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Krishnas Vision

Software statt Schlangenbeschwörer, Unternehmer statt Unberührbare: Das Schwellenland Indien entwickelt sich zur Hightech-Nation. Die Computerfachleute im boomenden Bangalore sind weltweit gefragt. Mit ehrgeizigen Plänen will Indien nun auch in den Bereichen Raumfahrt, erneuerbare Energien und Biotechnologie in die erste Liga aufsteigen.

Von Ralf Krauter | 11.11.2007
    "Egal was man über Indien behauptet, das Gegenteil ist genauso wahr."

    Zitat Joan Robinson, Ökonomin.

    Wer Indiens Zukunft sehen will, muss früh aufstehen, um rechtzeitig anzukommen. Wie ein zäher Brei wälzt sich der Verkehr entlang der mehrspurigen Ausfallstraße zum indischen Mekka der Informationstechnologie. Boomtown Bangalore. Im Chaos auf den Straßen dauert der Weg in die "electronic city" im Süden der Stadt meist mehr als zwei Stunden.

    "Krishnas Vision - Indiens Aufstieg zum Hightech-Land
    Ein Reisebericht von Ralf Krauter"

    Der Monsunregen hat den Asphalt in eine Seenlandschaft verwandelt. Tollkühne Rikscha-Fahrer stoßen in kleinste Lücken vor. Offenbar kennt Sanskrit kein Wort für Sicherheitsabstand. Kühe trotten durch Abgasschwaden über die Fahrbahn, auf dem Seitenstreifen zieht eine Kamelkarawane vorbei.

    "Das 21. Jahrhundert soll das indische Jahrhundert werden."

    Zitat Manmohan Singh, indischer Premierminister.

    Überall Baustellen. Auf Brachland dazwischen hausen Wanderarbeiter unter Plastikplanen. Frauen in bleichen Saris waschen Kleider im gelben Wasser einer Drainageleitung. Dann geht es rechts ab in eine andere Welt: die "electronic city". Keine Schlaglöcher mehr, dafür englischer Rasen links und rechts, Neubauten aus Stahl und Glas und Parkplätze voller Mittelklassewagen.

    "Silicon Valley hat kein Exklusiv-Recht mehr auf Innovationen. Indien wird bald viel mehr patentierte Software liefern."

    Zitat S. Ramadorai, Chef des indischen IT-Konzerns TCS.

    "Infosys was founded 1981 by seven founders. These were not people who knew each other before...”"

    Die Pressesprecherin von Infosys würde als Prinzessin in einem Bollywood-Film durchgehen. Auch sonst scheint man hier wenig dem Zufall zu überlassen. Besucher empfängt man in einem noblen Konferenzraum, in dem automatische Kameras jeden Fragesteller auf riesige Monitore beamen.

    Die Softwareschmiede Infosys gilt als Symbol des indischen Wirtschaftswunders. 1981 als Garagenfirma gegründet, beschäftigt Infosys heute weltweit über 75.000 Mitarbeiter, erzählt die Pressesprecherin. Den Durchbruch brachte die Rechnerumstellung zur Jahrtausendwende. Seitdem wächst der Gewinn jährlich zweistellig. Die meisten Kunden sitzen in den USA. In Deutschland zählen neben der Deutschen Bank auch Adidas und Daimler dazu. Infosys wickelt für sie komplette Geschäftsprozesse ab, von der Buchhaltung bis zur Personalverwaltung. Einer der Vorstandsvorsitzenden erzählt von strategischen Allianzen mit Microsoft und SAP. Und dann sagt er diesen Satz: "Früher kamen die Leute nach Indien, um den Tadsch Mahal zu besichtigen. Heute kommen sie, um Infosys zu sehen."

    "My name is Guirish. I am responsible for the RFID and pervasive solutions practice. I’ve been with Infosys for about 12 years now...”"

    Um zu demonstrieren, dass man auch bei Forschung und Entwicklung in der ersten Liga spielt, steigt der Funketiketten-Experte Guirish in eins der weißen Golfwägelchen, die über den Infosys-Campus kurven, vorbei an Swimming Pools und einem Golfplatz. Die Atmosphäre erinnert an eine kalifornische Elite-Uni. Durchschnittsalter der Mitarbeiter: 26.

    "”Dieser Campus ist ein Glücksfall. Mehr als 14 000 junge Menschen arbeiten hier und wir haben viele Einrichtungen, die denen unserer Kunden ähneln. Es gibt hier zum Beispiel einen großen Supermarkt. Wenn wir nun etwa eine neue Technologie für Lagerhaltung entwickeln, dann können wir sie in diesem Laden direkt testen und unseren Kunden so zeigen, dass sich die Investition lohnen könnte."

    Lebenslabors – so haben die Infosys-Leute diese Praxislabors getauft. Die Tiefgarage ist eines davon: Funketiketten an den Autos regeln, wer hinein darf und steuern ein Leitsystem, das zur nächsten Parklücke weist. Ein Bekleidungsgeschäft auf dem Weg zur Kantine ist ein anderes Beispiel.

    "”So there’s a mirror here. And this product has a tag on it.”"

    Guirish nimmt ein rotes Hemd von einem Ständer und hält es vor einen speziellen Spiegel. Nach ein paar Sekunden erscheint auf einer Anzeige Produktname und Preis – und der Verweis auf eine dazu passende beige Hose. Ein elektronischer Aufkleber am Hemd, der bei Massenproduktion unter 20 Cent kosten könnte, macht’s möglich.

    "”… it’s a red shirt. It talks to you about a trouser that goes well with this.”"

    Funketiketten, vernetzte Computer, Mobilfunk der vierten Generation – bei Infosys tüftelt man an vielem, womit sich künftig einmal viel Geld verdienen lassen könnte. Inwieweit das Unternehmen dabei heute schon eine technologische Vorreiterrolle spielen kann, ist schwer zu beurteilen. Doch die Botschaft aus der Elektronikstadt ist klar: Mit uns muss man rechnen. So sieht das auch Roland Haas, der von 2001 bis 2006 Chef des Entwicklungslabors von Daimler-Chrysler in Bangalore war.

    "”Wir werden sicher in Zukunft viel mehr Patente sehen, viel mehr Technologien, die auch originär in Indien entwickelt wurden, als in den letzten zehn Jahren.""

    Roland Haas unterrichtet am indischen Institut für Informationstechnologie, kurz IIIT, einer vor wenigen Jahren gegründeten Elite-Uni neben dem Infosys-Campus, bei der Ausbildung, Forschung und industrielle Anwendung eng verzahnt sind. Ein Novum in der indischen Forschungslandschaft, wo das Gros der Universitäten keine nennenswerten Forschungsaktivitäten betreibt. Wissenschaft auf internationalem Niveau findet vor allem an den staatlichen Forschungszentren statt, den Weg in die Praxis finden die Ergebnisse aber nur selten.

    Laut Weltbankbericht vom Oktober 2007 ist diese Zersplitterung der Wissenslandschaft mit Schuld daran, dass Indien sein enormes Innovationspotenzial bislang nur unzureichend nutzt. Das IIIT spielt deshalb auch eine Vorreiterrolle: Mehrere Firmengründungen - darunter das in den USA sehr erfolgreiche Unternehmen Tutor Vista, das Schülernachhilfe via Internet anbietet – belegen, dass das Konzept aufzugehen scheint. Roland Haas:

    "”Man kommt gar nicht um Bangalore herum, weil wenn es um Technologie geht und das Know-how, dann hat sich Bangalore zu einem weltweit führenden Zentrum entwickelt. Und das heißt trotz Infrastruktur und auch trotz aufsteigender Gehälter in Indien – das heißt auch die Kostenvorteile schmelzen – ist die Industrie jetzt fasziniert von dem Potenzial und dem Know-how in Bangalore. Und das zieht sie an.""

    Indiens Universitäten produzieren Jahr für Jahr zigtausende Ingenieure und Software-Entwickler. Früher gingen viele ins Ausland, heute finden sie in Bangalore und anderswo gut bezahlte Jobs. In den coolen Cafés längs der Mahatma-Gandhi-Road kann man sie sitzen sehen. Junge Programmierer, Callcenter-Mitarbeiter und andere Profiteure des Aufschwungs, die mit dem neuesten Handy am Ohr Frapuccino schlürfen.

    Dem Raumfahrtminister Madhavan Nair wäre es lieber, wenn sich mehr davon gegen das schnelle Geld entschieden. Der Chef der indischen Weltraumbehörde sitzt in einem gesicherten Gebäude mit großen Satellitenschüsseln auf dem Dach und hat Nachwuchssorgen. Der Boom der Software-Industrie habe es schwieriger gemacht, gute Leute für Raumfahrttechnik und Weltraumforschung zu begeistern, sagt Madhavan Nair. Die aber werden dringend gebraucht, um die ambitionierten Pläne umzusetzen.

    "”Wir haben in den vergangenen 30 Jahren umgerechnet zwei bis drei Milliarden US-Dollar in die Raumfahrt investiert. Der daraus entstandene Mehrwert für unser Land ist mehr als doppelt so groß.""

    Madhavan Nair muss öfter erklären, warum sich ein Schwellenland, in dessen Großstädten täglich der Strom ausfällt und in dem zig Millionen Menschen Analphabeten sind, den Luxus leistet, nach den Sternen zu greifen. Routiniert zählt er dann den praktischen Nutzen der Raumfahrt auf: Sieben Telekommunikationssatelliten ermöglichen heute neun von zehn Indern Fernsehempfang; Telemedizin und Fernlehrgänge verbessern ärztliche Versorgung und Schulwesen in abgelegenen Gegenden; und die Daten der sechs Erdbeobachtungssatelliten steigern die Erfolgsquote von Brunnenbohrungen. Also keine Aufholjagd im All, um zum übermächtigen Nachbarn China aufzuschließen, das bereits Taikonauten in den Orbit geschossen hat? Nair:

    "”Wir liefern uns kein Wettrennen mit irgendjemandem. Treibende Kraft des Raumfahrtprogramms sind allein die Bedürfnisse unseres Landes. Wir tun einfach das, was gut für Indiens Entwicklung ist. Sollten wir dadurch nebenbei zur Weltspitze aufsteigen, hätten wir natürlich nichts dagegen.""

    Gute Chancen rechnet man sich künftig als Anbieter von Satellitenstarts aus. Indien hat eine Trägerrakete, die mittelschwere Satelliten in 1000 Kilometer hohe Umlaufbahnen schießen kann – und zwar 20 bis 30 Prozent billiger als die Konkurrenz. Bei der weniger ausgereiften Schwerlastrakete, die einmal bis zu zweieinhalb Tonnen Nutzlast in geostationäre Orbits befördern soll, ist man bislang allerdings noch auf Technik aus dem Ausland angewiesen. Nair:

    "”Die dritte Stufe unserer Schwerlastrakete basiert auf russischer Technologie. Doch wir arbeiten intensiv an einem eigenen Raketenmotor, der ein gekühltes Gemisch aus Wasserstoff und Sauerstoff verbrennt. Der erste Flugtest soll bis Mitte 2008 erfolgen. Wenn alles funktioniert, stehen wir bald auch auf diesem Gebiet technologisch auf eigenen Beinen.""

    Schon im ersten Quartal 2008 soll die indische Mondsonde "Chandrayaan" abheben. Sie soll den Mond umkreisen und kartieren. Die Pläne für einen ferngesteuerten Mondrover liegen bereits in der Schublade. Und selbst bemannte Missionen sind nicht länger tabu: Falls die Regierung grünes Licht gibt, könnten so um 2015 die ersten Astronauten in einer indischen Raumkapsel die Erde umrunden.

    "Wenn Indien keinen Weg findet, mehr von jenen mitzuziehen, die erwerbsunfähig, unterqualifiziert und unterversorgt sind, wird es wie eine Rakete abheben, aber wegen mangelnder Schubkraft schnell wieder abstürzen."

    Auszug aus dem Globalisierungs-Bestseller "The world is flat" des US-Autors Thomas Friedman.

    Man muss in Indien nie lange suchen, um Menschen zu finden, deren Lebenswelt Lichtjahre von jener der gut ausgebildeten Elite entfernt ist, die die schicken Viertel der Großstädte bevölkert und Indiens Zukunft plant. Ein, zwei Stunden Fahrt genügen, damit die Straßen wieder zu schlammigen Pisten werden. Es ist eine Zeitreise in die Gegenwart der Mehrheit der 1,1 Milliarden Menschen auf dem Subkontinent.

    "In the villages, we find a lot of problems. We take them back to the research station and address those issues.”"

    Suhas Wanis Job ist es, der Landbevölkerung in den 600.000 Dörfern Indiens Wege aus der Armut aufzuzeigen. Seit über 20 Jahren arbeitet der kleine Mann mit dem schwarzen Schnauzer für Icrisat. Das internationale Institut für Agrarforschung in den semi-ariden Tropen liegt am Rand der Millionenstadt Hyderabad, eineinhalb Flugstunden nördlich von Bangalore. Auf dem riesigen parkähnlichen Areal arbeiten 800 Forscher.

    Suhas Wani ist heute unterwegs auf dem Land, bei einem seiner Vorzeigeprojekte. Schwitzend geht er einen Graspfad entlang, der ein Maisfeld von einem Baumwollacker trennt, zeigt auf das üppige Grün der umgebenden Hügel – und erklärt, dass es hier in ein paar Wochen ganz anders aussehen wird. Wani:

    ""In der Trockenzeit ist das eine Oase in der Wüste. Auf den kleinen Feldern hier wächst das Gemüse, aber all das Grün daneben ist dann verdorrt."

    Ein System aus kleinen Staudämmen und Kanälen sorgt dafür, dass das Wasser der Monsunregen heute nicht mehr ungehindert ins Tal rauscht, sondern die Grundwasserspeicher der höher gelegenen Dörfer auffüllt. Dadurch liefern die Brunnen nun auch während der Trockenzeit Wasser für die Felder. Suhas Wani hat das von Regierung, GTZ und Weltbank geförderte Entwicklungsprojekt betreut.

    "Wissenschaft für die Menschen, das ist unser Motto. Alles, was wir bei Icrisat tun, soll die Lebensumstände der ländlichen Bevölkerung verbessern. Früher haben wir häufig Forschung um der Forschung willen betrieben. Heute steht der Nutzen für die Menschen im Vordergrund."

    Die wissenschaftliche Bilanz des Agrarforschungszentrums, das 2006 einen Jahresetat von 28 Millionen US-Dollar hatte, kann sich sehen lassen. In Icrisats Gewächshäusern wurden 95 verbesserte Saatgutarten gezüchtet: Dürreresistente und ertragreiche Varianten wichtiger Grundnahrungsmittel wie Hirse, Erdnuss, Strauch- und Kichererbse, die Bauern heute in den Trockengebieten Asiens, Afrikas und Südamerikas anbauen.

    Die Agrarexperten aus Hyderabad sind international vernetzt und wurden mehrfach ausgezeichnet. Indische Forschung auf Weltniveau. Doch in der Vergangenheit gingen die Bemühungen allzu oft an den Bedürfnissen der Menschen vorbei. Beispiel grüne Gentechnik: Obwohl Icrisat auch auf diesem Gebiet lange sehr aktiv war, darf in Indien bislang nur die genoptimierte Baumwolle des US-Konzerns Monsanto angebaut werden. Teures Saatgut und schlechte Ernten haben in der Vergangenheit wiederholt Kleinbauern in die Schuldenfalle getrieben – manche sogar in den Selbstmord.

    Bei Icrisat hat man daraus seine Lehren gezogen. Grüne Gentechnik werde jetzt nur noch in wohl begründeten Ausnahmefällen eingesetzt, betonen die Forscher. Ansonsten setzt man auf konventionelle Zucht, optimierte Düngung und clevere Bewässerungssysteme.

    In Suhas Wanis Vorzeigedorf, gut eine Autostunde von Icrisat entfernt, haben sich unter ein paar Bäumen etwa 30 Bewohner neben einem Ochsenkarren versammelt. Männer mit gebügelten Hemden und Plastiksandalen. Frauen in bunten Saris, mit rotem Punkt auf der Stirn. Der Chef des Wassermanagement-Projektes im Dorf erzählt, dass die Ernteerträge seit Projektbeginn 1999 stark gestiegen sind. Wani:

    "”Er sagt, sein jährliches Einkommen sei heute um 50 Prozent gestiegen. Genauere Zahlen bekommen sie hier nie, weil die Leute Angst haben, höhere Steuern zahlen zu müssen. Unseren Analysen zufolge stieg das durchschnittliche Familieneinkommen innerhalb von drei Jahren um knapp 80 Prozent.""

    Ein Teil der Überschüsse fließt nun in strategische Kleinprojekte. In mit Würmern versetzten Kompost-Bottichen entsteht so neuerdings Biodünger. Auch eine mobile Besamungsstation für Kühe wurde eingerichtet. Suhas Wani zeigt auf einen jungen Mann mit einer verbeulten Milchkanne. Darin steckt ein Glasröhrchen mit tiefgekühltem Bullensperma:

    "Früher mussten die Bauern hier stundenlang ins nächste Dorf laufen, um eine Kuh besamen zu lassen. Heute rufen sie diesen Mann an. Der springt auf sein Motorrad und erledigt das direkt auf der Türschwelle. Weil die Samen von speziellen Milchkuhrassen stammen, ist die Milchproduktion im Dorf so stark gestiegen, dass heute täglich 300 Liter an einen Händler verkauft werden."

    Es ist eine Spirale des Fortschritts: Weg von der Subsistenzwirtschaft, hin zu bäuerlichen Betrieben, die mit dem Verkauf ihrer Produkte Geld verdienen. Nach Meinung von Suresh Babu, vom Institut für erneuerbare Energien Teri in Neu Delhi, könnten dazu künftig auch Energiepflanzen und Biodiesel gehören.

    "”Zwei Drittel aller Inder sind Bauern. Die Botschaft an sie muss lauten, in Zukunft nicht nur Nahrung anzubauen, sondern auch Treibstoff und Energie.""

    Suresh Babu ist Ingenieur und hat viele Jahre in den USA gearbeitet. 2006, nach seiner Pensionierung, kam er nach Indien zurück, um am Teri die Technologie-Entwicklung zu leiten. Kein leichter Job, räumt er ein.

    "Wir reden über ein Land mit über einer Milliarde Menschen, das von großen wirtschaftlichen Gegensätzen geprägt ist. Viele hier machen sich eher Sorgen, was sie am nächsten Tag essen werden, als darüber, wie viel Kohlendioxid sie ausstoßen."

    Indien ist der fünftgrößte Energieverbraucher weltweit. Sein Energiehunger wächst jährlich um zehn Prozent. Um den Strombedarf zu decken, will die Regierung neue Atomkraftwerke bauen, die mittelfristig zehn bis 15 Prozent der Elektrizität liefern. Der Einlösung ihres Versprechens, bis 2012 auch alle Dörfer mit Strom zu versorgen, wird sie das kaum näher bringen. Weil das lückenhafte Leitungsnetz schon heute ständig überlastet ist, muss die Elektrifizierung der Dörfer dezentral erfolgen, sagt Suresh Babu, durch Energieernte vor Ort. Babu:

    "”Biomasse wird eine zentrale Rolle spielen. Außerdem natürlich ein Mix aus Wind- und Solarenergie. Auf vielen Feldern sehen sie heute schon solargetriebene Pumpen für die Bewässerung. Ein zweiter Durchbruch, der aber noch aussteht, wären solar-betriebene Kühlhäuser. Heute verfault etwa ein Drittel des Gemüses, bevor es auf den Markt kommt. Mit besseren Kühlanlagen ließe sich das ändern.”"

    Suresh Babu schätzt, dass regenerative Energien in Indien bis 2020 zehn Prozent des Strombedarfs decken könnten - die Hälfte davon mit Windrädern. Mit über 7000 Megawatt installierter Windkraftleistung belegt Indien schon heute Platz vier weltweit. Und durch die Übernahme des deutschen Windkraftanlagenbauers RePower ist der indische Hersteller Suzlon im Sommer 2007 zum global player aufgestiegen. Der Boom der regenerativen Energien scheint unaufhaltsam.

    Suhas Wani, vom Agrarforschungsinstitut Icrisat hat den letzten asphaltierten Weg vor einer halben Stunde hinter sich gelassen. Über rötliches Geröll hat er den Jeep an dürren Kühen vorbei auf eine Anhöhe gequält. Auf einem Fußballfeld großen Areal stehen Sträucher mit großen, ledrigen Blättern. Der Boden ist steinig, die Sonne brennt.

    "Jatropha-Bäume sind dürreresistent und ihre Samen enthalten viel Öl, das nicht für den Verzehr taugt. Das macht die Pflanzen interessant für die Biodiesel-Herstellung, denn in einem Land wie Indien würde ihr Öl sonst zuerst als Nahrungsmittel genutzt."

    Das bislang wenig erforschte Wolfsmilchsgewächs Jatropha wächst selbst dort, wo sonst gar nichts mehr gedeiht. Suhas Wani hebt eine der walnussgroßen Früchte vom Boden auf. Die drei schwarzen Kerne enthalten 55 Prozent Öl, aus dem sich goldgelber Biodiesel herstellen lässt. Für die armen Bauern der Gegend eine neue Einnahmequelle. Dass die Bäume auch zur Rekultivierung Indiens riesiger Ödlandflächen beitragen, weil sie die Bodenerosion durch Wind und Wasser aufhalten, ist ein erwünschter Nebeneffekt.

    "Früher kamen die Leute nach Indien, um den Tadsch Mahal zu besichtigen. Heute kommen sie, um Infosys zu sehen."

    "Also wir werden sicherlich in Zukunft viel mehr Patente sehen, viel mehr Technologien, die auch originär in Indien entwickelt wurden, als in den letzten zehn Jahren."

    Die größte Demokratie der Welt auf dem Weg zum Hochtechnologieland. Die Ambitionen sind groß, die Herausforderungen riesig: Armut, Analphabetismus, Bürokratie, marode Infrastruktur und eine zersplitterte Forschungslandschaft, die bislang nur punktuell Weltniveau erreicht - die Liste der Probleme ist lang. Doch die vielerorts spürbare Aufbruchstimmung wirkt ansteckend. In einem finanziellen Kraftakt will die Regierung die Forschungsausgaben im Jahr 2007 auf zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes steigern. Die Dynamik der Entwicklung fasziniert auch den aus den USA zurückgekehrten Energieexperten Suresh Babu.

    "”Vor zehn Jahren befürchteten viele, das rasche Bevölkerungswachstum werde Indien zerstören. 60 Prozent der Menschen hier sind unter 30 – eine beeindruckende Zahl. Doch darin steckt auch ein enormes Kapital. Die jungen Menschen hier, die ich bei meiner Arbeit treffe, sind intelligent und gut ausgebildet. Ich glaube, es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie Lösungen für die drängenden Probleme finden werden.""

    Ein anderer Rückkehrer teilt diese Ansicht: Dr. Krishna Ella, einer der führenden Biotech-Unternehmer Südostasiens.

    "”2020 wird Indien ein gefragter Innovationsstandort sein - ein Land, das für Ideenreichtum und Kreativität steht. Die junge Generation ist weltoffen und bereit, Risiken einzugehen. Das sind alles gute Zeichen.""

    Bharat Biotech heißt die Firma am Stadtrand von Hyderabad, die Krishna Ella mit seiner Frau Suchitra gegründet hat. Der Empfang ist wie bei Freunden. Krishna ist um die 50, trägt weißes Hemd, schwarze Anzughose und Schnauzer. Augenzwinkernd erzählt er, seine Frau – die das gemeinsame Unternehmen managt - hätte ihn wohl verlassen, wenn er 1997 nicht endlich zugestimmt hätte, den USA den Rücken zu kehren. Sie lacht und erklärt, das Leben dort sei eben allmählich langweilig geworden. Zurück in Indien konnte davon keine Rede mehr sein. Eine Biotech-Firma zu gründen, die einen Gelbfieber-Impfstoff für Arme herstellt, schien Bankern vor zehn Jahren keine gute Geschäftsidee. Krishna Ella:

    "”Die dachten, ich will mit den 3,5 Millionen Dollar, die ich brauchte, gleich wieder abhauen, zurück in die USA. Als ich dann sagte: Ich will eine Impfstoffdosis für einen Dollar verkaufen, wurden sie noch misstrauischer - schließlich war das die Zeit, wo Glaxo-Smith-Kline sein Hepatitis-B-Vakzin in Indien für 30 Dollar je Dosis verkaufte.""

    Der US-Pharmariese verwendet bis heute Zentrifugen, um das Impfprotein aus genetisch veränderten Hefezellen zu extrahieren. Ein kostspieliger und ineffizienter Prozess. Das von Krishna Ella patentierte Produktionsverfahren kommt ganz ohne die teuren Schleudern aus, weil die gefragten Eiweiße anhand ihrer elektrischen Eigenschaften aus der Zelllösung gefischt werden. Das geht schneller und liefert eine viermal höhere Ausbeute, weshalb der Preis für eine Impfdosis auf 23 Cent gesunken ist. Krishnas Vision von Arzneien für Arme wurde Wirklichkeit - und Bharat zur Keimzelle einer jungen Biotech-Industrie. Krishna Ella:

    "”Wir haben heute 650 Angestellte, wir haben 45 Millionen Dollar in neue Produktionsstätten investiert und wir sind die ersten in Indien, die auch an völlig neuen Wirkstoffen forschen.""

    Neben Hepatitis B hat Bharat auch günstige Vakzine gegen Typhus und Tollwut auf den Markt gebracht, außerdem ein Medikament gegen eine in Entwicklungsländern verbreitete Durchfallerkrankung. Mit Stiftungsgeldern eines US-Software-Riesen forscht man nun an einem Malaria-Impfstoff. Setzt nach der Informationstechnologie nun also auch die Biotech-Industrie Indiens zum Durchmarsch an die Weltspitze an? Da der Aufbau eines großen Fachkräfte-Pools im Bereich Biotech deutlich länger dauert als in der IT-Branche, sind allzu hohe Erwartungen wohl überzogen. Doch Krishna Ella ist überzeugt, dass Indiens Metamorphose zur Hightech-Nation an Tempo zulegen wird.

    "”And the changes now, that will take place next, will be much faster. So I’m much more optimistic now.""

    In den vergangenen drei Jahren habe sich der Wandel stark beschleunigt, sagt Krishna Ella. Das stimme ihn optimistisch. Genau wie viele andere. Die Zahl neuer Technologieunternehmen hat in den vergangenen Jahren um zehn bis 15 Prozent zugenommen. Viele davon wurden von gut ausgebildeten Rückkehrern gegründet. Nach Jahren im Ausland sehen sie nun die Zeit gekommen, ihre Pläne in der Heimat zu verwirklichen.