In Kristina Borjessons Sammelband berichten 13 amerikanische Journalisten von ihren Erfahrungen als Muckrakers und stellen dem investigativen Journalismus in den USA damit beileibe kein gutes Zeugnis aus. Zwar wird, wie die einzelnen Aufsätze allesamt dokumentieren, weiterhin investigativ gearbeitet. Das seit 1966 existierende Gesetz 'Freedom of Information Act’ macht es möglich, an die Unterlagen aller ausführenden Organe des Bundes heranzukommen. Doch schwierig wird es in jüngster Zeit zunehmend mit der Veröffentlichung unbequemer Berichte. Die Bush-Administration hat, wie jeder weiß, den den Medien angelegten Maulkorb nur noch fester gezurrt. "You better watch, what you say", hat Ari Fleischer, der ehemalige Sprecher des Weißen Hauses, das Pressekorps vor laufenden CNN-Kameras gewarnt. Erst jüngst entschuldigte sich die New York Times in einem selbstkritischen Leitartikel, ihre Berichterstattung vor dem Irakkrieg und zu Beginn der Besatzungszeit sei nicht einwandfrei gewesen. Verschiedene in den letzten Monaten erschienene Enthüllungsbücher, die ein Licht auf die innere Dynamik des Bush-Kabinetts werfen und - was ja immerhin noch für eine halbwegs funktionierende Öffentlichkeit spricht - es auch auf die Bestsellerlisten geschafft haben, haben wohl doch ein wenig für die Durchlüftung des medialen Klimas im Land gesorgt und zwingen nun offensichtlich die großen meinungsbildenden Zeitungen wie die New York Times ihre seit dem 11. September allzu rücksichtsvolle und krampfhaft um 'Ausgewogenheit’ bemühte Haltung der Bush-Regierung gegenüber endlich in Frage zu stellen. An den Strukturen des Medienmarkts ändert dies freilich wenig.
In den im vorliegenden Sammelband versammelten Geschichten geht es u.a. um einen Lebensmittelskandal, um die Geschichte der amerikanischen Außenpolitik im Zusammenhang mit Öl-Pipelines im Nahen und Mittleren Osten, um den Umgang der CIA mit Gesetz und Drogen, den ungeklärten Absturz der TWA Maschine New York-Paris 1996; es wird geschildert, wie das Verlagswesen unliebsame Bücher unterdrückt, aber auch wie in Florida der Stimmenklau bei den letzten Präsidentschaftswahlen von langer Hand eingefädelt worden ist. Allerdings geht es der Herausgeberin des in den USA bereits im Jahr 2002 erschienenen Buchs nicht nur um die Gegenstände der Geschichten selbst, sondern gleichermaßen auch um die Geschichten ihrer Unterdrückung und damit auch um ein Stück Biographie der jeweiligen Journalisten. Der investigative Reporter ist in der Welt der großen Medienkonzerne längst zu einem Paria mutiert, er wird als Verschwörungstheoretiker oder Lügner diffamiert, das ist das Fazit fast aller im Buch erzählten Geschichten.
Interessant ist dabei die vielfältige Rolle, die dem Internet inzwischen bei der Aufrechterhaltung einer kritischen Schrumpföffentlichkeit in wachsendem Maße zukommt. Da können investigativ arbeitende Journalisten, beispielsweise auch im Fall einer drohenden juristischen Auseinandersetzung, ihr oftmals umfangreiches und die Rahmen konventioneller Medien sprengendes Datenmaterial auf den sender- bzw. zeitungseigenen Webseiten komplett veröffentlichen sowie die häufig aus strategischen Gründen ausufernden Anwürfe der inkriminierten Seite nicht nur öffentlich machen, sondern auch widerlegen. Das allerdings setzt einen engagierten Auftraggeber voraus, denn es kostet Zeit und Geld. Und engagierte Auftraggeber sind heutzutage Mangelware.
In den amerikanischen Medien ist es heute so, dass der Aktienkurs eine weit größere Macht hat als die grundlegende Überzeugung, Journalismus im öffentlichen Interesse zu betreiben.
schreibt Robert Port, einer der Autoren. Das hat auch dazu geführt, dass freiberufliche Journalisten von großen Medienkonzernen mehr und mehr auf Verträge festgelegt werden, mit denen ihnen sämtliche Rechte an der eigenen Arbeit entzogen werden.
In meiner Eigenschaft als Berater für Buchverträge bei der National Writers Union habe ich Verträge von Verlagen zu sehen bekommen, in denen dem Autor sämtliche Rechte "für das gesamte Universum" und für "alle Formate, einschließlich solcher, die erst noch erfunden werden", abverlangt wurden.
Schreibt der Autor Gerard Colby.
Nicht alle der versammelten Aufsätze haben dasselbe Niveau. In Teilen sind es langatmige, nicht immer glänzend strukturierte Tatsachenreferate, was nun einmal eine Charakteristik des investigativen Journalismus ist, denn die unliebsamen Behauptungen wollen auch en detail belegt sein. Manche Printmedien in den USA haben sogar eigene so genannte Fact-Checkers angestellt, die die Fakten eines Textes noch einmal überprüfen, um im Fall einer juristischen Untersuchung auch gewappnet zu sein. Und nicht nur das: Ganze Geschichten werden inzwischen von Anfang an von Anwälten betreut, um sie juristisch wasserdicht zu machen. Aber das heißt auch, dass sie nach sachfremden Kriterien juristischer Unanfechtbarkeit geschrieben werden. Und sollte eine Geschichte das nicht vertragen, wird sie gleich ganz aus dem Programm genommen. Von 83 Versionen ein und derselben Geschichte ist im Buch an einer Stelle die Rede: eine gut belegte, einfache Story über hormonverseuchte Milch des Monsanto-Konzerns, der weltweit als Hersteller genmanipulierten Saatgutes bekannt geworden ist.
Denken Sie an die ganzen Geschichten über investigativen Journalismus in diesem Buch. Ihnen allen ist eines gemeinsam: Sie sind sehr riskant, sie verstoßen gegen die Weisheit der etablierten Ordnung und sie sind in der Produktion sehr teuer. Streben gewinnorientierte Unternehmen, ob nun Medienkonzerne oder kleine Klitschen zusätzliche Kosten, zusätzliche Risiken und die Aussicht, sich juristisch angreifbar zu machen, an? Natürlich nicht, zumindest in keinem der Wirtschaftsbücher, die ich gelesen habe.
Schreibt Greg Palast, ein weiterer Autor des Bandes.
Die heutigen Medienkonzerne sind einfach zu groß und von zu vielen Geldgebern abhängig, ihre Redakteure zu sehr Unternehmensmanagern gegenüber weisungsgebunden und ihr Output wirtschaftlich zu einflussreich, als dass sie auf bloße Gerüchte und einen Verdacht hin die Hunde von der Kette lassen könnten, um die Legitimität der Mächtigen zu recherchieren.
Ergänzt Phillipp Weiss das wenig erbauliche Panorama. Was in den meisten hier versammelten Texten allerdings ein wenig unangenehm aufstößt, ist der mal mehr, mal weniger aufgeregte Ton der Empörung. Das mag verständlich erscheinen, erzählen die hier versammelten Autoren eben auch ihre persönlichen Geschichten. Immerhin haben einige von ihnen infolge der hier beschriebenen Recherchen sogar ihre Arbeit verloren und gelten, wie es die Herausgeberin im Vorwort pathetisch definiert, als "radioaktiv", was so viel heißt, wie aus der Sicht der Human Resources-Abteilungen ihrer Auftraggeber als nicht mehr verwendungsfähig. Weil die großen multinationalen Medienkonzerne heutzutage eine ausdifferenzierte Produktpalette haben – Fernseh- und Radiosender, Zeitungen, Zeitschriften, Buchverlage – kann das Diktum weitreichende Folgen haben. Vielleicht erzeugt das gnadenlos gewinnorientierte System, in dem kritische Journalisten zu nicht mehr verwendungsfähigem menschlichem Material degradiert werden, zwangsläufig ein selbstheroisierendes Pathos. Aber mehr Sachlichkeit wäre dem ohne Zweifel nur allzu notwendigen Unternehmen, den Strukturwandel einer sich nicht nur in den USA transformierenden Öffentlichkeit anzuprangern, in jedem Fall dienlicher gewesen - einer Öffentlichkeit, die sich teilt in ein kommerzielles System, fixiert auf Sensationsjournalismus mit großen Prominenten-Geschichten, lokalen Kleinststories und Trash-Formaten einerseits und in eine sich zunehmend ins Netz und andere Nischenpublikationen zurückziehende kritische Berichterstattung andererseits.
Trotz dieser Mängel ist der Sammelband insgesamt informativ und lesenwert.
Barbara Eisenmann war das über Zensor USA, herausgegeben von Kristina Borjesson, erschienen im zürcher Pendo Verlag. Es hat 432 Seiten und kostet
24.90 Euro.
Mit einer ganz anderen Tradition des US-amerikanischen Journalismus befasst sich ein neuer Photoband des Phaidon Verlags: The fat Baby. Er versammelt Reportagen des Magnum-Photographen und Autors Eugene Richards. Der 1944 geborene Amerikaner war zunächst einmal Sozialarbeiter, bevor er Photograf und Reporter wurde. Seine Photoessays über Drogensucht und Notfallmedizin, über Krankheit und Kriminalität machten ihn bekannt. Der jetzt erschienene Band versammelt 15 Reportagen aus den frühen 90er Jahren, die meisten davon über die Schattenseiten des amerikanischen Alltags. Die atmosphärisch dichten, den Objekten immer naherückenden Bilder hat Richards selbst zusammengestellt, in den im amerikanischen Original abgedruckten Texten versucht er nicht den schein-objektiven Berichterstatter zu geben, sondern setzt sich selbst in Beziehung zu den Ereignissen. The fat Baby: 432 Seiten hat dieses sehr lesens- und sehenswerte Buch für 95 Euro, und erschienen ist es, wie gesagt, im Phaidon Verlag.