitig den europäischen Aufstieg zu jenen Höhen prognostiziert, aus dem Amerika gerade herabzufallen droht.

    Bacevich spielt mit dieserart Erwartungshaltung. Deshalb seien jene deutschen Leser gewarnt, die ihr Amerika-Feindbild auf jeder Seite bestätigt finden. Zwar bedient Bacevich ganz offenkundig sämtliche linksliberalen inneramerikanischen und europäischen Vorurteile, was für einen Politikwissenschaftler ungewöhnlich ist. Gleichzeitig führt er dem aufmerksamen Leser jedoch vor Augen, dass seine Schlussfolgerungen eine gewisse Allgemeingültigkeit für die gesamte westliche Welt – von Europa, über Australien bis Japan - in sich tragen. Ersetzen Sie einfach mal das Wort "Amerikaner" durch "die Deutschen":

    "Die Amerikaner, die sich selbst als ein friedliebendes Volk verstehen, beharren darauf, dass die Konflikte, in die sie sich verwickelt sehen, ohne ihr Zutun entstanden sind. (...) Von ihren wohlwollenden Absichten überzeugt, schieben sie die Verantwortung für Kriege reflexartig anderen in die Schuhe."

    Doch natürlich stellt Bacevich genau solche Annahmen infrage. So glaubt er beispielsweise, dass die Handlungen von Saddam Hussein und Osama Bin Laden alleine nicht erklären können, warum sich die Vereinigten Staaten in einem scheinbar endlosen Militärkonflikt verstrickt finden. Er hält aber auch jene Pseudo-Argumente für kurzatmig, die immer wieder gegen Präsident George W. Bush vorgebracht werden: dass die USA aus persönlicher Rachsucht ihres Präsidenten oder als langer Arm gieriger Erdölbosse Krieg gegen Saddam geführt haben. Seine Erklärung lautet:
    "Die Impulse, die die Nation in einen Krieg ohne Auswege und ohne absehbares Ende gestürzt haben, kommen von innen.
    (...) In ihrem Streben nach Freiheit sind die Amerikaner Verpflichtungen eingegangen und haben Schulden angehäuft, deren Erfüllung und Abtragung ihnen zunehmend schwer fällt."

    Das Bemühen, eine ständig steigende Verbrauchernachfrage zu befriedigen, habe in den letzten 60 Jahren eine tiefe Abhängigkeit erzeugt, sei es vom Import-Öl aus der arabischen Welt, den billigen Konsumgütern aus Asien, oder den Krediten aus China. Bacevich:

    "Wir erwarten, dass die Welt dem American way of life entgegenkommt. Das daraus resultierende Anspruchsdenken hat weitreichende Folgen für die Außenpolitik. Um es auf den Punkt zu bringen: Nicht nur das Freiheitsverlangen der Amerikaner ist gewachsen, sondern auch ihr Hang zum Imperium."

    Der bislang einzige Präsident, der die Folgen der konsumorientierten Abhängigkeit der USA erkannt habe, sei Jimmy Carter gewesen, jener glücklose Präsident, der 1980 nach nur vier Jahren wieder das Weiße Haus verlassen musste. Bacevich weist den bemerkenswerten Weitblick Carters nach, indem er aus einer hierzulande kaum wahrgenommenen Rede des Präsidenten zitiert. Jimmy Carter zur Lage der Nation im Jahr 1979:

    "In einem Land, das stolz war auf harte Arbeit, starke Familien, eng verbundenen Gemeinschaften und unserem Glauben an Gott huldigen zu viele der Maßlosigkeit und dem Konsum. (...) Der Congress wird von Hunderten finanzstarker und einflussreicher Lobbyistengruppen manipuliert. (...) Wir stehen an einem Wendepunkt in der Geschichte. Wir müssen uns zwischen zwei Wegen entscheiden. Dem einen Weg liegt ein falsches Freiheitsverständnis zu Grunde, das Recht, uns gegenüber anderen Vorteile zu verschaffen. (...) Die Alternative (ist) die Wiederherstellung der amerikanischen Werte."

    In diesem Tenor argumentiert auch Bacevich durchgängig von
    der ersten bis zur letzten Seite, und zitiert dabei immer wieder den deutschstämmigen protestantischen Theologen Reinhold Niebuhr. Bacevich bezeichnet Niebuhr sogar als "amerikanischen Propheten" und legt dem neuen Präsidenten Barack Obama in seinen Schlussworten nahe, sich mit Niebuhr erneut auseinanderzusetzen:

    "Vor über 50 Jahren warnte Reinhold Niebuhr die
    Amerikaner vor (...) Träumen, zu Herren der Geschichte zu werden. Lebte er noch, würde Niebuhr Obama wahrscheinlich auffordern, die heuchlerischen Klischees fahren zu lassen, die schon viel zu lange den ernsthaften politischen Diskurs ersetzt haben. Er würde Obama auffordern, die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass für die Klemme, in der sich das Land heute befindet, vor allem unsere Torheit verantwortlich ist."


    Das alles klingt recht einleuchtend. Doch mit welchen Fakten belegt der Bostoner Professor seine knackigen Aussagen? Eigentlich mit keinen. Er argumentiert 236 Seiten lang mit seinen Einschätzungen, angereichert mit einigen fast unbekannten Zitaten. Das alles liest sich flüssig und eingängig, aber seine Schlussfolgerungen entbehren in der Regel der Nachprüfbarkeit. Nur - Bacevich bemüht sich gar nicht erst um Objektivität. Sein Buch ist vielmehr persönlich motiviert, denn sein Sohn fiel als Oberleutnant der US-Army vor zwei Jahren im Irak; ihm hat er dieses Buch gewidmet.

    Wenn man also den Anspruch einer wissenschaftlich haltbaren Analyse an das Buch fallen lässt, wenn man sich stattdessen auf den Plauderton des amerikanischen Amerika-Kritikers einlässt und nicht alle seine Schlussfolgerungen ernst nimmt, dann erfährt man ein Lesevergnügen, wie es hierzulande bei politischer Literatur selten zu finden ist.

    Bacevichs Buch ist ein Lehrstück für den deutschen Journalismus, wie man scharfe USA-Kritik ohne die hierzulande übliche Verbissenheit zum Ausdruck bringen kann. Hierin ist er eben wieder ganz jener überlegene Amerikaner, den er eigentlich kritisiert. Ein letztes Beispiel:

    "Es steht außer Frage, dass (Präsident George W. Bush) und seine Berater (...) erhebliche Schuld an der misslichen Lage tragen, in der die USA sich derzeit befinden. Doch wer ihnen die vorrangige Verantwortung anlastet, schreibt ihnen eine historische Bedeutung zu, die sie nicht verdient haben."

    Perfekt auf den Punkt gebracht, oder?

    Andrew J. Bacevich: "Grenzen der Macht - Das Ende des amerikanischen Traums?", Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2009, 240 Seiten, 20 Euro (ISBN: 3455501176)