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Krisenprojekt mit Nachfolger?

Raumfahrt. - Im November ist es bereits zwei Jahre her, dass die ersten Astronauten in die internationale Raumstation eingezogen sind. Auch wenn es noch Jahre dauern wird, bis die ISS vollständig zusammengeschraubt ist – sie ist längst keine Vision mehr, sondern Realität. Aber was heute existiert wird irgendwann auch der Vergangenheit angehören. Und deshalb machen sich die Vordenker in den Think Tanks der amerikanischen Weltraumbehörde NASA schon heute so allerhand Gedanken, was denn einmal nach der ISS kommen könnte. Eines der visionären Konzepte wurde jetzt auf dem in Houston vorgestellt: Eine Raumstation als Verbindungstür zwischen Erde und Mond.

    Von Ralf Krauter

    Doug Cooke ist ein entschlossen dreinblickender Mann um die 50. Die NASA bezahlt ihn dafür, dass er weiter vorausdenkt als andere. Als Leiter des Advanced Development Office im Johnson Space Center in Houston, ist es Cookes Job, Visionen für die Zukunft der bemannten Raumfahrt zu entwickeln. Konzepte sozusagen, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat. Das derzeit wohl konkreteste davon klingt wie eine Mischung aus Stargate und Deep Space Nine und hört auf den Namen lunar gateway, was übersetzt in etwa einem Tor zum Mond entspricht:

    Die Idee dahinter ist, dass wir gerne eine Raumstation an einer Stelle haben würden, wo sie uns für ganz unterschiedliche Missionen nützlich ist. Wir haben überlegt, was sind die drängenden wissenschaftlichen Fragen in der Weltraumforschung und welche Orte müssen wir erreichen, um Antworten auf diese Fragen zu finden. Lunar Gateway ist ein Ort, der als Ausgangspunkt für Missionen in ganz unterschiedliche Richtungen dienen kann. Und so kam es zu dem Konzept.

    Das Tor zum Mond steht für eine Raumstation, die als Startpunkt für Ausflüge in die Umgebung dienen kann, etwa für die weitere Erforschung des Mondes, oder für Flüge zum Mars. Das entscheidende dabei: Dieser Außenposten wird nicht irgendwo positioniert, sondern an einem genau definierten, besonderen Punkt im All, den die Experten L1 nennen. Cooke:

    Das wichtigste Merkmal von L1 ist, dass sich an diesem Ort die Anziehungskräfte von Erde und Mond genau aufheben. Die Gravitation an dieser Stelle ist praktisch gleich Null. Deshalb können wir von dieser Stelle aus mit gleichem Energieaufwand jeden Punkt auf dem Mond erreichen. Das ist ein entscheidender Vorteil: Bei den Apollo-Missionen mussten wir ja in eine Umlaufbahn um den Mond einschwenken. Das hatte zur Folge, dass wir nur an bestimmten Punkten auf der Oberfläche landen konnten. Vom lunar gateway aus kommen sie überall hin.

    Also zum Beispiel auch zu den Polen des Mondes, für die sich die Forscher wegen möglicher Wasservorkommen besonders interessieren. Aber auch für zukünftige Weltraumteleskope wäre eine Raumstation am magischen Ort L1 der perfekte Startpunkt. Denn von hier könnten sie mit wenig Treibstoff an andere Stellen in unserem Sonnensystem gelangen, um dann bei Wartungsbedarf einfach wieder zurückgeholt zu werden. Bei Missionen zum Mars schließlich könnte das Tor zwischen Erde und Mond die Kommunikation deutlich erleichtern, weil beschleunigen. Cooke:

    Von L1 braucht ein Licht- oder Funksignal nur 3,6 Sekunden zum Mars. Das macht gut sieben Sekunden für den Hin- und Rückweg. Dadurch wird es möglich, Roboter auf der Marsoberfläche beinahe in Echtzeit interaktiv zu steuern. Heute sind wir da noch weit davon entfernt. Von der Erde braucht ein Signal über 20 Minuten bis es auf dem Mars ankommt. Bis wir Antwort bekommen, vergehen 40 Minuten. Das ist etwa so, als ob wir per Email kommunizieren.

    Was den Aufbau des Lunar Gateway angeht, der soll nach Vorstellung des Visionärs Cooke so simpel sein, dass die Station mit einer einzigen Rakete ins All geschossen werden kann. Langes Zusammenbasteln wie bei der internationalen Raumstation kommt schon aus Kostengründen nicht in Frage. Deshalb setzen die NASA-Vordenker auf eine aufblasbare Struktur. Die könnte die Form einer zusammengedrückten Kugel haben, hätte einen Durchmesser von zehn Metern und würde sieben Astronauten Platz bieten. Dass so etwas prinzipiell machbar wäre, haben Drucktest mit einem Modell bereits bewiesen. Und auch das Auffalten solch eines Dings im Vakuum haben die NASA-Forscher bereits erfolgreich versucht. Doch alle Vorarbeiten hin oder her: Ob Lunar Gateway jemals gebaut wird, steht in den Sternen. Schließlich sei es bislang ja nur ein schönes Konzept, aber kein konkretes Projekt betont Doug Cooke. Aber wenn es denn käme, das grüne Licht für die Entwicklung? Auch hier gibt sich Cooke ganz als Visionär:

    In acht bis zehn Jahren wären wir sicher in der Lage, so ein Ding zu bauen.